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Die letzten Christen des Irak

Von Thomas Seifert aus Erbil

Politik

"Ohne militärische Gewalt wird sich der Islamische Staat nicht zurückziehen."


Erbil. Bashar Warda, der Erzbischof der chaldäischen chaldäisch-katholischen Erzeparchie Erbil entschuldigt sich, bevor er sagt, was er eigentlich sagen will. "Verzeihung, wenn ich das als Bischof sage, aber ohne militärische Gewalt sehe ich beim Islamischen Staat, den wir hier Daish nennen, keinen Willen, sich zurückzuziehen. Von denen wird niemand sagen, Entschuldigung, war ja nicht so gemeint, ihr Christen könnt ruhig zurückkommen."

Als Mann der Kirche sollte man ein Mann des Friedens sein und militärische Gewalt wohl nicht gutheißen. Aber im Irak ist Nächstenliebe rar geworden und die Zukunft der christlichen Gemeinde ist höchst ungewiss. Mehr als 120.000 Christen sind im Nordirak auf der Flucht. Die Kirche kümmere sich um Unterkünfte, um die Flüchtlinge aus Zelten und Lagern in feste Unterkünfte zu bringen, berichtet Erzbischof Warda, und wolle so dafür sorgen, dass die Menschen im Irak bleiben. Schulen seien in Bau, Wohnhäuser ebenso. Dennoch würden jeden Tag 60 Christen den Irak Richtung Libanon, Jordanien oder Europa verlassen. "Man darf nicht vergessen, das ist bereits die dritte Fluchtwelle der Christen", sagt Bischof Warda. Die erste war nach dem Irak-Krieg von 2003, dann am Höhepunkt des Bürgerkriegs zwischen Schiiten und Sunniten zwischen 2006-2007, in dem aber auch Christen und andere religiöse Minderheiten zur Zielscheibe geworden sind und schließlich 2014, bedingt durch den Vormarsch des Islamischen Staats (IS)/Daish. "Nun haben die Christen die Hoffnung verloren, dass der Irak eine Zukunft hat. Wir versuchen, die Menschen zum Bleiben zu überreden, aber es gibt keine Garantie, dass alles wieder gut wird", sagt er. Wenn alles vorbei ist und IS/Daish in die Flucht geschlagen ist, dann müssen die Dörfer wiederaufgebaut werden und Versöhnungsinitiativen zwischen den Sunniten und den religiösen Minderheiten gestartet werden, sagt Bischof Warda. Die Kirche stecke in einem Dilemma: Umsiedlungsprogramme nach Europa würden dazu führen, dass der Exodus der Christen aus dem Irak sich noch weiter beschleunige. "Gleichzeitig ist die Lage hier alles andere als einfach", sagt Warda.

Archimandrit Emanuel Youkhana, Vorsitzender der Organisation Capni (Christian Aid Program Northern Iraq), der die christlichen Hilfswerke in der nordirakischen Stadt Dohuk koordiniert, stimmt dem zu, wiewohl er hinzufügt, dass man bei Härtefällen einzelnen Familien helfen müsse. Alle Christen aus dem Irak umsiedeln zu wollen sei naiv: "Ist Europa darauf vorbereitet, zehntausenden, hunderttausenden Christen eine neue Heimat zu bieten?" 350.000 Christen gebe es im Irak, vor zehn Jahren seien es noch mehr als eine Million gewesen. Am realistischsten sei es wohl, ein Gebiet im Nordirak, die Provinz Niniveh, zur international garantierten Schutzzone zu machen, in dem die Minderheiten in Sicherheit leben können.

Flüchtlingslager im Rohbau

Gleich gegenüber vom Bischofssitz lebt eine Gruppe von Christen in einem Rohbau eines noch nicht fertiggestellten Einkaufszentrums. Die Menschen leben in Containern, im obersten Stockwerk des Rohbaus ist in langen Reihen Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Hilfspakete aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen aufgeschlichtet an der Wand, auf dem Herd der Gemeinschaftsküche dampfen Teewasser und Suppe. Für irakische Verhältnisse ist die Lage hier vergleichsweise gut, dennoch will kein einziger Gesprächspartner im Irak bleiben, alle wollen nach Europa, nach Deutschland oder nach Skandinavien, wo in manchen Fällen bereits Verwandte leben.

Es ist Nacht geworden. Nicht weit vom Einkaufszentrums-Rohbau gegenüber vom Bischofssitz ist im Hof der Mar Elias Kirche in Ankawa, einem mehrheitlich von christlichen Assyrern und Aramäern bewohnten 40.000-Einwohner-Vorort im Norden von Erbil, eine kleine Zeltstadt entstanden, in der rund 500 Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben. Im Garten der Kirche stehen Zelte hinter einer Marien-Statue, Zelte auch vor der Kirche und in Reihen hinter einer Krippe, die seit dem Weihnachtsfest hier steht. Die biblische Herbergssuche im Stall von Bethlehem hat hier eine verstörende Aktualität.

Aus einer Kapelle dringen zuerst monotones Gemurmel von Fürbitten und dann der sonore Klang von Kirchenliedern. Kerzen flackern, vor einem Schrein mit einem Marienbildnis haben sich Frauen und Kinder versammelt, eine junge Frau liest einen Psalm aus der Bibel vor. Es ist kalt, ihr Atemhauch kondensiert.

Amir steht vor dem Zelt, das er mit seiner Familie bewohnt. Im August, beim Vormarsch von IS/Daish, musste er mit seiner Familie aus dem südlich von Mosul gelegenen Ort Karakosch nach Erbil fliehen. Die Lage im Flüchtlingscamp sei nicht so schlecht, es gebe Kinderbetreuung, eine kleine Bibliothek, Musikinstrumente. Aber es sei bitter kalt, und wenn es stark regnet, dann nässt es durch die Zeltplane. Ob er jemals nach Karakosch zurückkehren wolle? Ja, doch zuerst müsse IS/Daish geschlagen werden.