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Mit Feuerwaffen gegen Steine - Kritik nimmt zu

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Israel boykottiert Prüfung durch UN-Menschenrechtsrat in Genf.


Tel Aviv. Die 21-jährige Palästinenserin Lubna Hanash stand laut Augenzeugen gerade an einer Bushaltestelle, als israelische Soldaten plötzlich auf eine Gruppe Palästinenser neben ihr feuerten. Eine der Kugeln traf Hanash am Kopf, und sie starb kurze Zeit später. Nur wenige Stunden davor erlag ein 15-jähriger Palästinenser den Schusswunden israelischer Soldaten, die wenige Tage davor mit scharfer Munition auf Demonstranten in Bethlehem feuerten. In der Woche davor erschoss das israelische Militär den unbewaffneten 17-jährigen Samir Awad aus dem Dorf Budrus von hinten. Er habe "versucht nach Israel einzudringen", und deshalb habe man "sofort eingegriffen", erklärte das israelische Militär. Eine Untersuchung sei eingeleitet worden. Doch wie fast immer bleibt diese vermutlich ohne Veröffentlichung der Ergebnisse.

Diese drei Vorfälle sind zwar sehr unterschiedlich, haben jedoch eines gemeinsam: Sie bezeugen den Kollateralschaden der israelischen Besatzung des Westjordanlandes, der beinahe wöchentlich palästinensische Menschenleben fordert.

Dieser Trend hat sich in den letzten Monaten verschlimmert. So sind seit Mitte November auf ähnliche Weise insgesamt acht palästinensische Zivilisten getötet worden, darunter auch drei Minderjährige und eine Frau. Schwer bewaffnet und mit modernster Technologie ausgestattet, geht das israelische Militär trotz eindeutiger Überlegenheit immer wieder mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Diese werfen oft mit Steinen oder zünden Autoreifen an. Doch oft genug sind die Proteste auch gewaltfrei. Doch auch die Organisatoren friedlicher Demonstrationen wurden wiederholt von der Armee inhaftiert und angegriffen. Jugendliche, die von der Armee als Steinewerfer verdächtigt werden, können monatelang ohne jegliche Anklage eingesperrt werden. Denn die Richtlinien des Militärs beschränken das Demonstrationsrecht von Palästinensern und geben Kommandanten die Macht, jedes Gebiet beliebig oft als Sperrzone und damit rechtsfreien Raum zu erklären.

Unverhältnismäßige Gewalt

"Das Recht auf friedlichen Protest muss bewahrt werden, aber die Proteste müssen auch gewaltfrei bleiben", erklärte der UN-Koordinator für Humanitäre Angelegenheiten in den besetzten Palästinensergebieten, James Rawley, diesen Mittwoch in einer Aussendung. "Der Einsatz scharfer Munition gegen Zivilisten stellt unverhältnismäßige Gewaltanwendung dar und derartige Vorfälle müssen untersucht werden", so Rawley.

Auch die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem übt in einem neuen Bericht scharfe Kritik am Handeln der israelischen Armee gegenüber palästinensischen Demonstranten. Dabei beschuldigt die Nichtregierungsorganisation das Militär, die eigenen Richtlinien durch das Verwenden scharfer Munition gegen Demonstranten laufend zu verletzen. Laut B’Tselem seien seit 2005 mindestens 46 Palästinenser im Westjordanland erschossen worden, weil sie an Protesten teilgenommen haben, bei denen auch Steine auf Soldaten geworfen wurden. Sechs weitere starben durch Patronen mit Gummihülle, und zwei durch den direkten Beschuss eines Tränengaskanisters. Die Armee und die Grenzpolizei würden außerdem nicht-tödliche Waffen wie Tränengas missbräuchlich verwenden, sodass die zur tödlichen Gefahr werden können, oder schwere Verletzungen hervorrufen, schreibt B’Tselem im Bericht.

Auch hat Israel die Universelle Menschenrechtsprüfung (UPR) des UN-Menschenrechtsrats in Genf boykottiert, indem es als erstes Land überhaupt keinen Vertreter zu der Ratssitzung an diesem diesen Dienstag entsandte. Damit flüchtet Israel nicht nur vor den eigenen Vergehen, sondern könnte durch den Boykott auch zu einem höchst gefährlichen Vorbild für andere Staaten werden.