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Waffenruhe mit Israel vereinbart

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Ägyptens Präsident Mursi vermittelt ein vorläufiges Ende der Gewalt.


Tel Aviv. Ägyptens Präsident Mohammed Mursi hat seine erste diplomatische Feuertaufe bestanden. Ihm und seinen Unterhändlern ist es nach langen und zähen Verhandlungen gelungen, eine Waffenruhe zwischen Israel und der in Gaza regierenden Hamas auszuhandeln. Zuletzt hatte Mursi von US-Außenministerin Hillary Clinton in Kairo persönliche Unterstützung erhalten. Die Waffenstillstandsvereinbarung trat am Mittwochabend um 20 Uhr (MEZ) in Kraft. 160 palästinensische und fünf israelische Todesopfer hatte der Gaza-Krieg innerhalb von acht Tagen gefordert.

Die Waffenruhe erlaube es den 1,7 Millionen Palästinensern, sich von den Tagen heftiger Luftangriffe zu erholen und beende die Angriffe aus Gaza mit Raketen, die erstmals die israelischen Großstädte Tel Aviv und Jerusalem erreicht hätten, sagte der ägyptische Außenminister Mohamed Kamel Amr bei der Verkündigung der Vereinbarung. Clinton, die neben ihm stand, dankte Mursi für seine Friedensbemühungen, die Regierung in Kairo habe damit "Verantwortung und Führungsstärke" gezeigt.

Israel will der Waffenruhe mit der Hamas nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Chance geben - auf Empfehlung von US-Präsidenten Barack Obama. Dies sei ein erster Schritt. "Nun ist der Zeitpunkt, daran zu arbeiten, eine dauerhafte Waffenruhe zu erlangen", erklärte er am Abend auf einer Pressekonferenz in Jerusalem. Gleichzeitig betonte der Likud-Chef, der in zwei Monaten Wahlen zu bestreiten hat, seine Entschlossenheit, eine Aufrüstung der Hamas durch deren Verbündeten wie Iran mit allen Mitteln auch in Zukunft zu verhindern. Eine Bodenoffensive im Gazastreifen könnte noch notwendig werden, polterte Netanyahu.

Israel blockiert Gaza

Er setzt dabei auf Rückendeckung Washingtons. Gemeinsam wolle man entschieden gegen Waffenschmuggel aus dem Iran vorgehen, meinte der rechtskonservative Politiker. "Israel kann nicht untätig dasitzen, während Hamas aufrüstet." Über Israels militärische Erfolge der vergangenen Tage zeigte er sich jedoch durchaus zufrieden. Die Armee habe der Hamas empfindliche Verluste zugefügt. "Wir haben tausende von Raketen und Kommandozentralen der Hamas zerstört". Schließlich bedankte sich Netanyahu noch bei Obama für dessen Unterstützung während des Militäreinsatzes, vor allem für dessen Betonung des Selbstverteidigungsrechts der Israelis. Kurz vor Inkrafttreten der Waffenruhe hatte Obama Netanyahu in einem
Telefonat mehr Militärhilfe zum Ausbau ihres Raketenabwehr-
Programms "Iron Dome" (Eiserne Kuppel) zugesagt - um den Premier umzustimmen.

Von einem Sieg sprach die Hamas, deren Politbüro-Vorsitzender Khaled Meshaal von Beobachtern als zweiter Gewinner der Situation neben Netanyahu bezeichnet wird. Man habe erreicht, dass Israel einer der Hauptforderungen zustimme: der Aufhebung der Gaza-Blockade. Binnen 24 Stunden nach Inkrafttreten müssen die Grenzübergänge laut der Vereinbarung geöffnet sein - sowohl für Menschen als auch für Warentransporte. Israel sieht das anders: Aus Regierungskreisen verlautete, man habe der Waffenruhe zwar zugestimmt, werde die Blockade aber nicht komplett aufheben. Details dazu waren in Jerusalem zunächst nicht zu erfahren.

Auch Clinton hielt sich in der Frage bedeckt. "In den kommenden Tagen werden wir daran arbeiten, die Gewalt in der Region zu beenden und eine Verbesserung der Lebensumstände im Gazastreifen sowie der Sicherheit Israels zu erreichen", sagte sie. Letztlich könnten aber nur die Hoffnung auf einen eigenen Palästinenserstaat und ein Ende der Armut Israel den ersehnten langfristigen Frieden bringen.

