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Ein Land in Flammen

Von Petra Ramsauer

Politik

Analyse: Nur eine internationale Schutztruppe kann Libyen noch vor sich selbst retten.


Tripolis/Wien. Tripolis brennt. Die beiden größten Milizengruppen, aus den Städten Misrata und Zintan, einst die Speerspitze im Widerstand gegen Muammar Gaddafis Regime, liefern sich erbitterte Gefechte um die Kontrolle des internationalen Flughafens. Die mehrspurige Schnellstraße vom Zentrum der libyschen Hauptstadt zum Airport ist zum Kriegsschauplatz geworden. Hier befindet sich auch das gigantische Treibstofflager al-Burayqah. Seit einer Woche stehen drei Tanks mit 12 Millionen Liter Benzin in Flammen, nachdem eine Rakete hier einschlug.

Es ist eine Katastrophe inmitten der Katastrophe. Sie charakterisiert mit präziser Symbolik den Wahnsinn, der dieses Land erfasste. Bis zu 15 Stunden warten Libyer vor den wenigen offenen Tankstellen, um Treibstoff zu bekommen, der heute dreißigmal so viel kostet wie zu Jahresbeginn. Zugleich sehen sie, wie nicht bloß der begehrte Sprit, sondern ihr ganzes Land in einem unkontrollierbaren politischen und militärischen Flächenbrand aufgeht.

Seit der Eskalation der Unruhen starben 200 Menschen, doch das Leben aller sechs Millionen Libyer ist faktisch schockgefroren. So unkontrollierbar wie die Feuersbrunst, ist die blinde Zerstörungswut der Milizen, die in das Machtvakuum nach dem Sturz Gaddafis vordrangen. Das Depot dürfte gezielt attackiert worden sein. Die zynische Strategie: eine Verschärfung der Treibstoffkrise. Dabei verfügt Libyen über die siebtgrößten Öl-Reserven der Welt.

"Die Lage in Tripolis ist längst schlimmer als im Spätsommer 2011, am Höhepunkt der Kämpfe gegen Muammar Gaddafi", sagt Hassan Morajea, ein 22-Jähriger, der für internationale Medien arbeitet. Die meisten ausländischen Reporter haben die chaotische Stadt ohne Armee und Polizei verlassen. Aufgrund der massiv angestiegenen Zahl von Entführungen, politischen Morden und eskalierenden Straßenkämpfen birgt jeder Schritt Lebensgefahr.

"Die Straßen sind gespenstisch leer, nur Berge von Müll findet man, die in der glühenden Hitze vor sich hinrotten. Tag und Nacht schreckt der Lärm von Raketen, Granatfeuer und schwerem Artilleriefeuer die Menschen auf", so Morajea. "Wer noch irgendwie kann, flieht."

Nähe zu Dschihadisten

Dies taten fast alle internationalen Diplomaten, darunter auch jene Österreichs, vergangenen Dienstag. Die Mission der UNO wurde geräumt, und in einer dramatischen Aktion auch die US-Botschaft. Über Stunden sicherten F-18-Kampfjets der US Airforce den Luftraum über Tripolis, eskortierten den Evakuierungskonvoi bis zur Grenze. Am Sonntag, als britische Staatsangehörige und Diplomaten sich auf den Weg nach Tunesien machten, zeigte sich, wie nötig solche Maßnahmen sind: Ihre Wagenkolonne wurde beschossen, nur um Haaresbreite wurde eine Entführung vereitelt. Einzig der britische Botschafter Michael Aaron hält die Stellung - vorerst. Der routinierte Nahost-Diplomat, er zählt zur Elite der EU-Experten in diesem Raum, könnte Brückenkopf für den Aufbau einer möglichen internationalen Friedensmission sein. Möglicherweise die letzte Chance, um Libyen zu retten.

Die Hoffnung, Libyen könnte sich im Alleingang - dank seiner Ressourcen - quasi einen funktionierenden Staat erkaufen, entpuppt sich als fürchterlicher Irrtum. Nach 42 Jahren Diktatur implodierte das Land. "Viele behaupten nun, dass die Nato-Invasion auf Seiten der Rebellen 2011 ein Fehler war. Keineswegs. Der Fehler war die fehlende politische Unterstützung danach. Ein "riesengroßer", sagt Asma Badi, die aus dem Exil zurück nach Libyen kam und sich nun mit einer Nichtregierungsorganisation für Menschenrechtsfragen engagiert.

