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"Raif fürchtet um sein Leben"

Von Arian Faal

Politik

Ensaf Haidar, die Ehefrau des saudischen Bloggers Raif Badawi, im Exklusivinterview.


"Wiener Zeitung": Wie fühlt sich ihr Mann?Ensaf Haidar: Raif ist traurig, pessimistisch und schwach. Seine Gedanken sind manchmal negativ und manchmal positiv. Am meisten ist er aufgebracht wegen der Richterentscheidung. Die saudischen Behörden haben den zuständigen Richter ausgewechselt. Wir sorgen uns, dass ihm die Todesstrafe, also die Enthauptung wegen Abfalls vom Islam, drohen könnte. Die Tatsache, dass der Fall nach einer Gesetzesnovelle wieder beim Erstrichter gelandet ist, erhöht unsere Angst. Raif fürchtet, dass sich seine Situation verschlechtert. Er fürchtet um sein Leben.

Wie kam es zum Richterwechsel?

Ursprünglich hatte der einfache Strafrichter, der schon zuvor mit dem Fall befasst war und zwei Mal meinen Mann wegen Apostasie anklagen wollte, kein Recht, die Todesstrafe auszusprechen. Denn solche Urteile waren bisher nur den höheren Gerichten vorbehalten. Doch nach der Gesetzesnovelle des Obersten Rechtsrates vom 19. September 2014 darf auch das einfache Strafgericht Todesurteile aussprechen.

Wie oft und wann haben Sie zuletzt mit ihrem Mann telefoniert?

Das letzte Mal sprachen wir am Dienstag miteinander. Wir dürfen nicht oft telefonieren, meist nur einmal in der Woche. Und dann auch immer nur vier oder fünf Minuten lang. Bei diesen Gesprächen haben wir nur sehr wenig Zeit zum Austausch, da er ja auch mit unseren drei Kindern sprechen will. Das ist ihm sehr, sehr wichtig.

Erzählen Sie uns mehr über den Menschen Raif Badawi.

Er ist ein sehr zärtlicher Vater, ein unglaublicher und außergewöhnlicher Mann. Wir sind seit zehn Jahren verheiratet und haben zwei Töchter und einen Sohn. Was ihm zum Verhängnis wurde, ist, dass er sich für Dialog zwischen den Menschen einsetzte. Er wollte Meinungsfreiheit und Rechte für Frauen und für alle Menschen.

Wie sind die Haftbedingungen?

Es gibt keine medizinische Versorgung, sie kümmern sich im Gefängnis nicht um ihn und seine Gesundheit. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal, und es ist in der Zelle nicht sauber. Er hat Schmerzen wegen der Wunden als Folge der Stockschläge. Das Essen in der Zelle ist auch nicht gut. Er ist depressiv.

Befindet er sich im Gefängnis in Jeddah derzeit in einer Einzelzelle?

Nein, er ist mit einigen anderen Häftlingen untergebracht.

Wird er von Zellengenossen traktiert?

Er versteht sich gut mit den anderen, denn er ist ein sehr liebenswürdiger und positiver Mensch.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat Sie kürzlich angerufen. Gab es auch noch andere Politiker, die Sie kontaktierten?

Ja. Minister Kurz hat mich kontaktiert und mir versprochen, dass er den Fall beim Genfer Menschenrechtsrat anspricht. Er hat mir zugesagt, dass er sich um die Freilassung von Raif bemühen wird. Andere europäische Minister haben mich nicht kontaktiert. Aber es gibt viele kanadische Politiker, die mich unterstützen. Außerdem rufen mich viele Journalisten an, darunter auch aus Deutschland und Kanada.

Sie sprechen die Medien an. Über den Fall Badawi wird - nicht zuletzt durch Ihr Engagement - weltweit sehr ausgiebig berichtet. Fürchten Sie nicht, dass diese massive Berichterstattung Saudi-Arabien erzürnen und Ihrem Mann schaden könnte?

