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Bangladesch wird zu einem Testfall für die globale Textilindustrie

Von Klaus Huhold

Politik

Ein neues Abkommen soll Arbeitern mehr Sicherheit bringen, nun wird sich weisen, ob Konzerne es umsetzen.


Dhaka/Wien. Die letzten Trümmer waren auch rund zwei Monate später noch nicht weggeräumt. Dort, wo einst in Sabhar, einem Vorort von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, in dem Gebäudekomplex Rana Plaza Kleidung für den Westen genäht wurde, standen Wochen danach die Angehörigen von Vermissten vor Stacheldraht und Schuttresten. Sie hielten Fotos ihrer Familienmitglieder in die Höhe, die wohl nicht mehr leben, aber deren Leichen damals offenbar noch nicht geborgen waren oder noch nicht identifiziert werden konnten. Mehr als 1100 Menschen waren nach offiziellen Zahlen Ende April bei dem Einsturz des Gebäudes, das einige Geschäfte, aber auch Textilfabriken beherbergte, ums Leben gekommen - und bis heute suchen einzelne Familien nach ihren vermissten Angehörigen.

Gewerkschafter und Aktivisten berichteten, dass sie in den Trümmern die Kleidungsreste westlicher Unternehmen fanden, etwa von Kik oder Primark. Kurz vor dem Einsturz hatten Näher Risse in den Wänden entdeckt, wurden aber gezwungen weiterzuarbeiten. Die Katastrophe warf ein Schlaglicht auf die Zustände, die teilweise in der Textilindustrie bei Zulieferern globaler Marken herrschen. Und Bangladesch wurde Synonym für ein Land, in dem rechtlose Arbeiter offenen Auges ins Verderben getrieben werden.

Doch ausgerechnet Bangladesch könnte nun eine globale Vorbildwirkung einnehmen. Denn nach den Toten vom Rana Plaza - und es ist tragisch, dass es dieses Unfalls dazu bedurfte - hat sich in dem südostasiatischen Land die Textilindustrie bewegt, um zumindest die Sicherheit an den Arbeitsplätzen zu verbessern. Ein Abkommen kam kürzlich zustande, das rechtlich bindend ist und auch die Gewerkschaften einbezieht. Es gilt als so fortgeschritten, dass es viele NGOs und Gewerkschaften gerne als Vorbild für andere Billiglohnländer nehmen würden. "Das wäre das Traumszenario", sagt Tom Grinter, Sprecher des internationalen Gewerkschaftsverbandes IndustriALL, der das Abkommen mit vorangetrieben hat.

Viele Fabriken müssen nachgerüstet werden

Walmart, Gap und weitere US-Unternehmen haben zwar ihre Unterschrift verweigert, doch mehr als 70 hauptsächlich europäische Großkonzerne, etwa Benetton und C&A, sind dem Abkommen für Gebäudeschutz und Brandsicherheit beigetreten. Damit wird der Großteil der mehr als 5000 Textilfabriken in Bangladesch von dem Übereinkommen abgedeckt. Die Vereinbarung sieht nun unabhängige Sicherheitsüberprüfungen vor. Wenn Fabriken dann etwa nicht über Fluchtwege im Brandfall verfügen, müssen diese geschaffen werden - ansonsten sollen westliche Konzerne Geschäftsbeziehungen mit Subunternehmern, die die Sicherheitsvorkehrungen missachten, beenden.

Die Rahmenbedingungen wurden also geschaffen, nun kommt es aber auf die Umsetzung an. Und die bringt den Markenfirmen einiges an Kosten.

Da wären einmal die Sicherheitsinspektionen. Das Abkommen sieht vor, dass die Summe, die die Konzerne aufbringen müssen, sich danach richtet, wie viel sie in Bangladesch produzieren lassen. Für Großbezieher kann das mehrere hunderttausende Euro im Jahr ausmachen. Und die Summe ist nur dafür vorgesehen, die Arbeitsinspektionen in Gang zu bringen, um etwa Teams aufzustellen, Leute auszubilden und Büros zu schaffen.

Eine ganz andere Baustelle sind dann aber noch die anstehenden Reparaturen in Fabriken. Es wird geschätzt, dass zwischen 50 und 90 Prozent der Fabriken aufgerüstet werden müssen, berichtet Gibson der "Wiener Zeitung". Und diese Kosten sind noch schwer abschätzbar, können aber leicht hunderte Millionen Euro ausmachen.

