Zum Hauptinhalt springen

Trauer und Zorn eint Israelis

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik
Schrein am Rabin-Platz. Ruf nach Vergeltung: "Ich will nicht das nächste Opfer sein."
© Andreas Hackl

Israelische Luftangriffe im Gazastreifen und Raketenangriffe auf Südisrael.


Tel Aviv. Umgeben von einem Kerzenmeer baut ein israelischer Mann am Rabin Platz in Tel Aviv sorgfältig seinen persönlichen Gedenkschrein auf. Hinter zwei Friedhofskerzen klemmt er ein Foto der drei im Westjordanland tot aufgefundenen Entführten. Daneben ein kleines Schild aus Papier: "Ich will nicht das nächste Opfer sein. Wir wollen einen toten Hamas-Führer für jeden entführten Jungen."

Am Sonntagabend hatten am selben Platz noch tausende Israelis für die Rückkehr der drei Entführten gebetet. Am Montag haben die Suchtrupps des israelischen Militärs dann ihre Leichen nördlich der Stadt Hebron aufgefunden. Die drei wurden am 12. Juni beim Autostoppen in den besetzten palästinensischen Gebieten verschleppt. Laut Einschätzungen des israelischen Militärs haben sie die bislang unbekannten Entführer bald danach getötet. Der 19-jährige Eyal Yifrah und der 16-jährige Gilad Shaar hatten in jüdischen Siedlungen gelebt, der 16-jährige Naftali Fränkel auf der israelischen Seite der Grenze.

Auch eine junge Frau aus Bat Yam, eine Vorstadt südlich von Tel Aviv, bleibt beim Vorbeigehen an den Kerzen stehen. Mehrmals versucht sie mit Streichhölzern eine Kerze anzuzünden, doch immer wieder bläst ihr der Wind die Flamme aus, bis sie es frustriert bleiben lässt. "Ich bin so traurig. Immer wieder kommen mir die Tränen", sagt sie. "Die drei Jungen sind unser aller Kinder."

"Hamas wird zahlen"

Trauer, Zorn, und Rachegefühle mischen sich dieser Tage mit israelischem Patriotismus und Nationalismus. Die Frage nach den eigentlichen Tätern ist in den Hintergrund gerückt, seit die Regierung die Hamas kollektiv beschuldigt hat. Doch für viele geht die Schuldfrage noch weiter. "Araber" stehen derzeit unter Generalverdacht.

"Sie wurden kaltblütig von Tiermenschen entführt und ermordet", meinte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu Montagabend. "Die Hamas ist verantwortlich. Die Hamas wird zahlen." Laut einem Bericht der israelischen Zeitung "Haaretz" gab es innerhalb der Regierung Uneinigkeiten über das weitere Vorgehen. Während manche vor eine Überreaktion warnen, gießt die populistische Rechte zusätzliches Feuer in die emotionsgeladene Debatte und versucht politisches Kapital daraus zu schlagen. Netanyahu und Verteidigungsminister Yaalon wollen zum Gedenken an die drei Getöteten eine neue Siedlung im besetzten Palästinensergebiet errichten. Dutzende Siedler sind ihnen Dienstagnachmittag zuvorgekommen. Auf einem Hügel östlich von Jerusalem haben sie zwei neue Siedlungen ausgerufen.

Das israelische Militär will unterdessen mit Luftangriffen im Gazastreifen den Raketenangriffen auf Südisrael ein Ende setzen. Über Nacht griff die israelische Luftwaffe mindestens 34 Ziele im Gazastreifen an. "Wie es weitergeht, ob Eskalation oder Ruhe, liegt an der Hamas", sagt der israelische Major Arye Shalicar, ein Sprecher der israelischen Armee. Im Westjordanland wird unterdessen die umfassende Suche nach den Tätern fortgesetzt. Laut Shalicar habe die Armee in den letzten drei Wochen 2000 Häuser durchsucht und 400 Palästinenser festgenommen.

Israelische Einheit

Was aus israelischer Perspektive eine gerechtfertigte Suchaktion darstellt, wird für die palästinensische Bevölkerung zu einem kritischen Dauerzustand. Dabei stoßen die nächtlichen Invasionen des israelischen Militärs in den Flüchtlingslagern auf Widerstand. Bei einer Operation in der Stadt Jenin töteten israelische Einheiten etwa einen 18-jährigen Palästinenser. Einige fordern bereits eine Rückkehr zur israelischen Praxis "gezielter Tötungen", mit der lange Zeit Funktionäre feindlicher Bewegungen wie der Hamas eliminiert wurden. Die Rückkehr zu einer anderen Taktik ist bereits passiert: In Hebron hat man die Häuser zweier verdächtigter Hamas-Funktionäre, die seit der Entführung unauffindbar sind, als präventive Strafe die Luft gesprengt. Weil die palästinensischen Sicherheitskräfte mit Israels Militär kooperieren, wird Palästinenser Präsident Mahmud Abbas für mehr und mehr Palästinenser zum "Verräter". Von der erst kürzlich gepriesenen palästinensischen Einheitsregierung ist keine Spur. "Teile und herrsche", beschreiben dieser Tage viele Palästinenser das Prinzip hinter Israels Politik in den Palästinensergebieten.

Dafür schweißen Trauer und Zorn die israelische Nation enger zusammen. Gehüllt in eine israelische Flagge wurde der Leichnam des 16-jährigen Gilad Shaar am Dienstagabend zur Abschiedszeremonie in der Siedlung Talmon getragen. "Wir begraben heute keinen Siedler, das ist nicht nur ein Verlust für einen Sektor, sondern für uns alle", sagte dort Finanzminister Yair Lapid. Der Tod der drei Jungen scheint Israel nicht nur über die politischen Gräben, sondern auch über die Siedlungsfrage hinweg zu einen. Das auch, weil die drei als "nicht-radikale junge Israelis wahrgenommen werden, die im Siedlungsgebiet eine moderate Religionsschule besuchten und wie viele andere dort autostoppten", sagt Dahlia Scheindlin, eine Expertin für politische Meinungsforschung. "Die Gefühle von Israelis gegenüber Durchschnittssiedlern werden somit aufgewärmt."