Zum Hauptinhalt springen

Die Wahl der Waffen - das ewige Dilemma der USA

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Analyse: Warum sich in den USA trotz des Newtown-Massakers wenig ändern wird.


New York/Newtown. Es wäre ganz einfach, das Problem zu lösen, wenn diese Leute doch nur auf ihn hören würden. Die Analyse: "Alle Massenmorde der jüngeren Geschichte haben sich in Orten ereignet, in denen Waffen verboten sind (...) Die Attentäter suchen sich genau diese Orte aus, weil sie wissen, dass dort niemand außer ihnen bewaffnet ist." Die Schlussfolgerung: "Wenn die Schuldirektorin eine M4-Maschinenpistole in ihrem Büroschrank gehabt hätte, wäre sie in die Lage gewesen, ihm den Kopf wegzuschießen, bevor er diesen Kindern Leid antun konnte." Louis Gohmert sitzt seit rund sieben Jahren im Kongress, wo er im Abgeordnetenhaus den ersten Wahlbezirk von Texas repräsentiert. Nämliches erzählte der 59-Jährige am Sonntag in Rahmen der Talkshow "Fox News Sunday".

Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika diskutieren wieder einmal über Waffen und die sie betreffenden Gesetze, ein Ritual, das sich immer dann, und nur dann, vollzieht, wenn sich ein entsprechender Anlass findet. Nachdem am Freitagmorgen 26 Menschen, darunter 20 Kinder im Alter von sechs, sieben Jahren, in Newtown, Connecticut, von einem offenbar geistig umnachteten Amokläufer ermordet wurden, ist dieser gegeben. Was am Ausgang der Debatte, so viel lässt sich - ganz ohne Zynismus - jetzt schon sagen, nicht viel ändern wird. Das liegt an Leuten wie Louis Gohmert, die faktischen wie argumentativen Unsinn verbreiten, aber nicht nur. Nur wenige Stunden, bevor sich Adam Lanza nach dem Mord an seiner Mutter auf den Weg in die Sandy Hook High School machte, hatte etwa das von Gohmerts Parteifreunden dominierte Abgeordnetenhaus des Bundesstaates Michigan ein Gesetz verabschiedet, das den Erwerb von Waffen massiv erleichtert und, anders als bisher, das Tragen solcher in Schulen, Kindergärten und Kirchen erlaubt. Nun möchte man meinen, dass weder wild gewordene texanische Kongressabgeordnete noch Parlamente von Bundesstaaten des Mittleren Westens die Debatte angesichts der Emotionen, die Newtown freigemacht hat, entscheidend beeinflussen können und sie tun das in diesen Tagen auch nicht.

Durchschnittlich zwei Amokläufe pro Jahr

Präsident Barack Obama, der am Sonntagabend mit tröstenden und mahnenden Worten vor die Bürger der 27.500-Einwohner-Stadt trat und versprach, sein ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, weiß die öffentliche Meinung, die jetzt prinzipiell nach mehr Kontrolle verlangt, hinter sich ("Es genügt nicht mehr, mit den Schultern zu zucken und zur Tagesordnung überzugehen"). Aber wenn es bezüglich einer Novellierung der Waffengesetze auf Bundesebene ans Eingemachte gehen wird, wird das zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem Newtown nicht vergessen, aber abgehakt sein wird.

Laut einer von der Website des linksliberalen Magazins "Mother Jones" veröffentlichten Liste passieren Amokläufe in den USA im Schnitt zweimal im Jahr (basierend auf Erhebungen aus den vergangenen drei Jahrzehnten). Die legislative Konsequenz daraus war und ist bisher nahezu gleich null. Daraus freilich ein Pauschalurteil über das allzu entspannte, weil historisch begründete Verhältnis der Amerikaner zu potenziellen Mordinstrumenten abzuleiten, wäre dennoch ungerecht. New York City zum Beispiel, die größte Stadt des Landes, kennt eines der strengsten Waffengesetze, das die USA je gesehen haben. Der Bürgermeister des Big Apple, der Multimilliardär Michael Bloomberg, mag sich als Politiker in vieler Hinsicht zweifelhafter Methoden bedienen, aber als einziger gewichtiger Kopf in einer Reihe von Gesetzgebern, deren Einfluss beschränkt bis nicht vorhanden ist, stellt er dieser Tage einen, man kann es nicht anders sagen, Leuchtturm in der Finsternis dar.

