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Ein Land in der Alles-wird-gut-Falle

Von Ronald Schönhuber aus Burma

Politik

Reportage aus Burma.


Rangun. Der Witz, den der knochige Mann mit dem markanten grauen Schnurrbart zum Besten gibt, ist jeden Abend derselbe. "Vor kurzem war ich beim Zahnarzt in Thailand" erzählt Lu Maw. "Der Zahnarzt dort hat mich völlig entgeistert angesehen und gefragt: Ja, haben Sie denn keine Zahnärzte bei sich zu Hause in Burma? Darauf habe ich geantwortet: Zahnärzte haben wir schon, aber in Burma dürfen wir nicht den Mund aufmachen."

Es ist noch nicht allzu lang her, dass die "Moustache Brothers" für Witze wie diesen schwer büßen mussten. In den 1990ern wurden zwei Mitglieder der Komikertruppe wegen ihrer humoristisch verpackten Kritik an Burmas Militärjunta für mehrere Jahre ins Arbeitslager geschickt, bis heute ist die Gruppe mit einem landesweiten Auftrittsverbot belegt. Gespielt wird trotzdem weiter, allerdings nur vor Touristen, die nun im Privathaus von Lu Maw in Mandalay auf verwitterten und leicht angegrauten Plastiksesseln vor einer improvisierten Bühne Platz nehmen.

In Zukunft werden Lu Ma und seine Mitspieler ihr seit vielen Jahren unverändertes Programm aber wohl ein wenig adaptieren müssen. Denn zumindest die Pointe, dass die Burmesen ihren Mund nicht aufmachen dürfen, hat seit dem Erfolg der Opposition bei den am Sonntag abgehaltenen Parlamentsnachwahlen spürbar an Zugkraft verloren.

Dass der Sieg der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) dermaßen deutlich ausfallen würde, hatten vermutlich nicht einmal die optimistischsten Anhänger der erstmals seit 1990 wieder zu Wahlen zugelassenen Partei für möglich gehalten. Während am Wahltag selbst noch davon ausgegangen wurde, dass die NLD bis zu 30 der 45 zu vergebenden Parlamentssitze errungen hatte, wurde im Lauf des Montags immer offensichtlicher, dass die Partei der in Burma fast schon abgöttisch verehrten Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi auf einen Erdrutschsieg zusteuerte. Als die Wahlkommission am späten Nachmittag das offizielle Wahlergebnis bekanntgab, waren es schließlich 40 Sitze für die NLD. Die Partei selbst sprach sogar von 44 Mandaten. Selbst in der vor zehn Jahren aus dem Dschungel gestampften Retortenhauptstadt Naw Pyi Taw, in der fast ausschließlich Regierungsangestellte leben, eroberte sie ein Mandat.

"Eine neue Ära beginnt"

Auf formaler Ebene ändert sich die Machtarithmetik im Land aber trotz des Triumphs der NLD nur minimal. Lediglich sieben Prozent aller Mandate wurden bei den Nachwahlen am Sonntag neu vergeben. Das Parlament, in dem laut Verfassung ein Viertel der Sitze für die Streitkräfte reserviert ist, wird daher auch in Zukunft von den Gefolgsleuten der früheren Militärdiktatur dominiert werden. In symbolischer Hinsicht hätte der jahrzehntelang mit eiserner Faust unterdrückten Demokratiebewegung aber wohl kaum ein größerer Erfolg gelingen können. Ein Umstand, auf den auch Suu Kuyi hinwies, als sie sich am Montag in einer kurzen Ansprache an ihre Anhänger wandte. "Das ist ein Triumph des Volkes", sagte die 66-Jährige, die diesmal nicht - wie so oft in früheren Zeiten - vor ihrem Privathaus am Inya-See sprach, sondern als nun auch formal öffentliche Person vor der NLD-Parteizentrale in Rangun. "Wir hoffen, dass damit eine neue Ära beginnt, in der die Menschen aktiv an der Politik des Landes teilhaben."

Eine Ära, die sich allerdings für alle Beteiligten als schwieriger und enttäuschender erweisen könnte als erhofft. Seit die Generäle vor zwei Jahren begonnen haben, das arme und international weitgehend isolierte Land zu öffnen, um der immer größer werdenden Abhängigkeit von China zu entkommen, ist die Aufbruchsstimmung überall in Burma spürbar. In Busstationen, Restaurants und jedem noch so kleinen Geschäft hängen Bilder von Aung San Suu Kyi, die am Sonntag in ihrem Wahlkreis ein fast schon kommunistisches Ergebnis von mehr als 90 Prozent einfahren konnte. Und die Erwartungshaltung, mit der sich die Tochter des 1947 ermordeten Unabhängigkeitshelden Aung San konfrontiert sieht, scheint kaum bewältigbar. Alles wird gut, wenn man Su Kuyi nur machen lässt - so lautet die Hoffnung fast aller Burmesen, mit denen man spricht.

"Kein Grund für Euphorie"

Doch die 66-Jährige, die 16 der vergangenen 21 Jahre in Haft oder unter Hausarrest verbringen musste, wird keine Wunder vollbringen können und ob es dem kleinen Mann auf der Straße irgendwann einmal besser geht, wird auch stark davon abhängen, wie sehr der Westen bereit sein wird zu investieren. Bei allem Wachstumspotenzial in den Bereichen Infrastruktur, Rohstoffförderung und Tourismus warnen Experten allerdings vor einer Goldgräberstimmung.

Burma ächzt unter der trägen Bürokratie und seiner maroden Infrastruktur, regelmäßige Stromausfälle und die kaum brauchbaren Internetverbindungen dämpfen die Investitionslust zusätzlich. Auch die Präsidentin des Interparlamentarischen Komitees der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (Asean), Eva Kusuma Sundari, hat vor jeder "Euphorie" nach den Nachwahlen gewarnt - wenn auch aus anderen Gründen. Der Einzug von Suu Kyis NLD ins Parlament ändere noch nichts an der "langen Liste" von Menschenrechtsverstößen und der Unterdrückung ethnischer Minderheiten in Burma, erklärte Sundari am Montag.

Auch der Komiker Lu Maw will noch nicht ganz an das neue und bessere Burma glauben. "Das ist derselbe Mann wie früher", sagt er mit dem Verweis auf den zum zivilen Präsidenten mutierten Ex-General Thein Sein. "Er hat nur die Uniform ausgezogen."