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Der Nahe Osten und eine Partie Mikado

Von Thomas Seifert und Veronika Eschbacher

Politik
Ex-Botschafter Khalilzad präsentiert seine Vision zur Befriedung Afghanistans: Eine Art "Wiener Kongress" müsse her. Doch wer könnte bei dieser Konferenz Metternich spielen?
© © Thomas Seifert

Khalilzads Lösung für Krise in Syrien: Coup gegen Assad.


"Wiener Zeitung": Nach einem jüngsten Carnegie-Bericht ist die Lage im Land ähnlich wie zur Zeit des sowjetischen Abzugs.

Zalmay Khalilzad: Die Situation ist nicht vergleichbar. Die Sowjets haben das Land komplett verlassen. Die USA werden auch nach 2014 Kräfte in Afghanistan belassen, auch wenn die Details noch nicht ausgearbeitet sind. Andererseits hatten die Sowjets mit Aufständischen zu kämpfen, die von mehreren Staaten unterstützt wurden, unter anderem auch von Amerika. Ich glaube nicht, dass die Taliban heute ein so starkes Gegenüber darstellen wie die damalige Opposition der damaligen Regierung. Eines macht mir aber Sorgen: dass die Gewalt noch weiter zunimmt und das Land in Folge in einen Bürgerkrieg mit multiplen Fronten stürzt.

Es gibt ja das Diktum von Afghanistan als "Friedhof der Imperien". Briten, Sowjets und nun auch die USA haben sich am Land am Hindukusch die Zähne ausgebissen.

Dieses Argument unterstütze ich nicht. Der Fall der Sowjetunion hatte viel mit internen Problemen zu tun. Wir stehen auch nicht vor dem Scheitern unserer Ideologie, wie das bei der UdSSR der Fall war. Auch laufen der USA die Verbündeten nicht in Scharen davon wie damals der Sowjetunion - im Gegenteil, in bestimmten Teilen der Welt, wie etwa in Asien, steigt die Nachfrage nach einer engeren Zusammenarbeit mit Amerika.

Werden die Beziehungen zwischen Pakistan und Amerika infolge des Abzugs der Amerikaner Auftrieb erhalten?

Pakistan war einerseits Verbündeter, hat aber gleichzeitig jene Kräfte unterstützt, gegen die die USA und seine Koalitionspartner gekämpft haben. Das hat auch die afghanisch-amerikanischen Beziehungen belastet, denn die Afghanen fragen, wieso die Amerikaner diese doppelbödige Politik dulden.

Pakistans Misstrauen richtet sich vor allem gegen Indien. Wieso wurde nicht mehr politisches Kapital investiert, um Indien und Pakistan an einen Tisch zu bringen?

Ein Abkommen zwischen den wirklich großen Playern wäre ein guter Startpunkt - ähnlich dem Wiener Kongress. Für China, Russland und die USA gibt es das gemeinsame Interesse, Terroristen keine Basis zu geben. Die Vereinigten Staaten haben zu viel von der Last der Terrorismusbekämpfung in dieser Region geschultert. Länder wie China, Russland, aber auch Indien waren hingegen bis zu einem gewissen Grad Trittbrettfahrer.

Wer könnte denn die Rolle des Metternich bei so einem "Wiener Kongress" für Afghanistan spielen?

Einer der wichtigsten Player wären natürlich die USA. Eine international anerkannte Figur aus dem UN-Bereich käme auch in Frage. Der Extremismus in Afghanistan und Pakistan ist jedenfalls so eng verflochten, dass auf diplomatischer Ebene eine sehr breite Anstrengung nötig sein wird. Der Mangel an Fortschritten auf diplomatischer Ebene hat die Sicherheitsprobleme erhöht.

Sie waren viele Jahre Diplomat in den Hotspots: In Kabul, aber auch in Bagdad. Dort standen Sie in Kontakt mit dem Assad-Regime. Wie sehen Sie die aktuelle Lage in Syrien?

Die Schwierigkeiten sind vielschichtig. Der Nahe und Mittlere Osten ist für mich ein wenig wie das Europa des 18. und 19. Jahrhunderts - mit den gleichen Herausforderungen und Problemen. Die Bürger sind mit ihren Regierungen unzufrieden, es gibt große wirtschaftliche Schwierigkeiten sowie einen Mangel an politischer Freiheit. Eine Ausdrucksart von Unzufriedenheit ist Extremismus. Die Gesellschaft in der Region wurde in den letzten Jahren pluralistischer - paradoxerweise wird sie dadurch destabilisiert. Zudem spitzt sich der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten zu, regionale Machtspiele drängen in den Vordergrund: Der Iran nimmt Einfluss in Syrien und im Libanon. Die Türkei dehnt ihren Machtbereich aus und der Rest der Welt ist wegen der Obstruktionspolitik von China und Russland handlungsunfähig. Klar ist: Der syrische Präsident Bashar al-Assad hat nach all dem, was in Syrien geschehen ist, in den Augen der Welt keine Legitimität mehr. Wie der Übergang zu einer Post-Assad-Ära zu schaffen ist, ist nun die Frage. Vielleicht wäre ein Militärputsch ein geeignetes Mittel, um Assad zu ersetzen. Ich denke, dass die Machtteilung unter den verschiedenen Gruppierungen in Syrien möglich ist. Es gibt aber natürlich auch Stimmen, die einen Kampf auf Leben und Tod zwischen der Opposition und dem Regime vorhersagen.

