Tunis/Wien. Ja, er würde für die tunesische Präsidentschaftswahl kandidieren, sagte Beji Caid Essebsi im Juli dieses Jahres. "Wenn ich dann noch am Leben bin." Nun, mehr als vier Monate später, ist der Mann, der am 29. November seinen 88. Geburtstag feiert, der Favorit für die Wahl am Sonntag, bei der die Tunesier erstmals seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1956 ihren Staatschef selbst bestimmen können.

Der in Paris ausgebildete Jurist Essebsi ist ein Politveteran: Er kämpfte gegen die französischen Kolonialherren, diente dem ersten Präsidenten Habib Bourguiba in verschiedenen Ministerposten und war auch unter dem 2011 gestürzten Diktator Zine el Abidine Ben Ali Parlamentssprecher. Im Wahlkampf präsentiert er sich als Bollwerk gegen die Islamisten. Seine Partei Nidaa Tounes (der Ruf Tunesiens) wurde gegründet, um die islamistische Ennahda-Partei, die nach der Revolution 2011 zunächst die stärkste politische Kraft war, in die Schranken zu weisen. In Nidaa Tounes haben sich linke und liberale Kräfte, aber auch Technokraten aus dem Ben-Ali-Regime versammelt. Bei der Parlamentswahl Ende Oktober konnte sie der Ennahda dann tatsächlich die Mehrheit abnehmen und verwies diese an die zweite Stelle.

Warnung vor Rückkehr
der alten Garde

Insgesamt treten 27 Kandidaten zur Wahl an. Und es ist ein buntes Feld: Der derzeitige Interims-Präsident Moncef Marzouki saß unter Ben Ali im Gefängnis und warnt vor der Rückkehr der alten Garde. Gleichzeitig scheut der Menschenrechtsaktivist nicht die Nähe von Islamisten, was ihm bei säkularen Tunesiern Stimmen kosten könnte. Auch die einzige Frau im Kandidatenfeld, Kalthoum Kannou, wurde unter Ben Ali in die Provinz verbannt, da sich die aufmüpfige Juristin für ein unabhängiges Gerichtswesen eingesetzt hatte. Mit dem Millionär Slim Riahi tritt auch ein nicht unbedingt als seriös verschriener Präsident eines Fußballvereins, des populären Club Africain aus Tunis, an.

Doch wer die Wahl auch gewinnt - für mindestens genau so viel internationale Aufmerksamkeit sorgt, dass dieses Votum überhaupt stattfindet. In Ägypten ist erneut das Militär mit harter Hand an der Macht, Syrien ist in einem grausamen Bürgerkrieg versunken und schon längst zerstört, im Jemen herrscht ein blutiger Machtkampf, und Libyen wird ebenfalls von bewaffneten Kämpfen zerrüttet und droht zu einem gescheiterten Staat zu werden. Nur in Tunesien, wo der Arabische Frühling durch die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohammed Bouazizi im Jänner 2011 seinen Anfang nahm, scheint der Weg von der Revolution zur Demokratie zu führen.