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Schattenkrieger in Nahost

Von WZ-Korrespondent Adrian Lobe

Politik

Um Aufstände zu verhindern, werden Dissidenten Daumenschrauben angelegt.


Abu Dhabi. Sie kamen in der Nacht ins Morgenland. Im November 2011 setzte ein Flugzeug am Flughafen in Abu Dhabi auf. 20 Männer stiegen aus der Maschine, gekleidet in Bauarbeiteruniformen. Sie wurden von einem Geheimdienstagenten durch die Sicherheitsschleuse gelotst und in einen Bus mit abgedunkelten Scheiben gebracht. 20 Kilometer ging es in die Wüste. Das Ziel: Zayed Military City, ein Militärcamp. Die Männer waren in Wirklichkeit Soldaten aus Kolumbien. Zusammen mit Söldnern aus Südafrika werden die kolumbianischen Legionäre zu einer Spezialeinheit ausgebildet.

Der Hintergrund: Der Staatsführung des autoritär regierten Emirats Abu Dhabi ist ob der Unruhen in Nordafrika und im Nahen Osten beunruhigt. Die Revolte könnte, so die Befürchtung, auch auf die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) übergreifen - und die Scheichs aus ihren Palästen jagen. In Abu Dhabi leben sechs Millionen Einwohner. Unter ihnen sind nur 900.000 Emiratis, der Rest sind zugewanderte Arbeiter aus Indien, Pakistan und Afrika. Die Migranten verdienen deutlich weniger als die Einheimischen und sind rechtlich benachteiligt. Das Baurecht stand bis vor wenigen Jahren allein Emiratis und Nachbarn arabischer Staaten zu. Die Ungleichheit birgt sozialen Sprengstoff. Bis jetzt gab es zwar noch kaum Proteste. Doch die Stimmung könnte schnell kippen. Beim Versuch, eine solche Dynamik zu verhindern, setzt die Staatsführung auf eine schlagkräftige Armee - und heuert Söldner aus der ganzen Welt an.

Zähneknirschen in Bogota

In Kolumbien sind die verantwortlichen Generäle über die Abwerbung konsterniert. Das Land hat einen zähen Guerilla-Krieg durchlebt, die Regierung geht noch immer mit Waffengewalt gegen Farc-Rebellen vor. "Wir haben Soldaten rekrutiert, die an der Front waren", sagt ein anonymer General der kolumbianischen Wochenzeitung Semana. "Stolze und mutige Männer mit Erfahrung. Die Armee hat viel in ihre Ausbildung investiert. Und nun rennen sie davon." Der General räumt gleichsam ein: "Wir können nichts dagegen tun. Es ist völlig legal."

In Kolumbien verdient ein Soldat im Durchschnitt 950.000 Pesos (rund 430 Euro) im Monat. In Abu Dhabi bekommt er das Fünffache - rund 2270 Euro monatlich. Und das Salär steigt mit dem Rang exponentiell an. Ein Offizier, der in Kolumbien 2500 Euro verdient, erhält in Abu Dhabi bis zu 14.610 Euro. Angesichts der hohen Saläre verwundert es nicht, dass die Soldaten in Scharen in die Emirate strömen.

Eingefädelt hat den Deal ein gewisser Erik Prince. Der gewiefte Geschäftsmann gründete die private Sicherheitsfirma Blackwater, die im Auftrag der US-Regierung Söldner für den Irak-Krieg rekrutierte. Durch die Privatarmee, deren Stärke auf bis zu 100.000 Mann geschätzt wurde, sollte der strapazierte Verteidigungshaushalt der USA entlastet werden. Billig Krieg führen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen - das war die Intention der Bush-Administration. Prince, der Mann fürs Grobe, schien für diesen Auftrag geeignet. Doch die Mission lief aus dem Ruder. Die Söldnertruppe führte rüde und rabiat Krieg - und war keiner Kontrolle unterworfen. In einem Untersuchungsbericht des US-Kongresses heißt es, die bezahlten Kämpfer seien "rücksichtslose Wachleute, die zuerst schießen, nicht immer nüchtern waren und nicht immer anhielten, um zu sehen, wer oder was von ihren Kugeln getroffen wurde". Im Jahr 2007 wurde bekannt, dass Blackwater-Sicherheitsmänner 17 Zivilisten im Irak töteten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Prince, der heimliche Strippenzieher im Pentagon, war nicht mehr tragbar. Nachdem die irakische Regierung der Firma die Lizenz entzog, nannte sich Blackwater in "Xe Service" um. Die Namensänderung verhalf der Firma zu keinem Imagewandel. Die Firma war diskreditiert und zur Projektionsfläche für die Gräuel im Irakkrieg mutiert. Im Dezember 2010 veräußerte Prince seine Firma an eine Investorengruppe.