Diese Angst habe ich nicht. Es ist perfekt, dass die Medien über den Fall berichten und die Öffentlichkeit weiß, was mit ihm geschieht. Ich hoffe, dass die Berichterstattung fortgesetzt wird, bis er endlich freigesprochen wird und zu seinen drei Kindern und mir nach Kanada reisen darf.

Sind Sie auch mit den saudischen Behörden in Kontakt?

Nein, die sprechen nicht mit mir.

Was erhoffen Sie sich von der internationalen Aufmerksamkeit?

Ich warte auf gute Nachrichten, auf positive Neuigkeiten. Ich hoffe, dass die Freilassung meines Mannes durch internationalen Druck gelingt. Die Staatengemeinschaft muss bei König Salman intervenieren. Weitere 50 Stockhiebe (die ihm drohen, Anm.) wären eine Katastrophe.

Sicherlich haben Sie die Debatte um das umstrittene König-Abdullah-Zentrum in Österreich, KAICIID, mitbekommen. Was halten Sie davon?

Die vom Abdullah-Zentrum sind verrückt. Ich habe kein Verständnis dafür, dass sie sich weigern, den Fall und die Menschenrechtssituation in Riad zu kritisieren. Das Zentrum muss geschlossen werden, denn es ist ein Handlanger Saudi-Arabiens.

Fall Badawi

Dieses Interview ist eine Koproduktion zwischen "Wiener Zeitung" und Austria Presse Agentur (APA) und wurde telefonisch auf Französisch geführt.

(af) Rund 9800 Kilometer entfernt von ihrem in Jeddah inhaftierten Ehemann Raif Badawi(31) kämpft Ensaf Haidar (35) in Kanada seit Monaten für seine Freilassung. Seit 2012 befindet sich der Wirtschaftswissenschaftler in Haft. Im Mai 2014 wurde er zu zehn Jahren Haft, 1000 Stockschlägen und einer Geldstrafe verurteilt, weil er in einem Internetforum den Islam beleidigt haben soll. 50 Stockschläge hat er Anfang Jänner 2015 vor einer Moschee in der saudi-arabischen Hafenstadt Jeddah bereits erhalten. Die weiteren Tranchen wurden offiziell "aus gesundheitlichen Gründen", vermutlich aber auch wegen des internationalen Drucks, bisher immer wieder verschoben. Derweil wurde auch sein Anwalt zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Badawi hatte auf seiner Internetseite "Liberal Saudi Network" die Religionspolizei für ihre harte Durchsetzung der in dem wahhabitischen Königreich vorherrschenden strengen Auslegung des Islam kritisiert. Nach seiner Auspeitschung wurde der internationale Druck auf Riad immer größer. Zuletzt fanden sich 18 Nobelpreisträger zusammen, die sich in einem offenen Brief direkt an die saudische Bevölkerung wandten. Saudi-arabische Akademiker forderten sie in dem Schreiben auf, die Folterung Badawis öffentlich zu verurteilen. Laut "Independent" bauen die Intellektuellen Druck auf, indem sie Saudi-Arabien als Standort für Forschung in Frage stellen. Wissenschaftler, die sich nicht für Meinungsfreiheit starkmachten, könnten wohl kaum aus einem aufgeklärten Forschungsland kommen, so der Tenor. Zudem ist der Blogger am 24. Februar in Genf von 20 Nicht-Regierungsorganisationen ausgezeichnet worden. Sie würdigten damit seinen Mut, der ihm die Verfolgung eingebracht hatte. Auch das Europaparlament forderte die sofortige Freilassung Badawis. Am 12. Februar wurde ein

Antrag dazu mehrheitlich von den Straßburger Abgeordneten angenommenen. In der Resolution wird die Auspeitschung "mit aller Schärfe" verurteilt. In Wien halten die Grünen seit 9. Jänner jeden Freitag eine Mahnwache für Badawi vor dem Abdullah-Zentrum (KAICIID) ab. Auch bei der Saudi-Arabien-Reise des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel an diesem Wochenende steht Badawi auf der Agenda. Haidar hatte den SPD-Politiker im Vorfeld aufgefordert, sich für die Freilassung und Ausreise ihres Mannes einzusetzen.