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Ein Ausflug in die Realität

Von Teresa Reiter aus Alpbach

Politik

Simon Anholt, Erfinder des Good Country Index, über das Image von Staaten und wie sie es ändern können.


Kooperation statt Ausspionieren: eine von Anholts Zukunftsvisionen für die internationale Politik.
© Teresa Reiter

"Wiener Zeitung": Sie haben einst gesagt, dass Staatschefs auch Brand Manager sein müssen. Stehen sie zu dieser Aussage?

Simon Anholt: Was ich gemeint habe, war, dass der gute Name eines Landes sein wertvollster Besitz ist. Im Zeitalter der Globalisierung müssen Regierungs- oder Staatschefs verstehen, dass es eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist, den guten Namen ihres Landes zu bewahren. Der Ausdruck "nation brand", den ich damals verwendet habe, war nur die Beobachtung, dass Staaten wie Firmen einen Ruf haben und dass dieser wichtig ist. Was ich nie gesagt habe, ist "nation branding", denn das klingt, als könnte man den Ruf eines Landes mit Logos und Propaganda verändern, wenn er einem nicht gefällt. Ehrlich gesagt, wenn es möglich wäre, eine Nation zu "branden", dann würden wir noch immer im Dritten Reich leben. Niemand war ein besserer Brand Manager als Adolf Hitler - möglicherweise Josef Stalin.

Ist der Ruf eines Landes mehr als ein Stereotyp?

Im Grunde sprechen wir hier von Stereotypen, ja. Aber ich denke, es ist notwendig, der Öffentlichkeit dabei zu helfen, über Stereotype hinauszuwachsen und so aktuellere, gründlichere und fairere Informationen über ein Land zu bekommen. Ich glaube "Bildung" wäre ein besseres Wort als "Branding". Bildung ist die Kunst, den Menschen dazu zu bringen, dass er lernen will, und wenn man ein Land auf diese Weise interessant machen kann, dann werden die Leute auch mehr über das Land lernen wollen. Das war immer mein Ansatz.

Wie kann man also den Ruf eines Landes beeinflussen, wenn schon nicht künstlich?

Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste ist, dass man es nicht kann, weil niemand die internationale öffentliche Meinung auch nur im Geringsten unter Kontrolle hat. Das ist auch der Grund, warum Propaganda im Zeitalter der Globalisierung nicht funktioniert. Zu einem gewissen Grad ist Propaganda möglich, wenn man alle Informationskanäle kontrolliert, die ein gewisses Publikum erreichen. Wladimir Putin kann also immer noch seine Version der Dinge an die Russen weitergeben. Diese Version ist wahrscheinlich falsch, wird aber vielleicht trotzdem geglaubt, weil sie die einzige ist, die verfügbar ist. Das ist eine ziemliche Leistung, denn Russland ist keine geschlossene Gesellschaft. Insgesamt entscheidet die Welt selbst, wann sich das Image eines Landes ändert, und es passiert sehr langsam und nur wenn, sich die Länder und ihre Rolle in der Welt verändern. Die zweite Antwort ist, dass man das Image schon ändern kann, aber nur theoretisch. Nur sehr wenigen Ländern ist das gelungen. In jahrelanger Forschung habe ich entdeckt, dass die Menschen "gute" Länder mehr bewundern als andere. Darum habe ich den Good Country Index kreiert. Die zweite Antwort ist also, dass man das Image seines Landes verbessern kann, indem man "guter" wird.

Sie sagen, dass das Image-Problem der EU daher kommt, dass sie ihren Zweck als Friedensprojekt erfüllt hat und sich bisher noch keine neue Daseinsberechtigung ergeben hat. Welche Rolle spielt der Ukraine-Konflikt dabei?

Er ändert an meiner Aussage nichts. Was ich sage ist, dass die europäische Agenda eine nach innen gerichtete war. Es ging darum, unser eigenes Haus in Ordnung zu halten. Das haben wir erledigt und jetzt müssen wir an unsere Nachbarn denken, und damit meine ich nicht nur Staaten, die an die EU grenzen, sondern den gesamten Planeten. Die Ukraine passt perfekt ins Modell der Dinge, die wir jetzt als unsere Prioritäten ansehen müssen. Meiner Meinung nach ist es völlig irrelevant, dass die Ukraine zufällig gleich nebenan ist, es könnte genauso gut Uruguay sein. Wir haben Verpflichtungen gegenüber der gesamten Menschheit, und es ist Zeit, dass wir diese wahrnehmen. Die Idee der eigennützigen Union, die sich nur um ihre eigenen Bürger kümmert und versucht, noch mehr Arten von Recyclingtonnen in österreichischen Dörfern anzubieten, das macht mich krank. Die selbstsüchtigen, arroganten Ansprüche der Europäer, die sagen, dass sie mehr Wohlstand möchten... Ich meine, wie viel verdammten Wohlstand braucht man denn?

Sie haben diesbezüglich ein Projekt gestartet. Was ist der Good Country Index?

