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Verurteilen und verschwören

Von Frank Nordhausen und Alexander Dworzak

Politik

Medien in mehrheitlich muslimischen Ländern und soziale Netzwerke schwanken in der Beurteilung des Pariser Attentats.


Istanbul/Wien. Offiziell verurteilt die türkische Regierung den Pariser Terroranschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", nennt diesen "barbarisch" und versichert Frankreich ihrer Solidarität. Gleichzeitig zeigen publizistische Strömungen aus dem Lager der regierenden islamisch-konservativen AKP ein bedenkliches Verständnis für die Attentäter. Einige Tageszeitungen, die treu zum Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan stehen, zogen den Zorn kritischer türkischer Internetnutzer auf sich, weil sie mit ihren Schlagzeilen die tödlichen Attacken zu rechtfertigen schienen.

So titelte das islamistische Blatt "Yeni Akit" in seiner Online-Ausgabe wenige Stunden, nachdem die Terroristen mit dem Ruf "Allahu akbar" zwölf Menschen erschossen: "Angriff auf Magazin, das Muslime provozierte." Auf der Facebook-Seite der Zeitung ergingen sich Leser in blutdürstigen Kommentaren, in denen sie den Anschlag als Rache für den Abdruck von Mohammed-Karikaturen bezeichneten. Ein Nutzer schrieb: "Ich hoffe, sie werden weitere Ungläubige töten", ein anderer: "Ich danke jenen, die das taten." "Yeni Akit" änderte seine Schlagzeile später in "Die große Provokation von Paris".

"Schmutziges Komplott"

Was damit gemeint ist, erläuterten die für ihre Verschwörungstheorien bekannten regierungstreuen Blätter "Türkiye" und "Star" unter der Überschrift "Anschlag auf Magazin, das unseren Propheten beleidigte" bzw. "Schmutziges Komplott in Frankreich". In einer perversen Logik schienen sie "Charlie Hebdo" zu unterstellen, den Anschlag "auf Verabredung" selbst herbeigeführt zu haben, "um den Hass auf Muslime zu verstärken" ("Türkiye"). Das folgt den Äußerungen türkischer Spitzenpolitiker, die ihre Verdammung mit der Mahnung verbanden, es sei offensichtlich, dass die Attacke "niemand anderem dient als islamophoben, rassistischen und gegen Migranten eingestellten Kreisen". So sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu, Islamophobie und Terrorismus nährten sich gegenseitig.

Unwidersprochen blieben die Schlagzeilen der AKP-nahen Medien jedoch nicht. Nach einer Flut empörter Reaktionen auf Twitter titelte "Türkiye" dann: "Anschlag auf Magazin, das hässliche Karikaturen unseres Propheten publizierte." Noch größeren Widerspruch provozierten Twitterbotschaften aus dem AKP-Umfeld, die unverhohlen dazu aufriefen, nun auch die bekannten türkischen Satirezeitungen "Leman" und "Penguin" "zu bestrafen". Beide Blätter wagen es wöchentlich, Erdogan und andere türkische Politiker auf die Schippe zu nehmen; sie betrachten "Charlie Hebdo" ausdrücklich als Vorbild. Der bekannte AKP-Insider Gizli Arsiv riet den "Leman"-Redakteuren, "eine Lehre aus dem Anschlag gegen ,Charlie Hebdo‘ zu ziehen". Eigentlich fallen solche Äußerungen unter ein AKP-Gesetz, das Hassreden unter Strafe stellt. Doch es wird fast ausschließlich gegen Regierungskritiker angewendet.

Irreführende Islamisten

Offizielle Stellen wie die Al-Azhar-Universität in Kairo, die wichtigste Autorität des sunnitischen Islam, und die Arabische Liga verurteilten umgehend den Anschlag von Paris. Wenig überraschend anders äußerte sich Syriens Machthaber Bashar al-Assad, der das Attentat als Folge der "kurzsichtigen Politik der Europäer" sieht. Wie divers die Wahrnehmung des Attentats innerhalb der arabischen Staaten und Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit ist, zeigt ein Blick auf führende Medien. In einem Leitartikel auf der Webseite des pan-arabischen Nachrichtensenders Al Arabiya zieht Abdulrahman al-Rashed, bis November 2014 Geschäftsführer des Senders, alle jene verbal zur Verantwortung, "die Terrorakte rechtfertigen und versuchen, Muslime anhand von Lügen und Entschuldigungen in die Irre zu führen". Stattdessen müssten alle an einem Strang ziehen und die Morde an den Journalisten von "Charlie Hebdo" und der weiteren Opfer verurteilen. "Die Sünden der Verteidiger (des Terrors von Paris, Anm.) sind um nichts geringer als die Verbrechen Al-Kaidas oder von IS, die sie lange gepriesen haben. Sie haben Millionen von Menschen irregeführt, indem sie Terroristen als Verteidiger der Rechte und der Existenz der muslimischen Diaspora präsentiert haben."

Die unmissverständliche Ablehnung von Gewalt im Namen des Islam bei Al Arabiya ist umso bemerkenswerter, da der Kanal im Besitz des saudischen Königshauses steht - in einem Land, in dem die besonders konservative wahhabitische Form des Islam Staatsreligion ist. Die Mehrheit der Attentäter vom 11. September 2001 war saudischer Herkunft, und die vom gebürtigen Saudi Osama bin Laden geführte Al-Kaida erhielt über Jahre hohe Spendensummen aus seiner früheren Heimat. Bereits die Mudschaheddin wurden in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen im Afghanistan der 1980er finanziell großzügig bedacht. Die klare Gegnerschaft zu den Pariser Morden entspricht jedoch der Linie von Al Arabiya - das in Konkurrenz zu Al Jazeera steht, dem wiederum von Katar gelenkten Kanal. Eben jene "Mutter" der pan-arabischen TV-Sender zeigte in der Vergangenheit auch Verständnis für Bluttaten im Namen Allahs. In einem Kommentar für Al Jazeera moniert nun der sudanesische Cartoonist Khalid Albaih, Muslime wären andauernd aufgefordert, sich für Gewalttaten zu entschuldigen, die sie weder begangen noch befürwortet hätten.

Vorwand für Einmarsch

Die Konkurrenz zwischen Al Arabiya und Al Jazeera spiegelt auch die Differenzen zwischen Katar und Saudi-Arabien wider. So unterstützt das kleine Emirat in Ägypten die Muslimbruderschaft, Saudi-Arabien hingegen das Militär. Saudi-Arabien, dessen König Abdullah Bürger per Haftstrafe vom Dschihad im Ausland aufhalten will, möchte sich gemäßigt zeigen. Derweil führt Al Arabiya genüsslich den Chefredakteur der katarischen Zeitung "Al Arab" vor. Dieser insinuiert, Frankreich würde "Charlie Hebdo" benutzen, um in Libyen einzumarschieren.