Privatarmee für den Scheich

Tempi passati. Prince soll nun in Abu Dhabi für Sicherheit sorgen - mit dem gleichen Konzept. Scheich Mohamed bin Zayed al-Nahyan beauftragte den Amerikaner mit dem Aufbau einer Privatarmee. 509 Millionen US-Dollar erhielt Prince für diese Mission. Dank sprudelnder Einnahmen aus dem Ölgeschäft ist die Summe für das Emirat ein Klacks. Die jährliche Wirtschaftsleistung liegt nach Angaben der Weltbank bei über 300 Milliarden US-Dollar. Für die Sicherheit des Emirats öffnet der Scheich gern seine Schatulle.

Rückblende: Im Frühjahr 2010 treffen sich Unterhändler von Xe Service und der Königsfamilie zu Gesprächen im Nobelhotel Park Arjaan by Rotana. Es geht um den Aufbau einer Fremdenlegion in Abu Dhabi. In der Lobby läuft Jazz, Kellner servieren türkischen Kaffee, Visitenkarten wandern über den Tisch. Alles läuft diskret ab. Verschwiegenheit ist oberstes Gebot bei den Verhandlungen. In einem schwarzen Koffer mit Dirhams im Wert von mehreren hunderttausend US-Dollar wird die erste Anzahlung in Höhe von 21 Millionen Dollar getätigt. Bin Zayed al-Nahyan - sorgsam getrimmter Vollbart, scharfer Blick - ist ein ausgefuchster Taktiker. Seine Gesprächspartner brauchen Geduld. Viel Geduld. Erik Prince weiß mit diesem Langmut umzugehen. Der Scheich und er sind alte Bekannte. Bin Zayed genoss eine Ausbildung an der britischen Militärakademie Sandhurst, wo er Kontakte zu amerikanischen Offizieren knüpfte. Prince war Mitglied der Navy Seals. So entstand die Verbindung zum Königshaus. Princes Firma, die unter dem Kürzel "R2" firmiert, wurde vom Kronprinzen angeblich mit einer offiziellen Lizenz ausgestattet. "Die Golfstaaten und insbesondere die VAE haben in Militärfragen wenig Erfahrung", zitiert die "New York Times" einen Sicherheitsberater im Weißen Haus. Aus diesem Grund greifen die Emirate auf US-amerikanische Expertise zurück. Ein riskanter Schritt. Schließlich schlägt den USA in der Region Verachtung und Hass entgegen.

Prince bleibt in der Angelegenheit ein Schattenspieler. Seine Identität kaschiert er ebenso wie seine zahlreichen Verwicklungen. Der Name taucht auf keinem Dokument auf. Laut Recherchen der "New York Times" agiert er unter dem Codenamen "Kingfish". Mark C. Toner, ein Sprecher des State Department, wollte nicht bestätigen, ob Prince eine Lizenz erhalten hat und ob dies eine Verletzung amerikanischen Rechts darstellt. Toner betont, dass Blackwater - inzwischen heißt die Firma "Academi" - im Jahr 2010 42 Millionen Dollar Strafe zahlte. Der Grund: Das Unternehmen bildete Truppen in Jordanien aus. Ein schmutziges Geschäft mit vielen Winkelzügen und Geheimtreffen.

Die klandestine Operation in Abu Dhabi hat für Prince den Vorteil, dass er nicht mehr von der US-amerikanischen Justiz behelligt wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und ehemalige Mitarbeiter von Blackwater wegen des Verdachts der Bestechung und des Waffenschmuggels. Seit 2010 ist Prince Staatsbürger des Emirats. Er genießt diplomatischen Schutz und das Vertrauen der Königsfamilie.

Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan gilt als ein Falke in der Außenpolitik, als ein erbitterter Gegner des Iran. "Er sieht die Logik des Kriegs in der Region, und sein Denken erklärt die beinahe bemessenen Bemühungen, eine eigene Streitkraft aufzubauen", heißt es in einem Kabel der amerikanischen Botschaft in Abu Dhabi, das WikiLeaks veröffentlichte. Der Prinz will den Mullahs Paroli bieten. Und dafür lässt er gerne die militärischen Muskeln spielen. Teheran wiederum droht mit bei einem Angriff auf sein Territorium mit einem Vergeltungsschlag gegen die Golfstaaten.

Die geopolitische Lage ist im Nahen Osten nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Syrien äußerst angespannt. Die Gefechte könnten sich schnell zu einem Flächenbrand ausweiten. Das Regime in Abu Dhabi ist beunruhigt. Und noch eine Entwicklung bereitet der Königsfamilie Kopfzerbrechen: der Machtzuwachs der Muslimbrüder. Die religiöse Gruppierung sieht sich durch den Arabischen Frühling im Aufwind. In Ägypten stellt sie mit Mohammed Mursi gar den Präsidenten. Die Emire, die ihre Herrschaft auf Stammesgesellschaften stützen, sehen ihr Herrschaftsmonopol durch die Emergenz der Islamisten in Gefahr. Der Außenminister der Emirate, Scheich Abdullah Bin Zayed Al Nahyan, denunzierte die Muslimbruderschaft als eine "Organisation, die die Souveränität und Integrität der Staaten unterminiert" und rief die Golfstaaten zu Geschlossenheit gegen die Usurpatoren auf. Dass die Monarchen der Muslimbruderschaft in inniger Feindschaft verbunden sind, ist nicht neu. Doch mit dem Arabischen Frühling hat sich der Ton verschärft. Nachdem Sheikh Youssef Qaradawi - ein in Qatar ansässiger ägyptischer Priester und Fürsprecher der Muslimbrüder - sich kritisch über die absolutistische Monarchie äußerte, drohte ihm die Polizei in Dubai mit Zwangsmaßnahmen, falls er in das Land einreisen würde. Die Behörden wollten verhindern, dass der gewandte Redner in den Emiraten Unterstützer gewinnt.

Keule für Kritiker

Nasser Bin Ghaith, ein anerkannter Ökonom, wurde letztes Jahr wegen seiner kritischen Haltung zum Regime verhaftet. Der Wissenschafter prangerte im Internet das Wirtschaftsmodell in Abu Dhabi an, das seiner Ansicht nach auf Korruption und Vetternwirtschaft fußt. Vier weitere Aktivisten landeten im Gefängnis. Das Meinungsforum ist mittlerweile gesperrt. Trotz Zensur wird der stille Protest aber weiter über das Internet orchestriert. "Whistled Dissent", nennt es der britische "Economist" - geflüsterte Zwietracht. Zwar betont ein Regierungssprecher, dass Abu Dhabi einer der wenigen Orte auf der Welt sei, "wo Inder und Pakistanis in Frieden zusammenleben und Cricket spielen könnten". Doch die Aussage ist im Hinblick auf die eingeschränkten Freiheitsrechte verklärend.

Die Behörden gehen nicht gerade zimperlich mit den Bürgern um. Als im März letzten Jahres 60 Emiratis vor der syrischen Botschaft demonstrierten, wurden sie von den Ordnungskräften schikaniert und verhaftet. "Das Verhalten zeigt, dass wir uns allmählich in einen Polizeistaat verwandeln", sagt Bin Ghaith. Insgeheim sympathisieren viele Emiratis mit den syrischen Aufständischen und Revolutionären des Arabischen Frühlings. Doch offen kundtun will diese Meinung niemand. Zu groß ist die Angst vor Repressionen. Die Herrscherdynastie, die den Ölreichtum des Landes kontrolliert, will ihre Macht mit allen Mitteln zementieren. Im Ernstfall würde sie wohl auch nicht davor zurückschrecken, einen Aufstand mit der Armee niederzukartätschen. Ob es so weit kommt, ist nicht absehbar. Die kolumbianischen Söldner sind in jedem Fall für einen Guerillakampf gerüstet.