Zum Hauptinhalt springen

Kohle allein ist nicht genug

Von Walter Hämmerle

Politik

Umweltexperte Alexander Ochs über Obamas klimapolitische Offensive.


Wien/Washington. Timing entscheidet in der Politik oft über Erfolg und Misserfolg, vor allem wenn es um so umstrittene Fragen wie die Klimapolitik geht. Die Entscheidung der US-Umweltschutzbehörde EPA, den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke zu beschneiden, hat sofort die Kritiker von Präsident Obama auf den Plan gerufen, die vor Milliardenkosten für Wirtschaft wie Bürger warnen. Zudem stehen im November die Midterm-Wahlen an, bei der die Demokraten auch die Mehrheit im Senat verlieren könnten.

Dennoch ist der Umweltexperte Alexander Ochs überzeugt, dass "jetzt der richtige Zeitpunkt" für die Maßnahmen war. Der gebürtige Deutsche ist Direktor des Klima- und Energieprogramms der Washingtoner Denkfabrik "World Watch", die sich mit Fragen einer nachhaltigen Wirtschafts- und Umweltpolitik beschäftigt. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Ochs über Obamas Pläne.

"Wiener Zeitung": Wie ehrgeizig ist die Ankündigung der EPA, die CO2-Emissionen bis 2030 auf der Basis von 2005 um 30 Prozent zu kürzen?Alexander Ochs: Da gibt es zwei Perspektiven: Zum einen ist es ein wichtiger nächster Schritt in Obamas Klimapolitik – der Erste bestand in den scharfen Flottenverbrauchsvorgaben für Fahrzeuge. Andererseits geht es nicht um den Gesamtausstoß, sondern nur um die Elektrizitätsproduktion, also rund 40 Prozent der amerikanischen Emissionen. Hinzu kommt, dass sich das Reduktionsziel auf die Basis des Jahres 2005 bezieht: Stand 2013 sind die CO2-Emissionen der amerikanischen Kraftwerke bereits um 10 Prozent gesunken, es fehlen also nur noch 20 Prozent bis 2030. Die EU-Klimaziele einer CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2030 sind deutlich ehrgeiziger, auch weil sie sich auf die Gesamtwirtschaft und das Jahr 1990 beziehen. Damals waren die Emissionen noch deutlich geringer.

Wenn die CO2-Emissionen seit 2005 schon um 10 Prozent gesunken sind, wie wird aktuell die weitere Entwicklung prognostiziert? Muss überhaupt radikal gegengesteuert werden, um das Ziel bis 2030 zu erreichen?
Ja. Nach Jahren des relativen Rückgangs wird allgemein damit gerechnet, dass die Emissionen wieder stark ansteigen, sofern nicht gegengesteuert wird.

Welche Rolle spielt das Schiefergas, das den Energiesektor in den USA revolutioniert hat und die Preise enorm verbilligte? Hätte Obama diesen Schritt gesetzt ohne den Fracking-Boom?
Er hätte es sich wahrscheinlich trotzdem vorgenommen, aber der Widerstand wäre wohl noch größer. Das billige Erdgas erleichtert den Schritt in Richtung einer ambitionierteren Klimapolitik, aber das ist nicht der einzige Faktor. Auch in den USA ist mittlerweile die Frage der Energieeffizienz ein wichtiges Thema und in Teilen des Landes erleben die erneuerbaren Energieträger einen unglaublichen Boom. Die Erneuerbaren sind in vielerorts bereits günstiger als die fossilen Energieträger. All dies zusammen erlaubt es den USA jetzt, den eigenen Kohleverbrauch zu reduzieren und die Kohle stattdessen nach Asien zu exportieren.

Obama hat wiederholt versucht, seine Klimapolitik auf Gesetzesbasis durch den Kongress zu bringen, ist aber am Widerstand der Republikaner gescheitert. Jetzt agiert er über den Umweg der Umweltschutzbehörde EPA auf Grundlage von Verordnungen. Ist es nicht demokratiepolitisch problematisch, so weitreichende Maßnahmen ohne und gegen eine Mehrheit im Parlament umzusetzen?
Entscheidend war, dass der Gesundheitsaspekt in den Vordergrund gestellt wurde; mehrere Gerichtsurteile haben festgestellt, dass der Klimawandel eine Gefahr für die Gesundheit der US-Bürger darstellt. Dies gibt der EPA das Recht, Verordnungen zu erlassen, wenn das Parlament untätig bleibt. Dass es besser gewesen wäre, wenn der Kongress gehandelt hätte, steht außer Frage, nur hat sich dieser als handlungsunfähig erwiesen. Auch jetzt wird es wieder eine Klageflut geben und der Kongress versuchen, die Maßnahmen zu unterlaufen.

Kritiker führen auch die enormen Kosten für die Wirtschaft und Bürger an, Wachstum und Jobs seien gefährdet...
Das sind Kostenrechnungen, die den Nutzen der Maßnahmen außer Acht lassen. Jede Technologieumstellung führt ganz automatisch zu Kosten. Aber das sind Investitionen, die im Anschluss zu volkswirtschaftlichen Vorteilen führen, zu höherer Wertschöpfung, zu Innovationen und neuen Jobs. Gesamtwirtschaftlich sehe ich diesen Technologiewandel als Vorteil, aber natürlich produziert dieser auch Gewinner und Verlierer.

Was bedeutet diese Entwicklung – nach den USA hat jetzt auch China ein Maßnahmenpaket angekündigt (siehe Wissen) – für die globale Klimapolitik?
Bisher waren die USA und China die beiden Wirtschaftsmächte, die verbindliche Klimaziele verhindert haben. Dass beide Staaten national verbindliche Maßnahmen beschließen, ist ein enormer Fortschritt, auch wenn die Umsetzung noch Jahre dauern wird. Klar ist aber auch, dass es damit noch nicht getan ist. Wir sind noch weit entfernt vom Ziel, den Anstieg der Erderwärmung so zu begrenzen, dass eine Klimakatastrophe für Mensch und Umwelt ausbleibt. Dennoch bleibt es ein enormer Fortschritt. Europa sollte jetzt auch den nächsten Schritt setzen, um weiter mit gutem Beispiel voranzugehen.

Wissen: Klimapolitik

Bisher kämpfte Europa allein auf weiter Flur, vor allem die USA und China zeigten bei Klimaverhandlungen regelmäßig die kalte Schulter. Nach dem Vorstoß der USA deutet sich jetzt auch in Peking Bewegung in der Sache an. Dies könnte einen neuen Impuls für die stockenden Weltklima-Gespräche bringen.

So will China seinen Treibhausgas-Ausstoß erstmals mit einer Obergrenze eindämmen. Die Ziele würden im Fünfjahresplan verankert, der ab 2016 gilt.

Der weltgrößte Produzent von Kohlendioxid hat sich zwar bereits Grenzen gesetzt. Diese sind jedoch an das Wachstum gekoppelt und konnten daher die Emissionen insgesamt nicht beschneiden. Künftig soll es absolute Obergrenzen und Vorgaben für die Energieeffizienz geben. Der Ausstoß von Klimagasen in China ist seit 2005 um 50 Prozent gestiegen. 2015 soll bei der Weltklima-Konferenz in Paris ein Vertrag unterzeichnet werden, der 2020 in Kraft treten soll.