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"Heuer feiern wir zweimal Neujahr"

Von Arian Faal

Politik

Die Jubelstimmung nach dem Durchbruch in der Atomfrage ist im Iran groß - | doch es gibt Gegenwind.


Teheran/Wien. Das Rahmenabkommen im Atomstreit hat im Iran Hoffnungen geweckt, die weit über technische Fragen zur Urananreicherung hinausgehen. "Ich hoffe, dass auch im Inneren unseres Landes ab jetzt ein wenig mehr Freiheit herrscht und sich der Durchbruch im Atomkonflikt als Startschuss für ein besseres Leben entwickelt", sagt die 24-jährige Architekturstudentin Parisa Hamasi im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Ihre beste Freundin, Faride Hayai, pflichtet ihr bei. "Heuer feiern wir zweimal Neujahr. Wir haben ein Abkommen, zwar kein endgültiges, aber immerhin. Wir hatten jetzt 13 Tage lang Neujahrsfeierlichkeiten und am 14. Tag dann erneut Grund zum Feiern, denn auf diesen verdammten Durchbruch wartet die Jugend im Iran schon so lange", erklärt sie. Die Leute im Westen könnten sich gar nicht vorstellen, was es heißt, unter den Restriktionen zu leben. "Es interessiert uns im Grunde genommen weder die politische noch die technische Komponente des Deals. Alles was wir wollen, ist ein Ende der Sanktionen, und glauben Sie mir, da spreche ich 90 Prozent der Bevölkerung aus der Seele", ergänzt sie.

Ihre Hoffnung: dass das Ende der Sanktionen als Sprungbrett für ein Ende der Alltagsrestriktionen dient. Denn das würde die amtierende Regierung von Rohani stärken und eine Liberalisierung einläuten: ein Ende der "Farce gegen die Frauen", ein Ende der "Politik der Unterdrückung" und eine "Öffnung des Landes mit mehr Lebensfreude und Begeisterung und ohne Angst und Repression".

Oder dass junge Perserinnen wie Parisa und Faride endlich offiziell das tun können, was sie ohnehin schon heimlich tun: Sie sehen Sender aus aller Welt, obwohl Satellitenschüsseln verboten sind, bestellen aus dem Ausland Filme, die auf dem Index stehen, laden Popmusik aus dem Internet herunter und trinken Alkohol.

Denn sie verfügen über eine Macht, die die Sittenwächter rund die Zensurbehörde alt aussehen lässt: Sie sind unglaublich viele. Rund 60 der 78 Millionen Iraner sind unter 30 Jahre alt, das sind mehr als 70 Prozent der Bevölkerung. Noch deutlicher wird dieses Phänomen in Teheran. 13 von 16 Millionen geschätzten Einwohnern sind jünger als 35 Jahre alt. Die Stadt lebt mit allen Extremen. Drogen, Aids und Prostitution gehören genauso zum Alltag wie Jugendliche, die Auswege aus dem beengenden Alltag suchen und verbotenerweise flirten.

Dennoch - die westliche Einstellung des Großteils der Jugend kann nicht über die Wirtschaftskrise hinwegtäuschen. Viele Familien müssen deutliche Einschränkungen in Kauf nehmen. Die wegen des Atomstreits verhängten westlichen Wirtschaftssanktionen haben tiefe Spuren im iranischen Alltag hinterlassen. Daher könnte ein finaler Deal mit dem Westen - bis Ende Juni soll ein endgültiges Atom-Abkommen sehen - den Lebensstandard erheblich verbessern. "Wenn du mehrere Kinder hast, ist das Leben oft sehr schwer. Kaufst du deinen Kindern Fruchtsaft und Eis oder hebst du das knappe Haushaltsbudget lieber für Obst und Fleisch auf?", erklärt Parisa. Für Parisa und Faride gibt es jedenfalls einen vorsichtigen Grund zur Freude. "Wir sind nicht naiv und wissen, dass die Hardliner in diesem Land noch das Sagen haben, aber unser Held ist heute Mohammad Javad Zarif, der unermüdliche Doktor." Und Außenminister, der jetzt nach seinem Erfolg bei den Verhandlungen auf den Straßen Teherans frenetisch gefeiert wurde.

Ein Hoffnungsschimmer

"Zarif ist ein Hoffnungsschimmer, dass alles in die richtige Richtung gehen könnte. Ob er damit durchkommt, bleibt angesichts der lauernden Raben abzuwarten", analysiert Faride und spielt damit auf auf die ultrakonservativen Kräfte im Iran an. Sie konnten den frenetischen Straßentänzen, Hupkonzerten und dem Freudentaumel seit Bekanntgabe des Ergebnisses nichts abgewinnen. Denn bei diesen Feiern ist schon einmal das eine oder andere Kopftuch hinuntergerutscht. Um die Stimmung zu untermalen und ein deutliches Signal zu setzen, gibt es auch wieder eine Jugendhymne: Das Lied "Happy" von Pharell Williams ist hierfür bewusst gewählt. Erst vor wenigen Monaten wurde eine Gruppe junger Menschen vorübergehend verhaftet, weil sie den Song im Auto laut gehört und dazu getanzt hatten. Nur selten durfte im Iran öffentlich so ausgelassen gefeiert werden. Und was den Feiernden auch Auftrieb gibt: "Der Oberste Führer Ali Khamenei steht hinter dieser Regierung und somit hinter dem Deal und all diesen positiven Entwicklungen der letzten Stunde", erklären Parisa und Faride.

Richtungswechsel?

Im Inneren des Iran kommt offenbar etwas in Bewegung, doch auch nach außen wünscht sich die internationale Staatengemeinschaft einen Richtungswechsel. Damit der Iran wieder als vollwertiger und vertrauenswürdiger Verhandlungspartner akzeptiert werden kann, müssten die Unterstützung für den Terrorismus gestoppt, die Verbesserung der Menschenrechtssituation forciert und die Hasstiraden gegen Israel beendet werden. Vielmehr noch: Sie westlichen Staaten erwarten von der Führung in Teheran auch, bei der Bewältigung von internationalen Krisen wie in Syrien, im Irak und im Jemen und beim Kampf gegen die Terrormiliz Islamischen Staat (IS) eine konstruktive Rolle zu spielen.

Allerdings: Die sunnitischen Golfmonarchien und Israel trauen der Islamischen Republik nicht über den Weg und werfen ihr vor, nur am Ausbau der eigenen Vormachtstellung in der Region und an der Unterstützung der Schiiten im Nahen Osten interessiert zu sein. Daher werden bei einem etwaiger Deal Israel und die Golfstaaten auf die Barrikaden steigen. Bis zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und dem Iran ist es aber ohnehin noch ein weiter Weg.