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Ein Deal mit Makeln

Von Veronika Eschbacher

Politik

Die durch die umstrittene Präsidentschaftswahl erzwungene Einheitsregierung in Afghanistan muss vor allem mit sich selbst auskommen.


Kabul. Ein Lächeln kam keinem der beiden Rivalen über die Lippen. Gut drei Monate nach der Stichwahl in Afghanistan nahmen die beiden Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani im Präsidentenpalast in Kabul unter einem Bild des alten, zerstörten Königspalastes Platz und unterzeichneten die Übereinkunft über die Bildung einer Einheitsregierung. Es folgte eine hölzerne Umarmung, ein kurzes Gebet. Der knappen Zeremonie waren lange Wochen der Neuauszählung umstrittener Stimmen, Verhandlungen hinter den Kulissen und Gewaltdrohungen zwischen den beiden Lagern vorausgegangen. Wenige Stunden später wurde Ashraf Ghani von der Wahlkommission offiziell zum Wahlsieger erklärt.

Aber nicht nur den beiden Kontrahenten, die nun in einer Einheitsregierung miteinander auskommen müssen, blieb das Lachen vorerst im Halse stecken. Auch für die Afghanen ist das Ende des politischen Patts zweischneidig. Einerseits begrüßen viele, dass es endlich einen neuen Präsidenten gibt. Das politische Vakuum hatte die wirtschaftliche Unsicherheit befördert, aber auch die Taliban auf den Plan gerufen, die ihre Angriffe über den Sommer erhöhten. Andererseits fragten sich viele, wozu sie überhaupt wählten. "So einen Deal hätten die beiden auch vor sechs Monaten schon aushandeln können, dazu hätten sie uns nicht gebraucht", sagte etwa ein Kabuli zu Al-Jazeera. Die afghanische Öffentlichkeit wurde zudem über den Vorsprung Ghanis vor Abdullah im Dunkeln gelassen, genauso wie über das Ausmaß des Wahlbetrugs. Analysten sprachen daher davon, dass der Wahlverlierer in Afghanistan - ungeachtet dessen, dass Millionen Afghanen an beiden Urnengängen teilgenommen hatten - die Demokratie sei.

Das nun erzielte Abkommen über die Einheitsregierung sieht vor, dass für Abdullah der Posten eines bislang nicht vorgesehenen sogenannten "CEO", wohl am besten vergleichbar mit dem Amt eines Premiers, geschaffen wird. Außerdem werden hochrangige Ämter in Regierung, Verwaltung und Justiz zwischen den Lagern der beiden Kandidaten aufgeteilt. Nach amerikanischem Vorbild ist in Afghanistan der Präsident zugleich Staats- und Regierungschef. Offenbar konnte Abdullah, der in den vergangenen Wochen mehrmals gedroht hatte, die Einheitsregierung platzen zu lassen und eine Parallelregierung aufzustellen, fast alle seiner Forderungen durchsetzen. Im Abkommen heißt es nur in einem Satz, dass der CEO "unter Aufsicht des Präsidenten" sei. Davon abgesehen ist er kompetenzmäßig dem Präsidenten praktisch gleichgestellt.

Aus dem Ghani-Team hieß es, man sei mehr als zufrieden mit dem Abkommen, da das Land bisher unter fehlender Einheit gelitten hätte und die Einigung dieses in eine neue Ära führen werde.

Fraglich ist unter Experten, wie gut es den beiden Lagern gelingen wird, zusammenzuarbeiten. Die langen Wochen erbitterten Kampfes, gegenseitiger Vorwürfe, die teilweise auch in Handgreiflichkeiten ausarteten, haben Spuren hinterlassen. "Durch das Abkommen muss die neue Administration mehr Arbeit schultern, als die Kontrahenten sich zu Beginn ihres Antretens vorstellen konnten", heißt es in einer Analyse des "Afghanistan Analysts Network". Im günstigsten Fall würden die Teams nun als Partner mit einem gemeinsamen Ziel zusammenarbeiten. Im ungünstigstens würden all die anstehenden Aufgaben - die Ankurbelung der Wirtschaft, die Aufstands- und Korruptionsbekämpfung und die angespannten internationalen Beziehungen - alte Kluften und Rivalitäten aufbrechen lassen. Aus afghanischen Regierungskreisen heißt es auf die Frage, ob die Teams zusammenarbeiten können, bloß: "Inshallah - so Gott will." Zugute kommt der Einheitsregierung, dass es bei den bisherigen Differenzen fast ausschließlich um die Machtverteilung, nicht um politische Grundsatzfragen ging. Was die für das Land notwendigen Reformen betrifft, stimmten die beiden Kandidaten bereits im Wahlkampf praktisch in allen Fragen überein.