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Der "letzte Christ" von Damaskus

Von Thomas Seifert

Politik
So entspannt wie hier in Jaramana sieht man syrische Soldaten selten.
© © Thomas Seifert

Lokalaugenschein im Jaramana, einem christlichen Vorort von Damaskus.


Damaskus. Bis vor kurzem war Jaramana, ein Vorort im Osten von Damaskus, einer der sichersten Bezirke der Stadt. Die vorwiegend christliche und drusische Bevölkerung, die dort lebt, steht dem bewaffneten Aufstand skeptisch gegenüber, die seit 2003 hierher geflüchteten Irakis ebenso.

Doch in den vergangenen Wochen hat das Image des sicheren Hafens im Osten der Stadt gelitten. Ende August starben insgesamt 14 Menschen bei Autobombenanschlägen. Anfang September kamen fünf Menschen bei einem Bombenanschlag ums Leben, 30 wurden zum Teil schwer verletzt. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana machte "bewaffnete terroristische Kräfte" für die Anschläge verantwortlich, die syrische Opposition argwöhnte, dass das Regime die Bomben selbst gelegt haben könnte, um die Terrorakte den Rebellen in die Schuhe zu schieben.

Schmelztiegel Syriens

Die Bewohner des Bezirks schwärmen von ihrem Viertel: Die hier lebenden Drusen gelten als weltoffen und tolerant, das Zusammenleben mit den Christen (eine andere wichtige Minderheit in Syrien) gilt als friktionsfrei, ja geradezu herzlich. Vor zehn Jahren lebten rund 30.000 Menschen in dem kleinen Städtchen namens Jaramana, heute ist der Vorort auf die Größe einer kleinen Großstadt mit 120.000 bis 400.000 Bewohnern angeschwollen. Vor allem die Flüchtlingsströme aus dem Irak haben Jaramana seit 2003 aus allen Nähten platzen lassen.

Die Bombenanschläge der vergangenen Wochen haben die Menschen in Jaramana aber daran erinnert, dass der Bürgerkrieg längst in Damaskus, ihrer Stadt, angekommen ist und auch den weltoffenen, modernen Stadtteil nicht verschont. "Das war in Jaramana nicht zu erwarten", sagt der 23-jährige Obst- und Gemüsehändler Masser Mhanna, "Jaramana ist hundertprozentig gegen die Opposition, darum haben sie uns zur Zielscheibe gemacht." Seither kann man nicht mehr ohne Angst an der Straße stehen. "Jedes Auto, das hier steht, könnte Al-Potates (Kartoffeln) geladen haben." Al-Potates: Damit meint Mhanna nicht jene großgewachsenen hellbraunen Knollen, die er um rund 40 Cent das Kilo in seinem Laden verkauft, sondern "Kartoffel" ist die scherzhaft-verniedlichende Bezeichnung für Sprengsätze.

Der Konflikt hat die Lebensmittelpreise um rund 20 Prozent steigen lassen: Ein Kilo Äpfel kostet im Laden von Herrn Mhanna jetzt 60 syrische Pfund, also rund einen Euro. Ein Kilo Weintrauben: 45 syrische Pfund also etwas mehr als 50 Cent. Bei Importgütern sind die Preissteigerungen noch dramatischer, denn der seit März 2011 um 23 Prozent gegenüber dem Euro (30 Prozent gegenüber dem Dollar) gefallene Wechselkurs des syrischen Pfunds verteuert alle Waren, die mit ausländischer Währung bezahlt werden müssen: Für einen US-Dollar musste man nämlich 45 Pfund auf den Tisch der Wechselstube legen, heute muss man 70 Pfund hinblättern.

Gleich um die Ecke von Herrn Mhannas Laden ist ein Kontrollposten der syrischen Armee. Die Soldaten sind entspannt, heute sei hier alles ruhig. Eine ältere Frau bringt den Soldaten Süßigkeiten: Jaramana ist für die syrische Armee alles andere als Feindesland, wer hier seinen Posten versieht, darf sich glücklich schätzen. Denn in anderen Bezirken wie Darayya, At Tadamon oder Babbila tobt der Straßenkampf: Der Konflikt in Syrien hat seit März 2011 mindestens 20.000 Menschenleben gefordert. Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei wollen, dass Präsident Bashar al-Assad die Macht abgibt, während China und vor allem Russland jede Intervention von außen strikt ablehnen: Assad und die bewaffnete Opposition seien gleichermaßen für das Blutvergießen verantwortlich, tönt es aus Moskau und Peking.

Christen als Opfer?

Die Christen von Jaramana fühlen sich als Opfer in diesem Konflikt.

Das Griechisch-Katholische Kloster St. Germanos in Jaramana wirkt leer und verwaist. Christliche Pilger kommen derzeit nicht nach Syrien. Daher die Leere, sagt Pater Nicolas.

Pater Nicolas ist einer von drei Mönchen, die im Konvent leben und arbeiten. Er stammt ursprünglich aus dem Libanon und ist voller Sorge, dass Syrien den Weg des Libanon gehen könnte, wo von 1975 bis 1990 ein blutiger Bürgerkrieg mit 130.000 bis 250.000 Toten tobte.

Den Christen würde es in Zukunft schlecht ergehen, fürchtet Pater Nicolas. "Fragen sie, wie die Christen im Irak seit 2003 gelitten haben! Oder im Bürgerkrieg im Libanon! Der Westen muss die Augen und Ohren öffnen. Warum fragt niemand den Vatikan, was man machen soll?" Der Vatikan hat versucht, sich in Sachen Syrien-Konflikt Gehör zu verschaffen. Papst Benedikt XVI. reiste in den Libanon, wo er einen "Schrei nach Frieden" ausstoßen hat.

Viele Christen haben auch das Schreckensbild des Irak vor Augen: Nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein wurden Kirchen zur Zielscheibe, die ehemals lebendigen Gemeinden in Bagdad gibt es nicht mehr. Wer konnte, ist geflüchtet. Christen und Drusen konnten unter dem säkularen Regime der Assads weitgehend unbehelligt leben.

Für Pater Nicolas sind die Fronten daher klar abgesteckt. Die "Extremisten", wie Pater Nicolas die Rebellen nennt, wären eine Gefahr für die Christen. Aber nicht nur: Sie seien "Gegner der Bildung, Gegner der Vernunft". Darum seinen die "ersten Ziele" der Bewaffneten Schulen gewesen, sagt Pater Nicolas: "Sie haben 2000 Schulen zerstört, 1500 sind beschädigt und können keine Schüler beherbergen. Das Schulsystem Syriens sei nicht so schlecht gewesen, sagt der Pater, "nun haben uns die Jihadis um 50 Jahre zurückgeworfen".

Lektion Libanon

Der Pater stammt aus dem Libanon, als der Bürgerkrieg dort 1975 begonnen hat, war sei er genau ein Jahr alt: "Ich denke, dass Syrien eine Lektion aus dem Libanon lernen soll. Nach einem langen Krieg hatten wir dann endlich aufgehört und den Dialog gestartet. In Syrien ist es nicht zu spät: Wir müssen jetzt sofort beginnen, miteinander zu reden." Es gehe darum, die "Verbindungen zwischen den Konfessionen zu stärken", sagt er, "sie sahen zwar stark aus, aber sie waren es nicht. Daran müssen wir nun arbeiten."

Wie er die Zukunft sieht? Pater Nicolas zuckt mit den Achseln und schweigt. Nach einer längeren Pause sagt er: "Ich werde jedenfalls hier bleiben und wenn ich der letzte Christ in Damaskus bin."