Zum Hauptinhalt springen

Die dunklen Tage kehren zurück

Von Veronika Eschbacher aus Erbil

Politik

Machtkämpfe zwischen Schiiten und Sunniten werden im Irak verstärkt gewaltsam ausgetragen.


Bagdad/Erbil. "Wie Tikrit momentan ist? Blut, Bomben und Tötungen", sagt Randa, eine 21-jährige Frau aus der Heimatstadt des Ex-Diktators Saddam Hussein. Sie wohnt mittlerweile die meiste Zeit im ruhigen, kurdischen Norden des Irak, in Erbil - aus Sicherheitsgründen. Viele andere Familien von Politikern oder Clanführern aus dem Mittel- und Südirak tun es ihr bereits gleich, andere wollen folgen. Kein Wunder, eskalierte die Gewalt im Irak in den letzten Monaten auf ein lange nicht gesehenes Hoch. Laut der Website Iraq Body Count liegt die vorläufige Zahl der Todesopfer durch Gewalt allein im Mai bereits bei 759.

Das sind noch nicht die 3000 Toten im Monat, die während der bürgerkriegsähnlichen Zustände 2006/07 verzeichnet werden mussten, aber die höchste Zahl seit fünf Jahren. Viele Analysten und Beobachter fragen sich, wie viel höher sie noch anwachsen wird angesichts der Unzahl ungelöster Probleme des Landes und der geringen Aussicht auf deren rasche Lösung.

Die Gewalt wird zudem zunehmend zielloser. Die Angriffe der letzten Wochen erstreckten sich - mit Ausnahme der kurdischen autonomen Region - auf alle Landesteile, sogar auf das normalerweise relativ ruhige südliche Basra. Ziele waren sunnitische Moscheen, Sicherheitskräfte oder schiitische Bezirke in Bagdad. Auf Angriffe auf sunnitische Ziele folgen Vergeltungsschläge auf Schiiten und umgekehrt.

Einmal mehr geht im Land die Angst vor einem neuerlichen Abdriften in eine unaufhaltsame Gewaltspirale zwischen Sunniten und Schiiten um. Gründe für die Verschlechterung der Situation über die letzten Monate gibt es mehrere. Einerseits führt der schiitische Premierminister Nuri al-Maliki das Land immer autoritärer. Er hat etwa eigentlich unabhängige politische Institutionen wie die Zentralbank oder die Zentrale Wahlkommission unterminiert sowie Schlüsselabteilungen in Armee und Geheimdienst unter seine Kontrolle gebracht.

Die sunnitische Minderheit - etwa ein Fünftel der Bevölkerung - fühlt sich von ihm unterdrückt und benachteiligt. Seit Dezember des Vorjahres demonstrieren Sunniten gegen Maliki und dessen Regierung. Nicht gerade förderlich für die Versöhnung ist zudem der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien und der generelle Trend zunehmender Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten in der gesamten Region.

Iraks heutige Regierung ist aus der Wahl im März 2010 hervorgegangen, bei der die säkulare Liste Al-Irakiya des Politikers Ijad Allawi eine knappe Mehrheit gewinnen konnte. Al-Irakiya hat die meisten Sunniten hinter sich. Die schiitischen Blöcke aber schlossen sich zusammen und konnten infolge den Premier Maliki stellen. Die übrigen Schlüsselpositionen jedoch gingen an die Kurden (Präsident) und Sunniten (Parlamentssprecher). Die komplexe Machtverteilung setzt sich in vielen Regierungsämtern fort, die zwischen den drei Gruppen aufgeteilt sind. Die Spannungen haben sich derart verfestigt, dass etwa das Parlament - das regelmäßig von verschiedenen Blöcken boykottiert wird - seit Monaten keine konstruktiven Sitzungen mehr abhalten konnte. Viele Ministerposten sind unbesetzt.

Ist eigene Region für die Sunniten die Lösung?

Laut Nawzad Hadi Mawlood, dem Gouverneur von Erbil, ist eines der Hauptprobleme fehlendes Vertrauen zwischen Schiiten und Sunniten. Die Sunniten, die seit der Gründung des modernen Staates 1920 bis zum Sturz Saddam Husseins jahrzehntelang die Macht im Land innehatten, fürchten und beklagen ihre Marginalisierung im Land. Sie würden sich als Verlierer fühlen. Aber auch den nun regierenden Schiiten würde es an dem für Sicherheit nötigen Vertrauen in die Zukunft fehlen, nicht zuletzt, weil bis heute "leider manche arabische Nachbarländer die schiitische Regierung nicht unterstützen", sagt der Gouverneur zur "Wiener Zeitung".

Wann immer die Gewalt zwischen den Konfessionen eskaliert, wird die Idee einer Teilung des Irak wiederbelebt. Politologen zufolge haben die Proteste und der Tod von rund 50 sunnitischen Demonstranten im Protestcamp in Hawija Ende April die Herausbildung einer sunnitischen Identität weiter verstärkt. Das entferne sie noch weiter von einer Identifizierung mit einem vereinten Irak.

Kaum jemand denkt aber an eine komplette Zersplitterung des Landes entlang ihrer konfessionell-ethnischen Bevölkerung. Die irakische Verfassung bietet die Möglichkeit, dass einzelne Provinzen sich zu Föderalen Regionen zusammenschließen. Die Föderale Region Irakisch-Kurdistan ist die erste und bislang einzige dieser Regionen - und dabei extrem erfolgreich. Der letzte Terroranschlag ereignete sich 2007, die Wirtschaft boomt, neue Krankenhäuser, Straßen und Häuser sprießen wie Pilze aus dem Boden. Eine eigene Regionalregierung samt Sicherheitsapparat kümmert sich um die inner-kurdischen Angelegenheiten. Es gibt aber auch bereits 14 botschaftsähnliche Repräsentanzen Kurdistans im Ausland. Mit Blick auf den Norden scheint somit für die Sunniten eine eigene, föderale Region verlockend.

In letzter Zeit werden die Stimmen dafür wieder lauter. Die Anführer der sunnitischen Proteste verlautbarten, es gäbe nur zwei Wege aus der Krise: eine bewaffnete Konfrontation oder eine unabhängige Region. Problematisch ist aber auch hier, dass die Sunniten selbst zersplittert sind. Analysten sehen Maliki noch nicht am Ende. Seine Sicherheitskräfte seien geschlossen und würden als Puffer vor weiterem Chaos dienen. Zudem würden viele sunnitische Gruppen die Gewalt in Zaum halten wollen, um nicht wieder der Al Kaida in die Hände zu spielen. Von einem Untergang des Landes zu sprechen wäre viel zu verfrüht.