Die libysche Armee war von Gaddafi ausgehungert worden, damit sie zu keinem Putsch fähig war, der Polizeiapparat eine korrupte Vetternwirtschaft in Uniformen. Doch es fehlt nicht nur an erfahrenen Sicherheitskräften. Libyen hat kein Busnetz, keine Post und so gut wie keine Jobs zu bieten. Dazu gab es jahrzehntelang keine Parteien, Gewerkschaften oder sonstigen Fundamente oder Traditionen als Basis eines modernen Staates. Nur zwei Blöcke konnten nach der Revolution so etwas wie eine politische Ordnung anbieten: Es sind nun just jene Blöcke, die in ihrem Machtkampf das Land zerreiben.

Zum einen sind es ehemalige Gaddafi-Getreue, die sich das Etikett "liberal" verpassten und in einem losen Wahlbündnis namens NFA ("Bündnis der Nationalen Kräfte") die ersten Wahlen zum Übergangsparlament im Juli 2012 gewannen. Dem steht die Koalition um die libysche Muslimbruderschaft gegenüber, die - anders als in Ägypten - keine Berührungsängste mit extremistischen Dschihadisten, wie der Ansar al-Sharia, zeigt.

"Am Aufbau Libyens war aber keiner der Pole sonderlich interessiert. Eher am Ausbau der eigenen Einflusssphäre", sagt Ayman Grada, Forscher des "Washington Institute" und Gründungsmitglied der Demokratie-Initiative "Die Stimme der libyschen Jugend". Statt in Sicherheitskräfte zu investieren, wurden die Milizen aus Zeiten des Aufstandes gegen Gaddafi als Ersatz-Armeen sozusagen geleast. So flossen massive Summen von der Übergangs-Regierung (NFA-dominiert) und dem von Islamisten kontrollierten Übergangsparlament in die jeweils "befreundeten" Milizen-Gruppen.

Immer tiefer wurden so die Gräben zwischen den hochgerüsteten Blöcken, die nun insgesamt zwei Armeen mit 250.000 Kämpfern aufgebaut haben (gegen Gaddafis Militär kämpften 2011 nur 30.000). Die mächtigsten Milizen sind jene aus Zintan, die im Sold der Nationalisten stehen und aus Misrata, die im Vorjahr knapp 560 Millionen Euro direkt aus der Schatulle des islamistischen Parlamentspräsidenten bekamen.

Planiert wurde der Weg zum Bürgerkrieg durch die Einmischung anderer Staaten, die das chaotische Libyen zum Austragungsort eigener Fehden kürten. "Die Nationalisten rund um die NFA erhalten Unterstützung von den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie von Ägyptens neuem Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. Die Islamisten werden von Katar und der Türkei unterstützt", so Ayman Grada. Die Neuwahlen für das Parlament Ende Juni vermochten die harten Fronten nicht mehr aufzuweichen. Im Gegenteil, wie 2012 mussten die Islamisten eine schwere Niederlage einstecken. Der Angriff der islamistischen Misrata-Miliz auf den Flughafen von Tripolis gilt als Reaktion auf den drohenden Machtverlust. Dieser zeichnete sich militärisch bereits seit Mai ab. Rund um die NFA und ihren Führer Mahmoud Jibril formierte sich ein nationalistischer Block, der eine Koalition mit den mächtigen Milizen der westlibyschen Stadt Zintan einging. Mitte Mai erklärte Khalifa Hiftar, ein Vertrauter Jibrils sowie Ex-General Gadaffis, "den islamistischen Terroristen den Krieg". Hiftar gründete seine "Libysche Nationale Armee" und startete im ostlibyschen Bengasi die "Operation Würde".

Clans als Drahtzieher

Die Offensive war erfolgreich. "Deshalb setzten deren Milizen alles auf eine Karte und versuchten, ihre Rolle in der Zukunft Libyens mit Gewalt einzufordern. Sie griffen den Flughafen von Tripolis an. Diesen hielten seit 2011 die Milizen Zintans. Und in Bengasi haben die radikal-islamistischen Gruppen der Ansar-al Sharia nun mehrere Basen von Heftars Armee gestürmt", so Mohamed Eljahr, der den ersten politischen Think Tank Libyens leitet und vor einer weiteren schweren Eskalation warnt, wenn, wie es die Übergangsregierung fordert, die internationale Gemeinschaft nicht rasch eingreift.

Auch Frederic Wehrey, Libyen-Experte des "Carnegie Endowment for International Peace", sieht in einer neutralen Pufferarmee aus dem Ausland die einzige Chance, um die Lage zu beruhigen: "Man muss den mächtigen Clan-Strukturen ebenfalls Rechnung tragen. Sie sind nach wie vor robuste Machtelemente und die wahren Drahtzieher hinter den verfeindeten Blöcken. Würden jetzt neue Sicherheitskräfte etabliert, würden sie sofort wieder in das Muster gepresst."