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Kolumbien wählt für oder gegen den Friedensprozess

Von WZ-Korrespondent Werner Hörtner

Politik

Die aussichtsreichsten Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen unterscheiden sich vor allem durch ihre Haltung zu den Guerilla-Kämpfern in dem südamerikanischen Land: Sie sind für Dialog oder für militärische Repression.


Bogotá. Die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai in Kolumbien werden über die Fortsetzung der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla entscheiden. Die Kontrahenten um das Staatsamt sind aber nicht seit jeher Erzfeinde, sondern kommen aus einem politischen Lager: der Kandidat von Expräsident Álvaro Uribe Vélez und der derzeitige Staatschef Juan Manuel Santos.

Seit November 2012 laufen in der kubanischen Hauptstadt Havanna die Verhandlungen zwischen einer Delegation der Farc-Guerilla (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), der größten lateinamerikanischen Guerilla-Bewegung, und der kolumbianischen Regierung.

Präsident Juan Manuel Santos hatte in Geheimgesprächen mit Unterhändlern der Guerilla einen konkreten Plan für den Friedensprozess ausgearbeitet, dabei unterstützt von norwegischen Diplomaten mit Erfahrung in Friedensverhandlungen. Meinte Präsident Santos zuerst, der Dialog wäre in wenigen Monaten positiv abgeschlossen, so nannte er ein Jahr später bereits Ende 2014 als möglichen Zeitpunkt der Unterzeichnung eines Friedensabkommens. Der Prozess ist in sechs Teilthemen gegliedert, von denen die ersten beiden - Landwirtschaft und politische Partizipation der Bevölkerung, vor allem der Opposition - bereits mit einem Teilabkommen abgeschlossen sind. Und über das dritte Thema, den Drogenhandel, dürfte noch vor den Wahlen eine Vereinbarung geschlossen werden.

Obwohl das Verhandlungsklima zwischen den beiden Kontrahenten als durchaus gut und konstruktiv bezeichnet werden kann, überschreiten die Gesprächsrunden immer wieder die selbst gesetzten Zeitlimits. Und es stehen noch schwierige Teile bevor, etwa die Frage der Transitionsjustiz: Wie sollen die schweren Menschenrechtsverletzungen der Guerilla und der staatlichen Sicherheitskräfte geahndet werden? Und soll nach dem Abschluss eines Friedensabkommens dieses durch ein Referendum bestätigt werden, wie es die Regierung beabsichtigt, oder soll eine neue Verfassunggebende Versammlung den konstitutionellen Rahmen für ein neues Kolumbien ausarbeiten, wie es die Guerilla möchte?

Paradoxerweise sind die Gegenspieler in diesem Verhandlungsprozess in erster Linie nicht die langjährigen Erzfeinde Regierung und Guerilla, sondern die zwei führenden Politiker des Landes. Der rechtsautoritäre Álvaro Uribe war von 2002 bis 2008 Präsident des Landes und hatte es sich zum Ziel gesteckt, die Farc-Guerilla, die mit Abstand größere der beiden noch existierenden Aufständischenbewegungen (die ELN, die sogenannte Nationale Befreiungsarmee ist ebenfalls noch aktiv), militärisch in die Knie zu zwingen. Doch trotz Uribes zweimaliger Amtszeit scheiterte er an der Farc.

Der gegenwärtige Präsident Juan Manuel Santos war einer der engsten Mitarbeiter von Uribe, Verteidigungsminister und so etwas wie ein politischer Stiefsohn. Doch nachdem Santos vor vier Jahren als Kandidat Uribes die Wahlen gewonnen hatte, trat schnell eine Distanzierung zwischen den beiden ein. Der von Santos eingeleitete Friedensprozess mit der Farc-Guerilla (mit der ELN gibt es noch keinen Dialog) entzweite sie dann völlig und spaltete das rechte politische Lager rund um die beiden Führungspersönlichkeiten.

