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Eine Region am Abgrund

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

Afrikanische Länder sind so verwoben, dass Konflikte ineinander übergreifen.


Kampala. Drei prallvolle Koffer und einen Sack mit Kochgeschirr - das ist alles, was Familie Akau bei der überhasteten Flucht aus ihrer südsudanesischen Heimatstadt Bor mitnehmen konnte. Nach drei Tagen Fußmarsch durch die Halbwüste, einer Bootspassage über den Nil und einer Fahrt auf einem Lastwagen sind die fünf Söhne und die gebrechliche Mutter an der Grenze zum südlichen Nachbarland Uganda angekommen.

Erschöpft, ausgezehrt und verzweifelt hocken sie auf ihren Koffern jenseits des Grenzflusses Elugu. Vorerst sind sie in Sicherheit vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen in ihrer Heimat. "Plötzlich wurde überall geschossen, es lagen so viele Leichen auf den Straßen", erzählt der älteste Sohn Philip Akau. Seine Heimatstadt Bor, 70 Kilometer nördlich der südsudanesischen Hauptstadt Juba, war in den vergangenen Tagen mehrfach von Rebellen eingenommen und von Regierungstruppen wieder zurückerobert worden. "Es war schrecklich, der Krieg hat uns komplett überrumpelt", sagt er. Sie entschlossen sich, nach Uganda zu fliehen. "Aber jetzt wissen wir hier nicht wohin", klagt er.

Berichte von ethnischer Gewalt im Südsudan

Im Minutentakt hasten Flüchtlinge wie die Familie Akau aus dem Südsudan über die Brücke am Elugu. Ugandas Behörden haben direkt neben dem Schlagbaum ein Auffanglager eingerichtet. Zu Fuß, auf Motorrädern und Lastwagen kommen täglich tausende Südsudanesen an, die meisten sind Frauen und Kinder.

Anfang Dezember hat Südsudans ehemaliger Vize-Präsident Riek Machar eine Rebellion gegen Präsident Salva Kiir ausgerufen. Die Mehrheit der Soldaten der Armee schloss sich Machar an. Seitdem erobern die Rebellen täglich neue Landesteile, die Ölfelder im Norden sowie die Provinzstädte. Die eingeleiteten Vermittlungsgespräche zwischen Rebellen und Regierung scheinen im Sand zu verlaufen. In den vergangenen Tagen rückten die Rebellen auf Juba vor, nur zwei Fahrstunden von Ugandas Grenze entfernt. Die UNO schätzt die Zahl der Toten auf weit über 1000, das Forschungsinstitut International Crisis Group (ICC) geht laut "New York Times" sogar von schon 10.000 Todesopfern aus. Es soll auch ethnisch motivierte Morde gegeben haben, berichten Flüchtlinge.

Noch bevor die Flüchtige registriert werden, müssen sie vor ugandischen Polizisten ihre Habseligkeiten auspacken: "Warum haben Sie eine Uniform und Stiefel im Gepäck?", fragt ein Polizist eine Frau. Sie schaut verlegen auf den staubigen Boden. Ihre zwei Kinder klammern sich an ihren Beinen fest. "Ist Ihr Mann noch drüben und kämpft mit den Rebellen?", fragt der Polizist. "Lassen Sie ihn wissen, er ist hier nicht willkommen." Fast täglich finden die Polizisten auch Waffen und Munition im Flüchtlingsgepäck.

Ugandas Behörden sind mit dem Ansturm der Flüchtlinge schier überwältigt. Nur 23.000 Südsudanesen haben sie bislang registriert. Doch tatsächlich kommen wesentlich mehr Vertriebene nach Uganda. "Die meisten fahren über die Grenze und direkt weiter landeinwärts, sie registrieren sich nicht", sagt Ibrahim Ratib von Ugandas Flüchtlingsbehörde. Viele Flüchtlinge hätten Verwandte in Uganda, bei denen sie unterkommen. So fürchtet Uganda, dass der Konflikt im nördlichen Nachbarland bald überschwappen könnte.

Der Grenzposten am Elugu-Fluss war bis zum Ausbruch des Krieges im Dezember ein geschäftiger Umschlagsplatz. Lastwagen mit ugandischen Produkten sowie Busse mit Arbeitsmigranten fuhren täglich nach Norden. Aus dem Südsudan überquerten Tankwagen den Schlagbaum nach Uganda. Es herrschte Hochbetrieb an der Zollstation. Auf beiden Seiten des Elugu-Flusses wird die Überlandstraße in die jeweiligen Hauptstädte gerade, Juba im Südsudan und Kampala in Uganda, frisch asphaltiert, um die Transportwege zu verbessern. Jetzt brausen aus Uganda statt Wirtschaftsgütern Militärlastwagen über die Grenze. Hunderte Soldaten, Waffen und Panzer schickt Uganda. Aus dem Südsudan kommen abertausende Flüchtlinge.

Uganda gilt als Bruderstaat des Südsudan

Uganda gilt als großer Bruderstaat für das jüngste Land der Welt, den Südsudan, der sich nach über 20 Jahren Bürgerkrieg vor zweieinhalb Jahren vom Norden unabhängig erklärt hatte. Ugandas Präsident Yoweri Museveni wird als Schutzpatron dieser jungen Nation angesehen, da er den Unabhängigkeitskampf politisch und militärisch mit unterstützt hat.