Der Good Country Index ist ein Ausflug in die Realität. Diese treffende Erklärung ist mir jetzt gerade eingefallen (lacht). Ich weiß, es klingt nicht sehr bescheiden, aber ich habe die letzten fünfzehn Jahre über versucht, die Welt zu verändern. Aufgrund meines Berufs habe ich ein bestimmtes Maß an Einfluss auf Regierungen. Ihn versuchte ich dazu zu verwenden, diese davon zu überzeugen, sich gut zu benehmen. Weil ich ehrlich glaube, dass das die beste Antwort auf die Frage ist, wie man am besten das Image ihres Landes verbessern kann.

Wie erfolgreich waren Sie dabei?

Viele Menschen sind Politikern gegenüber sehr skeptisch. Ich arbeite seit zwei Jahrzehnten mit Politikern weltweit und ich muss sagen, sie sind ziemlich in Ordnung. Ich spreche mit ihnen ja nicht über Wahlen oder Parteipolitik, sondern über ihre Nationen und die Welt. Sehr wenige von ihnen sind korrupt und die wenigsten von ihnen sind dumm und egoistisch. Fast alle machen diesen Job, weil sie irgendwann den ehrlichen Wunsch hatten, etwas in ihren Ländern zu verbessern. Aber das Maß, zu dem ich sie beeinflussen kann, ist aus einer Reihe Gründen sehr begrenzt. Am Ende ist das Einzige, worauf Regierungen hören, das Volk. Und nicht nur in Demokratien. Es ist reine Fantasie zu glauben, dass es Diktatoren gibt, die ihre Bevölkerung ignorieren können.

Wie kann man etwa als armes oder kriegsgeschütteltes Land im Good Country Index punkten?

Die Idee von reichen Ländern, die an arme Länder spenden, könnte mich nicht weniger interessieren. Es geht nicht um Hilfe, sondern auch viel um Selbsthilfe und vor allem um Kooperation, auch zwischen armen Ländern. Natürlich erwarten wir von Syrien im Moment nicht, dass es viel Entwicklungshilfe an andere Länder schickt. Aber ich finde es nicht gut, wenn Länder nur zusammenarbeiten, wenn sie wirklich keine andere Wahl haben. Das ist doch Wahnsinn. Ich würde gerne sehen, dass Kooperation mit anderen Ländern eine normale Angewohnheit von Staaten wird. Die niedrigste Stufe für Zusammenarbeit ist, dass eine Regierung sich danach umsieht, was andere Länder tun. In Großbritannien ist es grade sehr trendig, das skandinavische Modell zu kopieren. Ich schätze das ist Stufe zwei. Stufe drei ist, wenn man aufhört, herumzuschleichen und andere auszuspionieren und sich tatsächlich mit anderen Ländern zusammensetzt und sagt: Ihr habt ein paar interessante Lösungen zu Problemen, die wir auch haben, also lasst uns zusammenarbeiten. Etwa Mexikos Narco-Problem. Es kann nicht auf nationaler Ebene gelöst werden, weil es ein globales Problem ist.

Warum kann internationale Entwicklungshilfe dem Ruf eines Landes schaden?

Was den Ländern nachhaltig schadet, sind die Kampagnen, die Entwicklungshilfe begleiten und den Ruf eines Landes im Bewusstsein der Öffentlichkeit verändern. Egal ob das jetzt NGOs sind oder Bono und Geldof, die Afrika wie einen hoffnungslosen Fall hinstellen. Sie haben das wohl mit den besten Absichten gemacht, aber es hat nebenbei eine veraltete Sicht von Afrika promotet, nämlich das eines riesigen gescheiterten Kontinents, voll von verhungernden Kindern, denen Fliegen in die Augen krabbeln. Ich glaube, dass Afrika jetzt in einem sehr interessanten Stadium seiner Entwicklung ist. Zum ersten Mal in der Geschichte sind die Menschen bereit, auch Erfolgsgeschichten aus Afrika zu hören. Ich hoffe, dass das nicht nur die Gier der Afrika-Investoren ist, die das bewirkt. Afrikas größtes Problem ist, dass die Welt seiner Kultur mit kompletter Ignoranz begegnet. In meiner Forschung habe ich auch entdeckt, dass wir unfähig sind, ein Land zu respektieren, von dem wir glauben, dass es sich nicht selbst respektiert. Das liegt in der menschlichen Natur. Eine eigene Kultur wird als Beleg für diesen Selbstrespekt angesehen.

Was ist der erhoffte praktische Nutzen Ihres Good Country Index?

Ich wollte die Aufmerksamkeit der Menschen auf diesen Aspekt ziehen und ihnen eine Karte der Welt zeigen, die sie vorher noch nicht gesehen hatten. Diese fußt darauf, wie viel Gutes ein Land nach außen hin leisten kann, anstatt nur nach innen. Es hat genau die Reaktion gebracht, die ich erwartete. Eine Menge Überraschung, Ärger, Freude und Verwirrung. Das ist gut, um eine Debatte anzustoßen, und das wollte ich. Am Ende ist da aber nicht nur der Index, sondern ein ganzes Good Country Project. Der tiefere Sinn des Projekts ist es, die Menschen dazu zu bringen von ihren Regierungen zu verlangen: Ich will in einem guten Land leben.

Simon Anholt ist ein britischer Autor und Politikberater. Er unterstützt Regierungen weltweit bei der Entwicklung von Strategien zur besseren ökonomischen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm in Alpbach.

The Good Country Index