Die Markenfirmen haben sich jedenfalls laut Gibson durch ihre Unterschrift unter das Abkommen dazu verpflichtet, dass sie sich um die Finanzierung kümmern, wenn in Fabriken die Sicherheitsmaßnahmen verbessert werden müssen.

Das heißt aber noch nicht, dass sie selbst für die Gelder aufkommen müssen. Denn wie das dann geschieht, dafür gebe es laut Gibson mehre Möglichkeiten. So könnten etwa Fonds der EU in diesen Prozess eingebunden werden oder der Konzern finanziert dem Zulieferer die Kosten vor - "aber da muss sichergestellt sein, dass der Zulieferer diese auch zurückzahlen kann".

Auch in Pakistan starben hunderte Arbeiter

Wie groß der Wille ist, das Abkommen tatsächlich umzusetzen, ohne dass es verwässert wird, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Es ist jedenfalls ein Testfall für die Textilindustrie.

Wenn die Vereinbarung funktioniert, kann sie Signalwirkung für andere Länder haben und für diese adaptiert werden. Auch in Pakistan etwa sind schon hunderte Arbeiter in Textilfabriken ums Leben gekommen, weil Großbrände ausbrachen und es viel zu wenig Fluchtmöglichkeiten gab.

Aber auch in anderen Sektoren, etwa in Minen, sind Arbeiter von Südamerika bis Asien oft elenden Bedingungen ausgesetzt. Gibson meint, dass das Abkommen von Bangladesch auf lange Sicht auch hier zum Vorbild werden könnte. Im Moment müsse man sich aber - alleine der Kapazitäten wegen - darauf konzentrieren, "dass Realität wird, was in Bangladesch vereinbart wurde".

Auch die Konzerne geben sich meist vorerst verhalten, wenn es um die Ausweitung des Abkommens geht. H&M etwa - einer der ersten Unterzeichner des Abkommens in Bangladesch - schließt nicht aus, dass auch in anderen Staaten derartige Arrangements getroffen werden. Im Moment konzentriere man sich aber auf das Abkommen in Bangladesch, heißt es auf Anfrage.

Wenig Kompensation vom Staat, keine von den Firmen

Nach der Katastrophe von Rana Plaza versprach die Regierung in Bangladesch den Angehörigen 1250 US-Dollar in Bargeld und 19000 Dollar als Sparbrief zu überweisen. Bisher ist nur wenig passiert, nur 777 Familien haben eine Summe zwischen 1250 und 5000 Dollar überwiesen bekommen.

Warum Unterschiede gemacht werden und weshalb die Überweisung des versprochenen Geldes so lange dauert, ist bisher unbekannt. Das Geld hätte jedenfalls von der Regierung kommen sollen, 1250 US-Dollar sind das gesetzliche Minimum in Bangladesch. Fix ist nur, dass sich die westlichen Konzerne bei den Kompensationszahlungen bisher (mit der Ausnahme des britischen Retailers Primark) nicht beteiligen. Die Nicht-Regierungsorganisation Clean Clothes versucht jetzt über Twitter Druck zu machen, dass sich die Weltkonzerne Benetton und Mango zumindest an den Treffen über etwaige Kompensationszahlungen beteiligen. Eigentlich wären die Treffen für den August geplant gewesen, mussten aber aus Krankheitsgründen in den September verschoben werden.

69 Konzerne haben unterschriebenClean Clothes ruft dazu auf, dass alle Konzerne, die in Bangladesch produzieren, das Abkommen zur Sicherheit an Arbeitsplätzen (Accord on Fire & Building Safety in Bangladesh) zu unterschreiben. 69 haben es bereits getan, darunter befindet sich etwa: Abercrombie & Fitch, Aldi; Bay City Textilhandels Bestseller (unter anderem Vila, Vero Moda, Only, Jack & Jones, Pieces); Benetton; Bonmarche; C&A ; Camaieu; Carrefour; Charles Vögele; El Corte Inglés; Esprit; G-star; H&M; Helly Hansen; Hess Natur; IC Companys (unter anderem: Peak Performance, Tiger of Sweden, InWear/Matinique, Soaked in Luxury, Jackpot, Cottonfield); Inditex (Zara, Bershka); Kik; Lidl; Mango; Marks and Spencer; Otto Group; Primark; Puma; PVH (Tommy Hilfiger, Calvin Klein); Rewe; s.Oliver; Sainsbury’s; Shop Direct Group; Target; Tchibo; Tesco; V&D; We Europe.