Neu-Delhi. (rs) Als Arvind Kejriwal im Dezember 2013 in einem heruntergekommenen, dreigeschossigen Gebäude im Herzen von Neu-Delhi seine politische Karriere startete, sprach nicht vieles für den ehemaligen Steuerbeamten mit dem Schnauzbart. Weder verfügte der damals 44-Jährige über die weitverzweigten und über Jahrzehnte aufgebauten Strukturen der etablierten Parteien, noch besaß er einen klingenden Namen wie die Mitglieder des Nehru-Gandhi-Clans, die das politische Leben Indiens seit der Unabhängigkeit dominiert hatten. Und mit einem Budget von umgerechnet knapp 2,4 Millionen Euro hatte seine kurz zuvor gegründete Aam Aadmi Partei (AAP) nur einen Bruchteil jener Mittel zur Verfügung, auf die seine politischen Mitbewerber zurückgreifen konnten.
Doch Kejriwal und seine Bewegung, die übersetzt in etwa "Partei des kleinen Mannes" heißt, hatten den Besen. Er wurde zum Symbol für den kompromisslosen Kampf der AAP gegen die weitreichende Korruption in der indischen Gesellschaft, das von unzähligen Sympathisanten und Freiwilligen weitergetragen wurde und mittlerweile auf zehntausenden Tuk-Tuks zu finden ist.
Welchen Nerv die AAP mit ihrem Engagement für eine saubere Politik trifft, hat das nun vorliegende Ergebnis der am Samstag abgehaltene Regionalwahl in Delhi so deutlich wie nie vor Augen geführt. Die "Partei des kleinen Mannes" gewann 67 der 70 Sitze im Abgeordnetenhaus, die hindu-nationalistische BJP von Premier Narendra Modi, die die Parlamentswahl im Frühjahr noch überlegen gewonnen hatte, konnte gerade noch drei Mandate erringen. Die von der Gandhi-Dynastie dominierte Kongresspartei ging überhaupt leer aus.
Die Folgen des Erdrutschsieges dürften allerdings nicht auf die Hauptstadt beschränkt bleiben, viele politische Analysten gehen davon aus, dass das spektakuläre Ergebnis tiefgreifende Auswirkungen für das gesamte Land haben wird.
Vor allem dürfte es Kejriwal gelungen sein, den Mythos von Modis Unbesiegbarkeit zu zerstören. Seit dem massiven Erfolg bei den Parlamentswahlen im Mai hat die BJP mit dem Premier als Aushängeschild bei jeder Regionalwahl abgeräumt. Und auch in Delhi hatte der 64-Jährige immer wieder zum Mikrofon gegriffen und war auf mehr Plakaten zu sehen als die eigentliche Spitzenkandidatin. Mit dem nunmehrigen Erfolg der "Partei des kleinen Mannes" dürften jetzt auch andere Regional- und Splitterparteien wieder neuen Mut fassen.
Für die BJP wird es nun auch schwieriger, Reformen zu verabschieden. Sie verfügt zwar über eine absolute Mehrheit im Unterhaus - nicht aber im von den Bundesstaaten kontrollierten Oberhaus, durch das alle Gesetzesvorhaben müssen. Im Parlamentswahlkampf hatte Modi hatte den 1,2 Milliarden Menschen im Land versprochen, Jobs zu schaffen, Straßen und Stromleitungen für alle zu bauen und die Korruption einzudämmen. Bisher laufen seine Reformvorhaben aber nur schleppend an. Analysten vermuten, dass Modi die ganz großen Projekte erst in die Welt setzt, wenn er sie in beiden Häusern durchpeitschen kann. Das könnte bedingt durch den AAP-Sieg nun allerdings noch etwas dauern.
Ein neuer Politik-Stil
Kejriwals Erfolg in Delhi zeigt zudem, dass Politik für bestimme Kasten oder Religionen in Indien längst kein Allheilmittel mehr ist: Die BJP ist eine hindu-nationalistische Partei, die gezielt die fast 80 Prozent Hindus in Indien anspricht. Viele Muslime, Christen, Sikhs, Jains oder Buddhisten fühlen sich derzeit benachteiligt oder bedroht. Die andere alte große Partei Indiens, die Kongresspartei, betrieb oft eine ähnliche Klientelpolitik. Bei der AAP spielte dies im Wahlkampf hingegen keine Rolle. Die Partei lehnte sogar explizit die Unterstützung eines wichtigen muslimischen Anführers ab. Auch Kasten- oder Schichtenzugehörigkeit wurden nicht beschworen. So konnten Ärzte die Partei genauso wählen wie Slumbewohner. Und nicht zuletzt ist durch die AAP ein neuer Politik-Stil in Indien eingezogen. Ihre Vertreter machen so ziemlich alles anders als die alteingesessenen Abgeordneten, die in teuren Autos herumgefahren werden und in klimatisierten, abgeschiedenen Villen leben. Sie versprechen eine neue Moral und Ethik - und leben selbst danach. Dass dadurch auch neues Vertrauen in die Demokratie entsteht, zeigt ein Blick auf die Wahlbeteiligung in Delhi: Nie war diese höher als am vergangenen Samstag.