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"Pressefreiheit nimmt in Europa ab"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Antoine Héry von Reporter ohne Grenzen über die Attentate auf "Charlie Hebdo" und die Folgen.


"Wiener Zeitung": Was bedeuten die Attentate auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" für die Pressefreiheit?

Antoine Héry: Unser Leitmotiv ist es zu sagen, dass diese Angriffe keine Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben werden. Es gibt derzeit eine nie dagewesene Solidaritätsbekundung zwischen Medien und Bevölkerung. Die Medien scheinen klar entschlossen zu sein, die ihnen übertragene Verantwortung zu übernehmen und von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen; so wie sie es bereits getan haben, nur ab jetzt auch im Namen jener acht Journalisten, die getötet wurden, weil sie ihrer Meinungsfreiheit Ausdruck verliehen haben.

Besteht nicht die Gefahr, dass es zu Selbstzensur kommt, dass Journalisten aufgrund dieser Gewalt ab jetzt viel vorsichtiger dabei sein werden, Grenzen auszuloten?

Das Risiko besteht natürlich. Deshalb haben wir auch die französischen und internationalen Medien dazu aufgerufen, die Karikaturen von "Charlie Hebdo" zu veröffentlichen, speziell jene des Propheten Mohammed von 2007, wegen derer die Zeitschrift angeklagt und freigesprochen wurde. Damit tritt man auch diesem System der Angst entgegen, denn in dem Moment, in dem sie alle veröffentlichen, wird auch die Bedrohung auf eine gewisse Art neutralisiert.

Sind die Zeitungen diesem Aufruf gefolgt?

Das ist schwer zu sagen. Viele haben sie veröffentlicht, aber das war jetzt nicht zwangsläufig wegen unseres Aufrufs. Grundsätzlich haben wir uns gewünscht, dass auch die internationalen Zeitungen die Karikaturen veröffentlichen. Vor allem in der angelsächsischen Welt ist es extrem schwierig, derartige Karikaturen zu veröffentlichen. Was uns schon überrascht hat, ist, dass sie die "Washington Post" unzensuriert veröffentlicht hat. Das haben viele nicht gewagt. Dann gibt es andererseits Länder wie Deutschland, die eine herzerwärmende Solidarität an den Tag legen. Zeitungen haben dort teilweise 60 der Karikaturen von "Charlie Hebdo" veröffentlicht.

Wie ist es in Europa generell um die Pressefreiheit bestellt? Gibt es da noch schwarze Flecken?

Da gibt es natürlich Länder wie Russland und Weißrussland oder auch die Türkei, die das weltweite Schlusslicht bilden. Das sind Länder, die dann teilweise auch zu regionalen Modellen geworden sind und ihre Nachbarstaaten beeinflussen. Im Falle Russlands erstreckt sich die Einschränkung der Pressefreiheit auch auf die Ukraine und die Krim, aber auch auf die baltischen Staaten, die eine bedeutende russischsprachige Minderheit haben - die sehen sich auf einmal mit russischer Propaganda konfrontiert. Dann gibt es aber auch Länder im Herzen Europas wie Griechenland und Bulgarien, die große Defizite haben. Die belegen im weltweiten Ranking den 90. beziehungsweise 100. Platz. Es gibt nach wie vor die leuchtenden Vorbilder wie Deutschland, die nordischen Staaten oder die Niederlande, aber generell hat sich die Lage in Europa in den letzten Jahren verschlechtert. Nehmen Sie Ungarn: Das Land steht geradezu exemplarisch für die Orientierung nach Osten hin zum russischen Vorbild. Seit 2010 gibt es unter Premierminister Viktor Orban nach und nach Maßnahmen und Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit.

Steht dieser Verfall der Pressefreiheit in Zusammenhang mit dem Aufschwung der extremen Rechten?

Das ist eine delikate Angelegenheit, denn dieser Zusammenhang lässt sich nicht nachweisen. Ich würde da eher von Populismus sprechen. Die Methoden der Populisten - ob das jetzt Orban in Ungarn ist oder Beppe Grillo in Italien - lassen an Praktiken denken, die absolut nicht demokratisch sind. Zum Beispiel ist in Frankreich das renommierte investigative Medium "Mediapart" vom Parteitag der Front National ausgeschlossen worden. Motto: "Wenn ihr nicht in unserem Sinne schreibt, werdet ihr von der Information abgeschnitten." Bei Beppe Grillo wiederum hat es innerhalb seiner Fünf-Sterne-Bewegung eine Kontrolle über das, was nach außen dringt, die jenseits der Vorstellungskraft, aber auf jeden Fall jenseits demokratischer Grundwerte liegt.

Was klar belegbar ist, ist der Einfluss der Wirtschaftskrise. In Griechenland zum Beispiel haben seit der Wirtschaftskrise die Slogans stark zugenommen, in denen die Medien pauschal als verrottet bezeichnet werden. Die Journalisten sind im Prekariat gelandet: Sie verlieren ihre Freiheit, weil sie einen verschlechterten sozialen Status haben.

Wie ist es um die Pressefreiheit in der Arabischen Welt bestellt?

Um ehrlich zu sein: katastrophal. Da ist es zu einem richtigen Absturz gekommen. Es hat einen Hoffnungsschimmer mit dem Arabischen Frühling gegeben. Und auch wenn es in Tunesien so scheint, als werde der demokratische Weg beschritten, so gibt es doch zahlreiche Gegenbeispiele wie Libyen oder die eiserne Hand von Präsident al-Sisi in Ägypten. Bei Syrien weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Und dann gibt es Länder wie Saudi-Arabien. Dort ist gerade der Blogger Raef Badawi verurteilt worden. Der hat zu seinem Leidwesen auf seiner Internetseite geschrieben, dass Christen, Moslems und Atheisten gleich sind. Dafür ist er zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt worden.

Zur Person

Antoine Héry

Der Franzose ist Leiter des Europabüros von "Reporter ohne Grenzen" in Paris.