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Mit Allah in den Tod

Von Arian Faal

Politik

Nach der Isis-Invasion im Irak rücken die Schiiten der Region näher zusammen. | Tausende junge Freiwillige haben sich bereits für den Kampf rekrutieren lassen.


Bagdad/Teheran/Wien. Eigentlich ist der 26 jährige Mohammad kein Freund der Politik. Schon gar nicht jener des schiitischen irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. "Die schauen ja wie die Amerikaner seinerzeit nur auf ihren eigenen Profit und haben nichts getan, um das Land zu stabilisieren", ärgert sich der junge Schneider, der selbst Schiit ist, im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Doch vor einer Woche musste Mohammad, wie er betont, seine Pflicht tun und seinem Land helfen. "Angesichts der barbarischen Angriffe der Isis, die drauf und dran ist, alles zu zerstören, was von unserem Land nach dem Saddam-Regime und der missglückten US-Invasion noch übrig ist, kann ich nicht einfach so zusehen", erläutert er. "Wenn Ayatollah Ali Sistani (die höchste schiitische Autorität im Land, Anm.) sagt, dass wir unsere Heiligen Stätten schützen und unser Land verteidigen müssen, dann ist es unsere Pflicht, alles liegen und stehen zu lassen", erklärt Mohammad bestimmt.

Daher nahm er - wie alle seine besten Freunde, die sich ebenfalls meldeten - die stundenlangen Wartezeiten bei der Rekrutierungsstation in Najaf auf sich. Dort erinnert vieles an die 80er Jahre, als im Irak-Iran-Krieg jungen iranischen Männern mit einem Plastikschlüssel das Paradies versprochen wurde, wenn sie denn für ihr Land als Märtyrer sterben würden.

Wie Mohammad haben sich in den vergangenen sieben Tagen zehntausende junge Iraker in den fünf großen Rekrutierungsstellen des Landes gemeldet, um dem Vormarsch der Isis-Gruppen möglichst rasch und effizient Einhalt zu gebieten.

Die Fragen und Grundinformationen bei der Rekrutierung sind einfach gestrickt. "Sind Sie bereit, für Ihr Land in den Kampf und möglicherweise in den Tod zu gehen?", "Erwarten Sie das Unerwartete. Wir können Ihnen weder sagen, wie lange Sie kämpfen müssen, noch wann und ob Sie ihre Familie wiedersehen können. Aber Allah passt auf Sie auf. Das ist der größte Schutz", heißt es dort vom Kommandoführer.

Truppen für den "Bruderstaat"

Interessant ist die Tatsache, dass bei den Rekrutierungsprozeduren nicht nur arabisch, sondern auch Farsi gesprochen wird. Längst sind die Schiiten in der Region zusammengerückt. Fast könnte man meinen, der Iran hat in den Krieg im benachbarten Irak bereits indirekt eingegriffen. Auch wenn offiziell dementiert wird, dass bereits iranische Truppen den "Bruderstaat" unterstützen, ließ der iranische Präsident Hassan Rohani diese Woche keinen Zweifel daran, dass sein Land nicht zögern werde, die Heiligen Stätten des Islam zu verteidigen.

Es hätten sich zahlreiche Freiwillige gemeldet, um "die Terroristen in ihre Schranken zu weisen", so Rohani. Hinter vorgehaltener Hand weiß man aber, dass der Iran die regionale Schutzmacht der Schiiten, der Bevölkerungsmehrheit im Irak, ist und weder finanzielle noch politische oder militärische Mühen scheuen wird, um den Einfluss der Schiiten in der Region nicht ins Wanken zu bringen.

Mohammads bester Freund Sadegh geht es vor allem darum, den "Mördern und Terroristen zu zeigen, dass wir die Heiligen Stätten in irakischen Orten wie Kerbala, Najaf und Samarra mit unserem Leben verteidigen".

Anhand von Sadeghs Familiengeschichte lässt sich ein Stück iranisch-irakischer Zeitgeschichte rekonstruieren. Seine Mutter war Perserin, sein Vater Iraker. Nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak und der missglückten US-Invasion kam aus dem Zweistromland der größte Flüchtlingsstrom des Nahen Ostens seit 1948. Viele suchten Zuflucht im Iran.

Fünf Jahre ist es nun her, dass Sadeghs Eltern und Geschwister in Bagdad bei Bombardements umgekommen sind. Er ist damals in den Iran geflüchtet und hat dort bei einem netten iranischen Industriellen Zuflucht gefunden.

"Die Gastfreundschaft der Perser war grenzenlos. Sie haben mich nicht als Feind eines Landes gesehen, das den Iran jahrelang bombardiert hat, sondern als Mensch. Das werde ich ihnen nie vergessen", sagt Sadegh. Und er ist nicht der Einzige, der im Iran vorübergehend ein neues Zuhause gefunden hat. Es sind hunderttausende Iraker, Sunniten wie Schiiten. Viele sind - wie Sadegh - wieder zurückgekehrt in den Irak, doch die iranische Prägung nahmen sie mit.

Sie gedenken noch immer des Jahres 1988, als der erste Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak zu Ende ging und eine blutige Ära ihr ruhmloses Ende fand. Der acht Jahre lang dauernde Kampf endete offiziell am 20. August 1988 mit einem Waffenstillstand. Die Entscheidung, einem Waffenstillstand zuzustimmen, war für ihn, wie einen Becher Gift zu trinken, schrieb Irans 86-jähriger Revolutionsgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1988 über seine Entscheidung, dem ersten Golfkrieg ein Ende zu setzen. Zuvor hatte er alle internationalen Appelle zur Waffenruhe ignoriert.

Bereit zu sterben

Aus heutiger Sicht erscheint es absurd, dass Saddam Hussein in den 80er Jahren nahezu unbegrenzt Waffenkäufe im Westen tätigen konnte, mit chemischen Waffen beliefert wurde und diese auf schreckliche Weise einsetzte, etwa im März 1988 - gegen irakische Kurden in Halabja. Im neu errichteten Gottesstaat Iran hingegen konnte zunächst nur auf die Arsenale der Schah-Armee zurückgegriffen werden. Nach und nach aber gelang es, über Umwege zu Nachschub zu kommen. Groteskerweise sogar aus dem verhassten Israel.

Die wichtigste, doch ziemlich ineffektive Waffe des Iran war das Heer - bestehend aus jungen Männern, die Khomeini blind ergeben und zum Opfertod für ihr Land und für ihren Glauben bereit waren. Mehr als eine halbe Million Iraner, die meisten von ihnen kaum oder schlecht bewaffnete junge "Märtyrer", kamen im Golfkrieg um. Der Irak verlor rund 400.000 Soldaten. Es gab kaum eine iranische Familie, die keine Kriegsopfer zu beklagen hatte. Das beeindruckendste Mahnmal dieser Epoche ist der Beheshte-Zahra-Friedhof unweit von Teheran: Auf dieser 400 Hektar großen Ruhestätte am Südrand von Teheran reihen sich abertausende einfache Gräber aneinander in unmittelbarer Nachbarschaft zum bombastischen Grab Khomeinis.

Sadegh und Mohammad haben ihren "Freiwilligen-Pass" erhalten und werden in den kommenden Stunden für ihren Einsatz einberufen werden. "Es ist eine Rekrutierung für Allah. Er wird uns zum Ziel führen", resümiert Mohammad abschließend.