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Reaktion mit "harter Hand"

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Anschlagserie auf israelische Zivilisten heizt Stimmung in Nah-Ost auf.


Tel Aviv. Der Anschlag auf eine Synagoge im Jerusalemer Viertel Har Nof Dienstag Vormittag hat inklusive der Attentäter sechs Todesopfer sowie acht Verletzte gefordert. Nach Angaben der Polizei von Jerusalem seien die Täter kurz vor sieben Uhr morgens in die Synagoge eingedrungen und haben die Betenden mit Äxten, Messer und einer Schusswaffe angegriffen, bevor sie von der Polizei erschossen wurden. Die Opfern waren drei US-Israelis sowie ein britisch-israelischer Staatsbürger. Offenbar handelte es sich bei den Attentätern um zwei Vettern - beide Palästinenser - aus Ostjerusalem: Nach palästinensischen Angaben hat kurz nach dem Anschlag der israelische Inlandgeheimdienst die Häuser ihrer Familien umstellt und mindestens neun Personen verhaftet.

Als Reaktion auf die Tat sollen die Waffengesetze für israelische Bürger gelockert werden, sagte der Minister für öffentliche Sicherheit, Yitzhak Aharonovich. Noch unklar sind die Hintergründe der Tat. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFPL) hat die beiden Attentäter als Mitglieder ihres bewaffneten Flügels identifiziert, allerdings ohne zu bestätigen, sie zum Anschlag beauftragt zu haben. Der israelische Polizeichef Yohanan Danino hingegen geht nicht von einer geplanten Attacke militanter Gruppen aus. "Es sind Einzelne, die sich zu Gewaltakten entschließen", sagte er in einer Erklärung. Der Angriff auf die Synagoge stehe somit in einer Reihe der jüngsten Gewaltausbrüche in Jerusalem, die im Unterschied zur zweiten Intifada vor rund zehn Jahren nicht als selbstmörderische Sprengstoffattentate organisiert werden, sondern mit Messern und Autos.

Weg in die dritte Intifada?

Nicht absehbar ist außerdem, ob die zunehmende Gewalt Anzeichen einer dritten Intifada ist. Zwar bezeichnete die Hamas, die trotz des israelischen Waffengangs im vergangenen Sommer weiterhin die Kontrolle im Gazastreifen ausübt, den Anschlag als "angemessene Reaktion auf die Verbrechen der Besatzung." Doch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die Tat ausdrücklich. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa forderte er ein "Ende aller Angriffe auf Zivilisten" und schloss damit implizit den Tod eines palästinensischen Busfahrers ein, der am vergangenen Sonntag erhängt in einem Bus in Jerusalem aufgefunden wurde. Die Polizei geht von einem Suizid aus, die Familie des Verstorbenen vermutet aber einen Mord von radikalen jüdischen Siedlern.

Während die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte Israels und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) trotz der verstärkten Spannungen offenbar weiterhin im Gange ist, da die jüngsten Attentate und gewaltsamen Zusammenstöße sich mehrheitlich auf Ostjerusalem beschränken, wo die palästinensische Autonomiebehörde nominell keine Kontrolle ausübt, verschärft sich der politische Ton. Palästinenserpräsident Abbas bezeichnete die Anschläge von Palästinensern als Reaktionen auf die zunehmende Präsenz jüdischer Gläubiger auf dem von Muslimen verwalteten Tempelberg sowie auf die anhaltende israelische Besatzung des Westjordanlands und den fortschreitenden Siedlungsbau.

Auf der anderen Seite erklärte Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu heute Nachmittag, die Attacke in der Synagoge sei eine unmittelbare Folge der Aufwiegelungen von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. "Wir werden mit einer harten Hand auf den brutalen Mord an Juden reagieren", sagte Netanyahu. Israels Außenminister Avigdor Lieberman warf Abbas zudem vor, er habe vorsätzlich den israelisch-palästinensischen Konflikt in eine religiöse Auseinandersetzung zwischen Juden und Muslimen verwandelt: Abbas’ Haltung, wonach Juden den Tempelberg nicht betreten dürften, leite zu "solch abscheulichen Taten an."

Kerry: "Purer Terror"

US-Außenminister John Kerry hat den Anschlag umgehend als "puren Terror fern jeglichen menschlichen Verhaltens" verurteilt, und der Nahostgesandte der Vereinten Nationen, Robert Serry, rief die Konfliktparteien dazu auf, "die notwendigen Schritte zu unternehmen, um weitere Eskalationen in der bereits angespannten Situation in Jerusalem zu vermeiden." Ausführlicher liest sich die Reaktion der Europäischen Union: Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte, der ausbleibende Fortschritt hinsichtlich einer Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästina werde zu einer nächsten Reihe an Gewaltausbrüchen führen. "Beide Seiten müssen Kompromisse eingehen, um eine anhaltende Sicherheit für die israelische und palästinensische Sicherheit garantieren zu können", so Mogherini.

EU-Sanktionen gegen Siedlungen?

Dass die EU die andauernde israelische Siedlungstätigkeit im Westjordanland als zentrales Hindernis für die Zweistaatenlösung betrachtet, geht aus dem vorgeschlagenen Sanktionskatalog der Union vor, den die israelische Zeitung "Haaretz" kürzlich publik machte. Zu den Vorschlägen gehören präzise Herkunftsdeklarationen von Produkten, die in israelischen Siedlungen produziert werden, Beschränkungen des Freihandelsabkommens mit Israel oder Maßnahmen gegen europäische Firmen, die geschäftliche Beziehungen mit Betrieben in den Siedlungen unterhalten.

Die EU stellt sich auf den Standpunkt, dass israelische Siedlungstätigkeit jenseits der "Grünen Linie" gegen internationales Recht verstößt, und bezeichnete in dem Dokument insbesondere die geplanten Siedlungsbauten in der Zone E1, die Jerusalem von den Palästinensergebieten abtrennen würden, als "rote Linie".

Laut "Haaretz" gehe das Dokument auf eine Initiative von Christian Berger zurück. Der Österreicher ist seit drei Jahren Direktor der Nahostabteilung des Auswärtigen Dienstes der Europäischen Union und war zuvor als Leiter des EU-Büros für die Palästinensergebiete.

Israels Außenminister Lieberman erklärte zu den vorgeschlagenen Sanktionen, es sei nicht angebracht, die Beziehungen zwischen Israel und der EU mit denjenigen zwischen Israel und der Palästinenserbehörde zu verbinden. "Jeder Versuch, solche Bedingungen aufzustellen, trägt nicht zur Stabilität, Normalisierung oder Verstärkung der Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensern bei", sagte er bei einer Pressekonferenz.