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Krieg der Tastaturen

Von Daniel Bischof

Politik

Sony bringt Nordkorea-Satire trotz Drohungen ins Kino, Hackerangriffe stehen wieder im öffentlichen Fokus.


Wien/Washington/Pjöngjang Auf einmal gehen die Lichter aus. In Marc Elsbergs Thriller-Roman "Blackout" bringt eine Gruppe von Cyber-Anarchisten die Welt an den Rand des Kollaps: Durch gezielte Hackerattacken verursachen sie einen groß angelegten Stromausfall, der katastrophale Konsequenzen mit sich bringt. Innerhalb weniger Tage brechen in den betroffenen Staaten die Energie-, Kranken- und Lebensmittelversorgung komplett zusammen. Besonders dramatisch: Aufgrund der fehlenden Stromversorgung stehen mehrere Atomkraftwerke vor dem Super-GAU.

Seit Jahren geistern solche Bedrohungsszenarien herum - längst beschäftigen sich auch Staaten mit den Gefahren. So veröffentlichte das "Büro für Technikfolgen-Abschätzung im Deutschen Bundestag" 2010 eine Studie über die möglichen Auswirkungen eines flächendeckenden Stromausfalles in Deutschland. Denn Cyber-Angriffe werden zunehmend zu einem machtvollen Instrument für Staaten. Sie sind leicht durchführbar, schnell, effektiv und vor allem: schwer zurückzuverfolgen. Einen ersten Vorgeschmack, wie ein Cyberwar tatsächlich ausschauen könnte, lieferte ein - sehr wahrscheinlich aus Russland stammender - Angriff auf Estland. Über mehrere Wochen lang wurden Webseiten und Computersysteme der Regierung, Unternehmen, Zeitungen, Banken und Handynetzbetreibern lahmgelegt.

In der öffentlichen Debatte wurde das Thema Cyber-Warfare jüngst wieder durch die Hackerangriffe auf das US-Filmstudio Sony präsent. Anlassfall war die US-Komödie "The Interview", in der zwei Talkshowmoderatoren von der CIA beauftragt werden, Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un zu töten. Unter normalen Umständen hätte der Trashfilm wohl kaum für Furore gesorgt.

Es kam jedoch anders: Die Hackergruppe "Guardians of Peace" legte zeitweise den IT-Bereich des Sony-Filmstudios lahm und verschaffte sich Zugang zu tausenden privaten E-Mails, anderen Interna und einigen Drehbüchern geplanter Filme.

Nachdem die Gruppe auch noch mit Anschlägen auf Kinos, die den Film zeigen wollten, drohte, stoppte Sony die Veröffentlichung des Filmes kurzzeitig. Eine Welle der Empörung folgte: US-Präsident Barack Obama und etliche Filmschaffende kritisierten die Entscheidung von Sony. Das Filmunternehmen ruderte zurück und genehmigte am Dienstag einen begrenzten Start des Films in einigen US-Kinos am ersten Weihnachtsfeiertag.

Nordkorea: Internet fällt aus

Für die USA war der Schuldige schnell gefunden: Nordkorea selbst habe den Angriff orchestriert. Das FBI sagte, dass die Angreifer "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" aus Pjöngjang stammten. Obama erwägt nun, Nordkorea wieder auf die Liste der Staaten zu setzen, die Terror unterstützen.

Nordkorea bestreitet jedwede Involvierung. Der Streit gewann an Dynamik, als bekannt wurde, dass das Internet in Nordkorea Montag und Dienstag für mehrere Stunden teilweise komplett zusammenbrach. Eine eindeutige Ursache für den Ausfall wurde bisher noch nicht festgestellt.

Doug Madory, leitender Mitarbeiter von Dyn-Research, eines auf Internetsicherheit spezialisierten US-Unternehmens, vermutet aber - auch aufgrund des Timings - eine Cyber-Attacke. Das nordkoreanische Netz sei zudem leicht verwundbar, so Jim Cowie, Chefwissenschafter bei Dyn. Es sei "anfällig" und "provinziell". Washington wies zuerst jedwede Beteiligung an einem Angriff zurück. Gegenüber der "New York Times" erklärte ein Regierungsvertreter am Dienstag jedoch nur halbherzig: "Ich denke, Unfälle passieren schon einmal."

Schwerwiegende Folgen dürfte der Ausfall ohnehin kaum haben: Nur die Eliten des abgeschotteten und technisch rückständigen Landes verfügen überhaupt über einen Internetzugang.

Wann ist es ein Kriegsakt?

Doch wie ist eigentlich völkerrechtlich mit solchen Angriffen umzugehen? Denn während für die physische Kriegsführung ein über Jahrhunderte gereiftes "Regelwerk" entstanden ist, sind Cyberangriffe ein relativ neues Phänomen. "Die Staaten haben eindeutig festgelegt, dass die existierenden Regeln des Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrechts auch auf die Kriegsführung im Cyberspace anwendbar sind", erklärt der Völkerrechtler Russell Buchan von der "University of Sheffield" im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Knackpunkt sei vielmehr, wann eine Cyberattacke genau einen Kriegsakt darstelle.

"Das ist nur der Fall, wenn die Attacke entweder physischen Schaden in der echten Welt verursacht - beispielsweise, wenn ein Luftfahrtsystem angegriffen und beschädigt wird und dadurch ein Flugzeug abstürzt. Oder: Der Schaden betrifft zwar den Cyberspace, hat aber ernsthafte Auswirkungen auf die Funktionalität von Computersystemen, welche die kritische nationale Infrastruktur betreffen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Regierungskommunikation komplett lahmgelegt wird", so Buchan.

Sollte Nordkorea für den Angriff tatsächlich verantwortlich seien, würde die Attacke zwar keinen Kriegsakt darstellen. Sie würde aber trotzdem Völkerrecht verletzen, nämlich das Prinzip der Nicht-Intervention in innere Angelegenheiten von Staaten. Denn dieses Prinzip verbiete auch Cyber-Attacken, so Buchan.

Wirklich gefährlich werden könnten Cyberangriffe auf sensible Ziele wie beispielsweise Atomkraftwerke.

Angriff auf AKW-Betreiber

Dass solche Attacken schon längst nicht mehr als Panikmache abgetan werden können, beweist der Angriff auf den südkoreanischen AKW-Betreiber Korea Hydro and Nuclear Power. Der Betreiber hatte am Montag gestanden, das Opfer einer Cyber-Attacke geworden zu sein. Kritische Daten seien dabei, wie versichert wurde, aber nicht gestohlen worden. Auch bestehe keine Gefahr für die Atomkraftwerke. Aufgrund des Vorfalls hat die südkoreanische Präsidentin Park Geun-Hye am Dienstag angekündigt, die Cyber-Sicherheit an den AKWs verstärken zu lassen.

Für Unklarheiten sorgt ein Twitter-Account: Vergangene Woche wurde er benutzt, um einen Datendiebstahl publik zu machen. Der Benutzer des Accounts, der sich selbst als Vorsitzender einer Anti-Atomkraft-Gruppe bezeichnet, verlangt nun in einem neuen Schreiben die Schließung einiger der 23 südkoreanischen Nuklearreaktoren. Bewohner in der Umgebung sollten fliehen, forderte er. An dem Schreiben waren auch einige unbekannte Datensätze angehängt. Der Account wird nun von den Behörden und dem AKW-Betreiber untersucht.