Wie gefährlich ist ein instabiles Syrien für die gesamte Region?

Syrien ist ein Schlüsselland. Die Geschehnisse haben sicherlich einen Einfluss auf den Libanon, der Druck auf Jordanien ist schon gestiegen, und natürlich auch auf den Irak. Daher ist es am besten, wenn Assad dazu gezwungen wird, die Macht abzugeben. Ein Abkommen zur Aufteilung der Macht zwischen den
ethno-religiösen Gruppen könnte auch beim Iran und Russland Anklang finden, da durch so ein Abkommen die Interessen der Alawiten geschützt würden und gleichzeitig verhindert würde, dass sunnitische Extremisten an Boden gewinnen.

Wenn man über die Region spricht, dann ist das so, als spräche man über Mikado.

Ja, der Nahe Osten ist eine sehr instabile Region.

Beim Ringen um Syrien geht es dem Westen und den Golfstaaten nicht zuletzt darum, die Achse Teheran-Bagdad-Damaskus-Beirut zu brechen. Da kann man den Iran nicht außer Acht lassen. Zudem malt der israelische Premier Benjamin Netanyahu in puncto Atom-Programm eine rote Linie in den Sand und drängt die USA zu einem robusteren Vorgehen gegen Iran.

Der Iran ist ein wichtiger, zentraler Spieler in der Region: in
Afghanistan, im Irak, in Syrien. Sollten die USA militärisch gegen den Iran vorgehen, könnte die iranische Antwort Aktionen gegen die USA in Afghanistan oder anderen Orten der Region beinhalten.

Gleichzeitig befindet sich die iranische Währung im freien Fall, die Sanktionen wirken offenbar.

Es ist keine Frage, dass die Sanktionen den Iran treffen. Die Nachrichten die iranische Währung betreffend sind eine Manifestation dessen. Die Frage ist: Werden die Sanktionen ausreichen, um den Iran davon zu überzeugen, die Resolutionen der UN zu respektieren und zur Umkehr im Atomprogramm zu bewegen? Ich weiß es nicht. Pakistan war derart von der Notwendigkeit überzeugt, ein Programm zur nuklearen Bewaffnung zu betreiben, dass die Regierung Sanktionen in Kauf nahm. Die Regierung meinte damals: Sollte Indien die Atombombe erhalten, wird Pakistan sie ebenfalls bauen - und wenn die Bevölkerung Gras essen muss. Die Frage ist: Ist die Atombombe für die Iraner so wichtig wie damals für die Pakistanis oder sind sie bereit zum Kompromiss?

Und was ist mir der roten Linie Netanyahus?

Die US-Regierung ist der Meinung, dass wir noch genug Zeit für eine diplomatische Lösung haben. Die letzten Berichte über die Wirtschaftslage in Teheran bestärken diese Ansicht. Aber sie liefern freilich keine letztgültige Antwort. Aber man muss Netanyahu verstehen: Aus der Sicht Israels ist die Vorstellung, dass der Iran Atombomben haben könnte, furchtbar - denken Sie nur an die Größe beziehungsweise Kleinheit Israels. Die USA sehen eher die Folgen einer Nuklearisierung des Iran für die Region: Was würden in so einem Fall die Saudis tun? Wollen die Ägypter oder die Türkei dann auch die Bombe? Der Nahe Osten ist auch ohne Nuklearwaffen gefährlich genug.

Zur Person

Zalmay Khalilzad war US-Botschafter in Afghanistan, dem Irak und bei der UNO. Der gebürtige Afghane ist heute Präsident von Gryphon Partners, einem Consultingunternehmen für den Mittleren Osten und Zentralasien. Er sitzt in den Gremien mehrerer NGOs sowie der American University in Sulaimaniyya im Nordirak und der American University von Kabul. Mittwoch war er Gastredner in der "Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen". Am 10. Oktober wird Yukio Satoh ab 12 Uhr über die geopolitische Rolle Japans sprechen (Hofburg, Reitschulgasse 2/2). http://www.oegavn.org