Viele haben Zweifel an der Haltbarkeit der Waffenruhe - kurz nach Inkrafttreten schlugen jedenfalls erneut mehrere Raketen im Süden Israels ein. Viel wird davon abhängen, ob es der islamistisch geprägten Hamas gelingt, radikalere Gruppierungen unter Kontrolle zu halten.

Wenige Stunden vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe hatte zudem ein Bombenanschlag auf einen Autobus die Stadt Tel Aviv in einen Schockzustand versetzt. Bis zu 20 Menschen wurden verletzt. Die Hamas beteuerte, nicht der Urheber zu sein. Der Ort der Explosion hätte symbolischer nicht sein können: Mitten im Herzen von Tel Aviv, direkt neben dem Hauptquartier der israelischen Armee, der sogenannten Kiriya, ging der Sprengsatz hoch.

Wut auf die Hamas in Israel

"Ich bin mit meinem Auto direkt vor dem Bus gefahren. Auf einmal war ein Knall", schilderte der Israeli Haim Eldad den Moment der Explosion. Einige Meter weiter hinten stand der Bus, ausgebeult und mit zerborstenen Scheiben. "Ich dachte zuerst, dass hinter mir eine Rakete eingeschlagen hätte. Dann hörte ich Leute schreien. Ich habe gesehen, wie Menschen aus dem Bus geströmt sind. Überall waren Glassplitter."

Sofort nach dem Anschlag strömten laut Passanten Soldaten aus der angrenzenden Kaserne zu Hilfe. Die Polizei leitete eine Großfahndung nach zwei Verdächtigen ein. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, vom Ort des Anschlags fern zu bleiben; es gab Befürchtungen, dass eine weitere Bombe in der Gegend versteckt sein könnte.

Nachdem der achte Tag der israelischen Offensive gegen den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen für viele Menschen noch mit Hoffnungen auf einen eventuellen Waffenstillstand begonnen hatte, waren nun viele überzeugt, dass eine friedliche Beilegung des Konflikts mit dem Anschlag wieder in die Ferne gerückt sei. Denn die Forderung der Bevölkerung in Israel, rasch zu handeln, wuchs - und damit der Druck auf die Regierung, eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen einzuleiten. "Das reicht endgültig", schimpfte ein aufgebrachter Passant am Anschlagsort. "Töten, töten, töten. Die Hamas muss zerstört werden." Auch für Eldad, den Zeugen des Anschlags, schien es nur eine Antwort zu geben: "Wir müssen nach Gaza rein. Es ist hart, und es macht mich traurig. Aber das kann so nicht weiter gehen."

Schon am Dienstagabend hatte es zunächst geheißen, ein Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel stünde kurz bevor. Doch die Kampfhandlungen gingen unvermindert weiter. Israel beschoss weiterhin Ziele im Gazastreifen, Raketen schlugen im Süden Israels ein. Bei den Angriffen am Dienstag wurden ein israelischer Soldat und ein Zivilist getötet. Nach mehr als 100 israelischen Angriffen aus Luft und See in der Nacht auf Mittwoch stieg die Zahl der Todesopfer in Gaza auf knapp 150 an.

Israel stimmte erst nicht zu

Und so hätte am Mittwoch die Hoffnung auf einen Waffenstillstand fast die Realität überholt. Bald wurde klar, dass Israel dem ersten Vorschlag nie zugestimmt hatte. Laut Berichten von "Haaretz" vor allem wegen Uneinigkeiten innerhalb der israelischen Regierung.

"Die Bedingungen, die Ägypten an Israel herangetragen hat, sahen auch eine Öffnung der Seeblockade des Gazastreifens vor", sagt Shlomo Brom, Experte am Institut für nationale Sicherheitsstudien und Ex-Mitglied des israelischen Nahost-Verhandlungsteams: "Die Bedingungen waren für Israel einfach nicht akzeptabel."

Der von der Hamas regierte Gaza-Streifen steht seit 2006 unter einer strengen Grenzblockade Israels. Auch Ägypten hat seine Grenzen zu Gaza nur teilweise geöffnet, sodass viele Waren ausschließlich über Untergrundtunnel eingeführt werden. Andauernde Stromausfälle, schlechte medizinische Versorgung und kaum Chancen zur Ausreise haben das Leben der Bevölkerung schon seit Jahren zermürbt. Gerade deshalb wollte die Hamas aus den Waffenstillstandsverhandlungen mehr als nur ein Ende der Kampfhandlungen herausschlagen.

Dass die Verhandlungen von Ägypten vermittelt wurden, machte die Angelegenheit nicht unbedingt leichter. Denn sowohl Israel als auch die Hamas wollten auch von Kairo Sicherheitsgarantien, die sie nun erhielten.