Uganda hat enorme wirtschaftliche Interessen im Südsudan. Das trockene Land in der Halbwüste importiert fast alle Lebensmittel aus dem fruchtbaren Uganda. Jährlich nimmt Ugandas Staatshaushalt 800 Millionen Dollar Steuern aus dem Handel mit dem Südsudan ein. Schätzungsweise 20.000 ugandische Gastarbeiter verdienen im Südsudan ihr Geld, das sie nach Hause schicken. Ugandas Wirtschaftselite investiert in Juba in Immobilien und gründet Firmen. "Es gibt keinen Zweifel, dass wir über die Lage im Südsudan schwer besorgt sind", sagt Fred Opolot, Sprecher des Außenministeriums.

Der Bürgerkrieg im Südsudan ist nicht der einzige Unruheherd in der Region. Auch in Südsudans westlichem Nachbarland, der Zentralafrikanischen Republik, herrscht blutiges Chaos. Im März 2013 hatten Rebellen der Seleka (Allianz) aus dem muslimischen Norden des Landes die südliche Hauptstadt Bangui erobert, die Regierung gestürzt und systematisch die christliche Bevölkerung ausgeraubt und malträtiert.

Mobilisiert durch den gestürzten Ex-Präsidenten François Bozize, der in Kamerun im Exil ist, formierten Männer aus dem Süden Milizen. Sie bewaffneten sich mit Macheten, Spitzhacken und Äxten, um die Seleka-Rebellen zu vertreiben. Was als Kampf um die Regierungsmacht begann, mündete im Dezember in blutigen Massakern an Muslimen und Christen gleichermaßen. Tausende Menschen starben, hunderttausend haben Schutz am Flughafen in Bangui gesucht. Sie leben dort unter elenden Bedingungen ohne Unterkünfte. Insgesamt seien fast eine Million der fünf Millionen Einwohner des Landes vertrieben worden. Über 50.000 Zentralafrikaner suchten Schutz im südlichen Nachbarland, der Demokratischen Republik Kongo. Die kongolesische Regierung ist eng verbandelt mit dem ehemaligen Regime von Bozize.

Präsident Djotodia ist in Zentralafrika zurückgetreten

Vor lauter Furcht, der Konflikt könnte auch auf den krisengeschüttelten Kongo übergreift, schickt Kongos Regierung Soldaten nach Zentralafrika. Die Franzosen stationierten weitere 1200 Mann in ihrer ehemaligen Kolonie, um muslimische Seleka-Rebellen und christliche Milizen gleichermaßen zu entwaffnen.

Doch die Gewalt geht weiter und die 3500 afrikanischen Friedenssoldaten stiften zusätzlich Chaos: Neben Kongo haben auch Burundi, Ruanda, Kamerun und Tschad Truppen entsandt. Bozizes Verbündete wie Kongo, Burundi und Kamerun werfen dem Tschad vor, die Seleka ausgerüstet zu haben. Im Dezember lieferten sich burundische und tschadische Friedenstruppen in Bangui Kämpfe - das totale Chaos. Und am Freitag traten auch noch der Interimspräsident der Zentralafrikanischen Republik, Michel Djotodia, und sein Regierungschef Nicolas Tiengaye zurück. Djotodia war vorgeworfen worden, dass er die Konflikte in seinem Land nicht in den Griff bekommen hat.

Im Kongo scheitert ein Staatsstreich

Und auch der Kongo selbst kommt nicht zur Ruhe, obwohl die Regierungsarmee im November die Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) geschlagen hatte, die von Ruanda und Uganda unterstützt werden. Die M23 flüchtete sich nach Uganda.

Dennoch gibt es im Kongo weiter täglich Kämpfe und Tote. Mit Macheten bewaffnete Männer versuchten Ende Dezember, die Hauptstadt Kinshasa lahmzulegen. Sie griffen den Flughafen, den Staatssender und das Verteidigungsministerium an. Doch der versuchte Staatsstreich wurde von der Armee niedergeschlagen. Auch in Südkongos Provinzhauptstadt Lubumbashi gab es Gefechte zwischen Rebellen und Armee. Unter mysteriösen Umständen starb Anfang Dezember General Mamadou Ndala durch einen Raketenangriff im Ostkongo. Der Kommandant der Spezialeinheiten galt als Held, nachdem er die M23 besiegt hatte. Erste Beweise zeugen davon, dass er von Rivalen innerhalb der Armee ermordet wurde.

Noch während die Bevölkerung des Ostkongos um ihren Helden trauert, schwenkt die Stimmung um. Am Freitag zirkulierten Gerüchte, Ruandas Präsident Paul Kagame sei ermordet worden. Jubelnd zogen die Menschen im Ostkongo durch die Straßen, um den Tod ihres Erzfeindes zu feiern, der die M23 ausgerüstet haben soll. Analysten und Geheimdienstler gerieten kurz in Panik, jetzt könne auch das kleine, als stabil geltende Land im Herzen der Krisenregion, Ruanda, im Chaos versinken.

Krise droht auch Ruanda und Uganda einzuholen

Ruandas Regierungssprecher verneinte bald die Gerüchte. Doch auch Experten rechnen damit, dass die Krise bald auch die noch als stabil geltenden Länder Ruanda und Uganda treffen werde. Ethnische, wirtschaftliche und machtpolitische Beziehungen sind in der Region so grenzübergreifend ineinander verwoben, dass sich ein einziger Bürgerkrieg schnell zu einem Beben in der ganzen Region ausweiten kann.