Das kolumbianische Wahldilemma

Kolumbien hat sich international den Ruf einer funktionierenden Demokratie erworben. Oberflächlich betrachtet mit Recht. Der letzte Staatsstreich liegt mehr als sechs Jahrzehnte zurück, und selbst der verlief ohne Blutvergießen. Seit 1957 folgt regelmäßig ein demokratisch gewählter Präsident auf den anderen, wobei sich die traditionellen Großparteien, Liberale und Konservative, mit ziemlicher Regelmäßigkeit ablösen. Bis 2002, als der Populist Álvaro Uribe mit dem Versprechen, mit "großem Herz und harter Hand" - so sein Wahlspruch - die Guerilla zu besiegen, die Wahlen gewann. Mit ihm kam auch das organisierte Verbrechen des Paramilitarismus an die Macht. Diese bewaffneten Gruppen von Zivilisten wurden seit den 1960er Jahren aufgebaut, um zusammen mit den staatlichen Sicherheitskräften regimekritische AktivistInnen -Linkspolitiker, Gewerkschafter, Menschenrechtsverteidiger usw. - zu liquidieren.

Die jahrzehntelange Praxis der beiden Großparteien, die wichtigsten politischen Ämter im Land untereinander aufzuteilen, hat zu einem immensen politischen Desinteresse der Wählerschaft geführt, die mit ihrem Stimmzettel ohnehin nichts bewirken konnte. So verzichtet seit mehr als einem halben Jahrhundert regelmäßig mindestens die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung auf ihr Stimmrecht. Das hatte und hat zur Folge, dass sich das kolumbianische Establishment ungehindert an der Macht halten konnte.

Die Parlamentswahlen vom 9.März dieses Jahres haben diese Schwachstelle des kolumbianischen Systems weiter verstärkt. Von 32,8 Millionen Stimmberechtigten haben mehr als zwei Drittel von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht. Obendrein werden 70 der 268 neu gewählten Abgeordneten mit dem Paramilitarismus und dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht.

Zuluaga gilt als Marionette des Ex-Präsidenten Uribe

Am Sonntag, den 25. Mai, wird nun der nächste Präsident Kolumbiens gewählt. Neben dem Amtsinhaber Manuel Santos und Uribes Marionette Ivan Zuluaga (Uribe selbst darf aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr antreten) gibt es keine ernsthaften Kandidaten. Hatte Uribe bei den Wahlen von 2002 seine Kampagne unter das Motto gestellt, die Guerilla zu besiegen, so ruft Santos nunmehr die Bevölkerung auf, für den Frieden zu stimmen. Also ihn zu wählen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Präsident Santos bereits im ersten Wahlgang in seinem Amt bestätigt wird. Zurzeit liegt er mit einer Zustimmung von 28 Prozent in Führung. Wenn es allerdings bei der Stichwahl am 15.Juni zu einem Duell zwischen ihm und dem Uribe-Kandidaten Zuluaga kommen sollte, so wird das Thema Frieden die entscheidende Rolle spielen. Und dann dürfte Santos, der Architekt des Friedensprozesses, gegenüber seinem Vorgänger Uribe, dem scharfen Kritiker des Friedensdialogs, eine deutliche Mehrheit einfahren.

Bei all der Diskussion um das Friedensabkommen findet die Frage nach der Post-Konflikt-Phase, also der Aufbau einer tiefgreifenden Friedenskultur, in der Öffentlichkeit wenig Beachtung. Dabei gibt es viel Aufbauarbeit zu leisten. In den 55 Jahren des bewaffneten Konflikts starben an die 220.000 Menschen eines gewaltsamen Todes, über 23.000 davon wurden gezielt aus politischen Gründen, ermordet: ein Zehntel davon von staatlichen Sicherheitskräften, 23 Prozent von den mit ihnen verbündeten Paramilitärs und 17 Prozent von der Guerilla. Hier ist viel Wiedergutmachungs- und Versöhnungsarbeit zu leisten. Expräsident Uribe, der immer noch trotz der vielen Skandale in seiner Regierungszeit eine beträchtliche Anhängerschaft in der Bevölkerung und in den staatlichen Institutionen, vor allem in der Armee, besitzt, wird seine ganze Macht einsetzen, um den Friedensprozess zu torpedieren. Ihm wird ein enges Naheverhältnis zum Paramilitarismus und zum Drogenhandel nachgesagt - genau jenen Sektoren, die durch ein Friedensabkommen am meisten verlieren würden.