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"Ändern wird sich nichts"

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

An Friedensgesprächen führt kein Weg vorbei, glaubt US-Aktivist Jerome Segal.


Tel Aviv. Am Yasser-Arafat-Platz in Ramallah haben letztes Jahr noch Tausende gejubelt, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei der UNO-Generalversammlung in New York den Antrag um Vollmitgliedschaft für Palästina ankündigte. Diesen September wird es keine Feier geben. Denn dieser Antrag ist gescheitert. Abbas will es heute, Donnerstag, trotzdem noch einmal versuchen. Das Ziel ist jedoch bescheidener geworden: Der UN-Status der Palästinenser soll vom nicht-staatlichen Beobachter auf den eines staatlichen Nicht-Mitglieds aufgewertet werden.

"Unser Ziel ist Freiheit und Unabhängigkeit. Wir denken, dass wir das über internationale Anerkennung erreichen können", sagt Xavier Abu Eid, ein Sprecher der Palästinenserregierung in Ramallah. "Der Prozess kann jedoch Wochen, Monate oder auch Jahre dauern."

Abbas wird die Staatengemeinschaft vorerst nur zur Unterstützung auffordern, während der eigentliche Antrag auf eine Status-Aufwertung erst nach den im November stattfindenden US-Präsidentschaftswahlen als Resolution zur Abstimmung vor die Generalversammlung gebracht werden soll. Abu Eid appelliert an die Staatengemeinschaft, durch die Anerkennung Palästinas die Kosten für Israels Besatzung in den Palästinensergebieten zu erhöhen. "Wir wollen, dass die internationale Gemeinschaft zu Israel sagt, genug ist genug."

Die israelische Regierung beschuldigt die Palästinenser hingegen, durch den Gang vor die UNO Friedensgespräche umgehen zu wollen. "Sie wollen eine Abkürzung zur Staatsgründung nehmen", sagt Ilana Stein, eine Sprecherin des Außenministeriums. "Das wird aber nicht funktionieren. Und es ist gefährlich, weil es die Chancen für Friedensverhandlungen mindert", sagt sie. Verteidigungsminister Ehud Barak sprach diese Woche schon von einem möglichen "einseitigen Rückzug" Israels aus Teilen des Westjordanlandes, sollten die Palästinenser weiterhin Verhandlungen ablehnen.

Aus Sicht der Palästinenser ist jedoch schon jetzt kaum mehr etwas übrig, worüber man verhandeln könnte. Denn Israel kontrolliert bereits 60 Prozent des gesamten Westjordanlandes, mehr als 500.000 Israelis leben auf besetztem Land im Westjordanland und in Ostjerusalem. Sie lassen das Gebiet, auf dem eigentlich ein Palästinenserstaat entstehen soll, immer mehr wie ein Schweizer Käse aussehen.

Krise in Ramallah

Mehr und mehr stellen sich Teile der 2,6 Millionen Palästinenser im Westjordanland offen gegen die eigene Regierung. Tausende hielten jüngst in palästinensischen Städten Proteste gegen die hohen Preise für Lebensmittel und Benzin ab. Die Kritik ging dabei gezielt gegen Premierminister Salam Fayyad, der als Finanzexperte von vielen Palästinensern für das Wirtschaftsdebakel in Ramallah verantwortlich gemacht wird. Auch die Weltbank hat jüngst vor einer schweren Finanzkrise der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gewarnt und flächendeckende Sozialproteste vorausgesagt, sollte sich nicht bald etwas ändern. Der Gang vor die UNO wird in Anbetracht dieser Probleme von vielen eher als symbolischer Akt bewertet.

Dabei stellt sich auch die Frage, in wessen Namen sich Präsident Abbas eigentlich an die Vereinten Nationen wendet. Denn die Autonomiebehörde ist schon lange nicht mehr demokratisch legitimiert und vertritt daher auch nicht die palästinensische Bevölkerung. Wahlen hat es in den Palästinensergebieten seit 2006 nicht mehr gegeben. Und die rund 1,6 Millionen Bewohner des Gazastreifens werden von der islamistischen Hamas regiert, die weiterhin mit der Autonomiebehörde in Ramallah im Konflikt steht. Dennoch wird die PA jährlich mit hunderten Millionen US-Dollar aus dem Topf der EU, den USA und arabischen Ländern am Leben erhalten. Doch selbst das reicht nicht aus, und führt laufend zu riesigen Budget-Defiziten.

Für Xavier Abu Eid ist der Weg über die UNO eine effektive Antwort auf die Probleme der Palästinenser. "Wir hören den Menschen auf der Straße zu. Die Proteste sind ein Grund für uns, die Lage zu ändern. Doch dafür brauchen wir die internationale Gemeinschaft", sagt er. Kritiker werfen der PA hingegen vor, bei all der Motivation zur internationalen Anerkennung die Probleme der Bevölkerung zu vergessen.

Sanktionen winken nicht

"Mir ist nicht klar, ob dieser Antrag überhaupt Teil einer palästinensischen Strategie ist", sagt der amerikanische Aktivist und Wissenschafter Jerome Segal, der entscheidenden Einfluss auf die erste palästinensische Unabhängigkeitserklärung unter Yasser Arafat 1988 genommen hat. Für Segal müssten die Palästinenser viel weiter gehen als geplant. "Sonst wird sich nichts ändern", sagt er. Als staatliches Nicht-Mitglied stünden den Palästinensern zwar neue Tore zu UN-Institutionen offen, wie etwa dem Internationalen Strafgerichtshof. Doch um mehr zu erreichen, müsste die UN-Resolution der Palästinenser die Gründung einer Kommission fordern, die beide Konfliktparteien zurück an den Verhandlungstisch bringt.

Sanktionen Israels oder der USA, wie im letzten Jahr passiert, habe Mahmud Abbas diesmal nicht zu fürchten, sagt Segal. "Die Angst vor einem Kollabieren der Regierung in Ramallah ist zu groß." Doch derartige Sanktionen werden auch nicht nötig sein. Denn höchstwahrscheinlich werde am Ende des palästinensischen UNO-Antrags wieder gar nichts passieren. "Es wird vielleicht das Namensschild der palästinensischen Delegation in der Generalversammlung ändern", sagt Segal. "Aber sonst auch nichts."