Kurz vor der vergangenen Präsidentschaftswahl hatte Bloomberg eine Empfehlung für den Amtsinhaber abgegeben, deren damit verbundene Bringschuld er angesichts der Ereignisse von Newtown jetzt lautstark einfordert: "Der Präsident muss endlich begreifen, dass Worte nicht mehr reichen. Ich weiß, dass er meine Überzeugungen teilt. Aber wenn diesen Überzeugungen keine Taten folgen, sind sie umsonst", erklärte der 70-Jährige der Nation live in "Meet the press", dem so traditions- wie einflussreichen sonntäglichen Talkshow-Flagschiff von NBC.

Bloomberg ist auch der Einzige, der auf den Einwand, dass es kein Gesetz der Welt gebe, das Amokläufe verhindern könnten, nicht nur mit den richtigen Argumenten kontert, sondern diese auch offensiv vorträgt: "Es geht nicht darum, ob dieser konkrete Fall zu verhindern gewesen wäre. Die Frage ist, wie wir es schaffen, solche Taten mit gesetzlichen Maßnahmen so weit wie möglich zu verhindern." Die Waffen, mit denen Adam Lanza seine Morde verübte, wurden ausnahmslos legal erworben. Sie stammten aus dem Arsenal seiner Mutter, die laut Berichten der "New York Times" damit gern prahlte.

Bloomberg traut sich auch als einer der wenigen, die Wurzel des Übels zu benennen: die laut eigenen Angaben rund viereinhalb Millionen Mitglieder zählende National Rifle Organisation (NRA), deren Lobbyisten zahlreiche Kongressabgeordnete - mehrheitlich Republikaner, aber auch gar nicht wenige Demokraten - mittels öffentlicher Unterstützung und Geldgeschenken an der kurzen Leine halten. Aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Leute wie Bloomberg Gehör finden sollten, ändert das nichts am Kern des Problems.

Eine Steuer auf Muniton als Ausweg aus dem Dilemma?

Statistisch gesehen besitzt fast jeder US-Bürger eine Waffe. Die abertausenden illegalen, die zwischen Ost- und Westküste kursieren, nicht miteingerechnet. Aber selbst wenn - wie von dem Medientycoon gefordert und von wenigen, aber namhaften Kongressmitgliedern angedacht - Background-Checks eingeführt werden, im Rahmen derer potenzielle Käufer auf ihre Krankengeschichte, ihre mentale Stabilität und dergleichen abgeklopft werden, würde das nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen.

Die einzige Hoffnung auf Besserung beruht in diesem Zusammenhang vielleicht auf vormals als verrückt abgetanen Vorschlägen aus der jüngeren Vergangenheit. Der 2003 verstorbene Daniel Patrick Moynihan, der New York ein Vierteljahrhundert lang als Senator diente und als eines der intellektuellen Aushängeschilder der Liberalen im Land galt, hatte im Jahr 1993 vorgeschlagen, sich mit der Realität abzufinden, "dass selbst, wenn wir morgen den Kauf aller Waffen verbieten würden, es mindestens 200 Jahre dauern würde, bis die letzte aus einem privaten US-Haushalt verschwunden wäre."

Moynihans Schlussfolgerung: Nachdem in diesem Szenario der Vorrat an Munition aber schon nach drei Jahren aufgebraucht wäre, wäre es doch sinnvoll, die Steuern auf Partonen massiv zu erhöhen. Motto: Was mit Zigaretten funktioniert, kann auch mit Kugeln funktionieren. Ein Denkansatz, der es angesichts der Ereignisse von Newtown und allen dieser Art, die noch folgen werden, wert wäre, endlich ernst genommen zu werden.