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Erkaltete Freundschaft

Von Alexander Dworzak

Politik

Merkel gefangen zwischen Staatsräson und Ablehnung der Siedlungspolitik.


Berlin/Jerusalem. Sie genießt Kult-Status in Israel, die Bevölkerung verehrt Angela Merkel spätestens seit ihrer Rede in der Knesset 2008. In einem bewegenden Auftritt erklärte die deutsche Kanzlerin die gesicherte Existenz Israels damals zur "deutschen Staatsräson". Und dieses Paradigma dürfe "in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben". Auch vier Jahre danach sind Merkels Grundpfeiler unverrückbar. Als stark belastet gelten hingegen die Beziehungen zum israelischen Premier Benjamin Netanyahu - und langsam scheint Europas mächtigster Politikerin der Geduldsfaden zu reißen.

Alles andere als eitel Wonne herrschte bereits vor dem Gipfel zwischen den Regierungsspitzen beider Länder, der bis heute, Donnerstag, in Berlin stattfindet. Von "offenen Gesprächen unter Freunden" war die Rede - übersetzt aus der Diplomatensprache bedeutet dies "harte Kritik". Denn die Ankündigung der Jerusalemer Regierung, 3000 neue Wohnungen in den besetzten Gebieten Ostjerusalems und des Westjordanlandes bauen zu lassen, hat für internationale Empörung gesorgt.

Das Bauvorhaben torpediert die international favorisierte Zwei-Staaten-Lösung. Das Westjordanland wäre in einen Nord- und einen Südteil gespalten - was eine Vereinigung des Territoriums bei der Gründung eines eigenen Palästinenserstaat praktisch verunmöglichen würde. Sauer aufgestoßen ist in den europäischen Staatskanzleien auch der Zeitpunkt der Ankündigung: Israel kommunizierte die Siedlungsoffensive unmittelbar nach der UN-Abstimmung in der vergangenen Woche, bei der Palästina mit überwältigender Mehrheit den Status eines Beobachterstaates erhielt; Deutschland enthielt sich dabei überraschenderweise der Stimme und votierte nicht gemeinsam mit Jerusalem dagegen.

"Israel untergräbt damit das Vertrauen in seine Verhandlungsbereitschaft", rügte Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert die geplanten Siedlungen. Seine ungewohnt harten Worte waren der Ausgangspunkt für einen neuen Ton gegenüber dem Verbündeten. Die Zwei-Staaten-Lösung "stirbt Haus für Haus, durch den fortgesetzten Siedlungsbau", legte CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz, ein Parteikollege Merkels, nun in der "Zeit" nach. Scharfe Kritik an den Bauplänen kam am Mittwoch auch von SPD und Grünen.

Wahlkampf statt Weltpolitik

Israels Regierung gibt sich vorerst unbeirrt. Das Verteidigungsministerium teilte ebenfalls am Mittwoch mit, dass bereits ein Planungsausschuss mit Architekten und Bauunternehmern über die Errichtung der Wohnungen beriet. Im Land herrscht Wahlkampf, am 22. Jänner wird ein neues Parlament gewählt. Einen Rückzieher bei den Plänen kann sich Netanyahu kaum leisten, ein Aufweichen der bislang so harten Siedlungspolitik würde nationalreligiöse und orthodoxe Wähler vergraulen. Internationale Missbilligung nimmt der Premier für den Wahlsieg gern in Kauf.

Aussitzen konnte Netanyahu bislang noch jede Krise mit befreundeten Staaten. Zwar bestellte die EU wegen der Siedlungspolitik den israelischen Botschafter bei der Union ein. Doch eine immer wieder ventilierte Aufhebung des Handelsabkommens mit Israel würde wegen der fehlenden Einigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten scheitern. "Netanyahu mag sich als gewieften Taktiker sehen. Aber selbst Israels Freunde halten ihn für unglaubwürdig oder nicht verlässlich", urteilt ein Kommentator in der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz".

Wissenschafterin ausgeladen

Trotz des Disputs nicht zur Debatte steht für Angela Merkel die Lieferung deutscher U-Boote an Israel. Auch Funk- und Aufklärungstechnik sowie Waffensysteme für die Landkriegsführung hat die Berliner Regierung in den vergangenen Monaten laut "Handelsblatt" genehmigt.

Dass die Stimmung zwischen Berlin und Jerusalem angespannt ist, verdeutlicht nicht nur die kurzfristige Absage von Israels Außenminister Avigdor Lieberman, der dem Gipfel fernblieb. So wurde die Menschrechtsexpertin Rivka Feldhay, die am Donnerstag an einer Diskussionsrunde mit Merkel, Netanyahu und weiteren Wissenschaftern teilnehmen sollte, von israelischer Seite kurzerhand ausgeladen, schreibt "Haaretz". Begründung: Sie habe sich kritisch über Israels Politik im Westjordanland geäußert.