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Die Patrone der Armen

Von Klaus Huhold

Politik

Superreiche lenken die Armutsdebatte, sagt der Forscher Ilan Kapoor.


"Wiener Zeitung": In Wien sind im Zuge des Life Balls nun Plakate zu sehen, auf denen Elton John zum Kampf gegen Aids auffordert, Bob Geldof sammelt Geld für Hilfsaktionen gegen Ebola. Sie kritisieren einen derartigen Einsatz von Prominenten. Was stört Sie daran?

Ilan Kapoor: Dass dieses Phänomen gut zu den Entwicklungen der letzten 30 Jahre passt. Im Neoliberalismus hat sich der Staat zurückgezogen und nimmt seine soziale Verantwortung nicht mehr wahr. Diese Lücke wird von privaten Organisationen und Individuen gefüllt. Damit hängt alles von ihnen ab - von ihren Projekten, ihren Interessen und auch ihren Vorurteilen. Der Aufstieg der Celebrities und der privaten Organisationen sagt zudem etwas über das Versagen unserer Demokratien aus. Wir befinden uns in einer Postdemokratie. Wir gehen zwar wählen, doch die Parteien unterscheiden sich kaum mehr. So werden Entscheidungen an Experten, Wissenschafter und eben auch Celebrities delegiert, die somit zu einer Art erleuchteten Elite werden. Diese sollen plötzlich wichtige Probleme wie Aids oder die globale Armut lösen, ohne dass sie für die von ihnen propagierten Lösungen Rechenschaft ablegen müssen.

Aber macht der Staat eine bessere Entwicklungspolitik?

Ich sage nicht, dass staatliche Programme frei von Problemen sind. Aber bei ihnen gibt es eine klare Verantwortlichkeit und eine viel stärkere Legitimation.

Muss bei den Aktionen der Stars nicht unterschieden werden? Wenn Angelina Jolie Flüchtlinge besucht, macht sie auf deren Lage aufmerksam, wenn U2-Sänger Bono Vox einen Schuldenerlass für afrikanische Länder verlangt, stellt er konkrete politische Forderungen auf.

Freilich unterscheidet sich die Arbeit einzelner Stars. Aber bleiben wir beim Beispiel von Angelina Jolie. Sie ist eine Mediatorin zwischen der Dritten Welt und ihrem Publikum. Somit geht es immer um ihre Interessen, ihre Gefühle und ihre Äußerungen. In einem Prozess, der von oben nach unten verläuft, wird sie somit zur Patronin der Armen. Die Stars sprechen für die Armen, anstatt diese selbst zu Wort kommen zu lassen. Und darin unterscheiden sich Bono Vox, Angelina Jolie und andere Stars nicht voneinander. Die Medien, die immer Glanz, Glamour und Spektakel suchen, sind dabei ihre Komplizen.

Aber schaffen Stars nicht gleichzeitig ein Bewusstsein für Probleme, die sonst von der Öffentlichkeit übersehen werden?

Ja, das machen sie, aber sie lenken dabei die Debatte in eine gewisse Richtung. Bono etwa spricht gerne vom Entrepreneursgeist, als könnte der Markt alle Probleme der Welt lösen. Aber dieser ist oft selbst das Problem. Wollen wir denn alles kommerzialisieren? Auch Entwicklungshilfe oder Bildung? Hier sieht man, wie Bono seine eigenen Interessen einbringt. Celebrities betonen gerne, dass sie unpolitisch sind, aber ihr Handeln ist oft hochpolitisch. Bono spricht von Schuldenerlassen, freiem Handel und Gerechtigkeit. Aber er hat nie die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds kritisiert, durch deren Strukturanpassungsmaßnahmen so viele Sozialprogramme für Kinder, Frauen oder Kranke in der Dritten Welt gestrichen wurden. Celebrities betreiben eine gewisse Politik, aber sind den Machtverhältnissen gegenüber vollkommen unkritisch. Zudem geben Stars der globalen Ungleichheit ein menschliches Antlitz, wodurch diese viel weniger schlimm erscheint. Somit beschäftigen wir uns nur mit Symptomen und nicht mit der Wurzel des Problems. Wir leisten etwa schnell Notfallhilfe, ohne uns zu fragen, was zu humanitären Katastrophen geführt hat.

Hat damit jeder Star, der die Weltbank nicht schlecht findet und überhaupt das ganze System nicht kritisiert, Ihrer Ansicht nach die falsche Meinung und kann nichts Gutes tun?

Das habe ich nicht gesagt. Aber Stars sollten sich zurücknehmen, ihre Stimmen müssen nicht so laut sein. Es geht dabei aber nicht nur um Stars, sondern auch um uns als Öffentlichkeit, die den Celebrities erst durch die Bewunderung, die ihnen zukommt, dieses Gewicht gibt. Zudem müssen wir nicht immer die Dritte Welt retten, die Entwicklungsländer können ihre Arbeit schon selbst machen. Ich denke, es wäre sinnvoller, wenn sich Stars Bürgerbewegungen in ihrer Heimat anschließen, ohne dass sie diese anführen. Sowohl Stars als auch wir als Öffentlichkeit sollten uns mehr auf die Regierungen in unserer Heimat fokussieren, uns fragen, was diese zum globalen Ungleichgewicht beitragen. Und so machtvolle globale Organisationen wie Weltbank, IWF oder auch die Welthandelsorganisation, die über geistige Eigentumsrechte und die internationale Wirtschaftspolitik mitentscheidet, sollten wir zumindest hinterfragen.

Trifft Ihre Kritik auch auf engagierte Superreiche zu? Ist die Stiftung von Bill und Melinda Gates ein politisches Instrument oder rettet sie einfach Menschenleben?

Freilich rettet sie Menschenleben, aber auch hier müssen wir das gesamte Bild sehen. Sollten wir nicht den Umstand hinterfragen, dass diese private milliardenschwere Stiftung mehr Geld als die Weltgesundheitsorganisation hat? In der im Großen und Ganzen nur drei Personen, nämlich Bill Gates, Melinda Gates und Warren Buffett, Entscheidungen treffen, die hunderttausende Menschen berühren. Die Stiftung der Gates’ beeinflusst etwa die Aids- und Malaria-Politik massiv und verfolgt dabei einen sehr technologischen Zugang, indem sie etwa überhaupt keine Kritik an Pharmaunternehmen übt. Dabei stehen die notwendigen Medikamente oft schon zur Verfügung, aber die Leute, die sie benötigen, bekommen sie nicht. Warum üben die Stiftung und ihre Vertreter hier keinen Druck aus? Weil sie meinen, dass sie keine Politik betreiben. Aber das stimmt nicht, mit ihrem Zugang zu dem Problem machen sie Politik. Die Gates-Stiftung ist eine extrem einflussreiche Organisation, die niemandem Rechenschaft ablegt.

Ilan Kapoor hält heute, Dienstag, um 18 Uhr, im Rahmen der Kapuscinski Development Lecture den Vortrag "The Ideology of Celebrity Humanitarianism" im C3 in Wien (9., Sensengasse 3)
Weitere Informationen: www. oefse.at

Ilan Kapoor kam in Indien zur Welt und lebt heute in Kanada, wo er auch studiert hat. Er ist Professor für Critical Development Studies an der York University in Toronto und hat zuletzt das Buch "Celebrity Humanitarianism: The Ideology of Global Charity" veröffentlicht. In Wien war er auf Einladung der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (Öfse) und des Instituts für Internationale Entwicklung (IE) der Universität Wien zu Gast.