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Schmerzhaftes Erinnern

Von Klaus Huhold

Politik

Vor 40 Jahren eroberten die Roten Khmer Kambodscha und verübten einen Massenmord an der eigenen Bevölkerung. Ihre Schreckensherrschaft hat bis heute Spuren hinterlassen.


Phnom Penh/Wien. Wenn sie etwas zu lesen in die Hand bekam, eine Zeitschrift etwa, dann hielt sie diese verkehrt herum, erzählt die kambodschanische Touristenführerin. Sie wollte damit vortäuschen, dass sie Analphabetin sei, wollte vertuschen, dass sie in Wirklichkeit studiert hat. Denn das wäre einem Todesurteil gleichgekommen - die Roten Khmer hassten Intellektuelle und töteten diese sofort.

Von 1975 und 1979 herrschte das von Pol Pot angeführte Regime über das südostasiatische Land und verübte einen Massenmord an der eigenen Bevölkerung. Rund zwei Millionen Menschen, ein Drittel der damaligen Bevölkerung, starben. Sie verhungerten, gingen zugrunde, weil es keine medizinische Versorgung gab, oder wurden von den Schergen der Roten Khmer getötet, die ihre Opfer vor Gruben aufstellten und mit Schaufeln die Schädel einschlugen.

Heute erinnern die sogenannten Killing Fields, auf denen sich Massengräber befinden, oder Gedenkstätten wie Tuol Sleng an die damaligen Verbrechen. In dem ehemaligen Foltergefängnis in der Hauptstadt Phnom Penh können Besucher die Eisenringe besichtigen, die um die Füße der Gefangenen gelegt wurden, die wie Hunde an die Wand gekettet waren. Oder die Zangen, mit denen ihnen die Brustwarzen herausgerissen wurden. Sieben von 14.000 Gefangenen überlebten die Torturen in Tuol Sleng.

Fronarbeit am Land

Die Verbrechen der Roten Khmer rücken dieser Tage wieder stärke ins öffentliche Bewusstsein. Zum 40. Mal jährt sich ihre Machtübernahme, die mit dem Einmarsch in Phnom Penh am 17. April 1975 datiert wird. Als sich der Fall der Hauptstadt abzeichnete, evakuierten am 12. April die USA noch schnell ihre Bürger aus der Hauptstadt. "Wir haben Kambodscha im Stich gelassen und dem Schlächter übergeben", sagte nun in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP der damalige US-Botschafter in dem Land, John Gunther Dean.

Die USA, sind heute viele Historiker überzeugt, haben einiges zum Aufstieg der Roten Khmer beigetragen. Kambodscha war ein Nebenschauplatz des Vietnamkrieges, ein Rückzugsgebiet für vietnamesische Kämpfer, die die USA mit Flächenbombardements verfolgten. Zerstört wurden kambodschanische Dörfer, das trieb den Roten Khmer Rekruten in die Arme. Diese bekämpften das mit den USA verbündete Regime von Lon Nol. Als der Militäroffizier gestürzt wurde, zogen sich auch die USA aus Kambodscha zurück. "Ich habe geweint, weil ich wusste, was passieren würde", sagt heute Ex-Botschafter Dean.

Die Roten Khmer vertrieben fast die gesamte Bevölkerung aus Phnom Penh, denn Städte sollte es nicht mehr geben. Pol Pot und seine Schergen verwandelten Kambodscha in einen reinen Agrarstaat, zwängten die Bevölkerung in eine schwarze Einheitskleidung und zwangen sie zur Fronarbeit am Land. Die Ideologie der Roten Khmer war eine krude Mischung aus Maoismus und Nationalismus, sie verachteten Angehörige von Minderheiten, Städter oder Studierte - das Tragen einer Brille kam einem Todesurteil gleich. Dabei waren die Rote-Khmer-Anführer oft selbst Akademiker, viele von ihnen hatten in Paris studiert und sich dort in linken Zirkeln bewegt.

Heute sind viele hochrangige Rote Khmer bereits tot - Pol Pot etwa starb 1998 im Dschungel. Andere Rote Khmer finden sich an der Seite des heutigen Premiers Hun Sen wieder, der das Land seit 1985 regiert. Sie waren wendig genug, sich nach dem Sturz der Roten Khmer durch vietnamesische Truppen den neuen Verhältnissen anzupassen. Nur ganz wenige sitzen für ihre Taten im Gefängnis. Kaing Guek Eav alias "Kamerad Duch" hat lebenslang ausgefasst, der 72-Jährige leitete das Foltergefängnis Tuol Sleng. Auch Nuon Chea, der mittlerweile 88-jährige Chefideologe der Roten Khmer, und der nun 83-jährige Khieu Samphan, der Staatschef war, wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ausgesprochen hatte die Urteile ein von der UNO unterstütztes Sondertribunal, in dem kambodschanische und ausländische Juristen zusammenarbeiten. Welches Bild sich durch die Prozesse von den Angeklagten ergab und wie diese sich verteidigten, das kam einem bekannt vor, etwa aus Prozessen gegen hochrangige Nationalsozialisten.

"Habe nur meine Pflicht getan"

So war Duch offenbar der akribische Bürokrat, der gefühllos und mit mathematischer Präzision ein Foltergefängnis leitete. Khieu Samphan wiederum versuchte, sich klein zu machen. Er habe angeblich nichts gewusst von den Verbrechen, die um ihn herum geschahen. "Ich war nie mehr als ein einfacher Mann, der versuchte, für sein Land seine Pflicht zu tun", schrieb er in einem offenen Brief an das kambodschanische Volk vor Prozessbeginn.

Das nahm ihm freilich niemand ab, gehörte er doch zum Angkar, zum engsten Führungszirkel rund um Pol Pot. Als Nuon Chea und Khieu Samphan verurteilt wurden, weinten viele ehemalige Opfer, die den Prozess verfolgten. Endlich gab es zumindest ein wenig Gerechtigkeit. Trotzdem bleibt an dem Tribunal die Kritik haften, dass es sich nur der ranghöchsten Roten Khmer annahm. Allerdings sperrte sich die kambodschanische Regierung heftig gegen weitere Anklagen. Gleichzeitig wird dem Tribunal zugute gehalten, dass mit ihm die Diskussion über die Vergangenheit erst so richtig begann. So wurden die Prozesse live übertragen, begannen Opfer der Roten Khmer, Schulklassen zu besuchen und Zeugnis von den Verbrechen abzulegen.

Kambodscha heute, das ist ein Land mit einer jungen Bevölkerung, in dem der Großteil der Einwohner die Roten Khmer nicht mehr erlebt hat. In dem oft andere Sorgen herrschen als die Vergangenheit, in dem Textilarbeiter um gerechtere Löhne kämpfen, in dem Tagelöhner sich abmühen, ihre Familien zu ernähren. Doch manchmal kommt noch die Rote-Khmer-Vergangenheit hoch, die eine ganze Nation traumatisiert zurückließ. Wenn etwa ein Dorfbewohner, der das Schreckensregime überlebt hat, seine Hütte nicht verlässt, weil er Angst hat, dass draußen jemand mit einer Schaufel herumgeht und ihm den Schädel einschlagen will.