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"Fehler historischen Ausmaßes"

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Das Atomabkommen mit dem Iran wird wie erwartet von Israels Premier scharf kritisiert.


Tel Aviv. Noch bevor in Wien der Durchbruch in den Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm verkündet wurde, hat Israel das Abkommen kritisiert. Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach bereits am Dienstagvormittag warnend von einem "Fehler historischen Ausmaßes" und rief zum Schulterschluss der zerstrittenen israelischen Parteienlandschaft auf: "Der Moment ist da, politische Spiele beiseite zu legen und Einigkeit zu zeigen in einer Frage, die Israels Zukunft und Sicherheit bedroht." Zumindest aus den eigenen Reihen kann er sich der Unterstützung sicher sein. Kulturministerin Miri Regev, früher Sprecherin der israelischen Armee, bezeichnete das Dokument als "Lizenz zum Töten", die stellvertretende Außenministerin Tzipi Hotovely sprach von einer "Kapitulation des Westens vor der Achse des Bösen."

Furcht vor Geldregen

Die scharfen Worte sind nicht völlig aus der Luft gegriffen: Iranische Politiker haben, besonders während der Amtszeit der Vorgängerregierung unter Mahmud Ahmadinedjad, wiederholt zur Vernichtung Israels aufgerufen und unterstützen die schiitische Milizorganisation Hizbollah im Libanon, die offiziell noch immer im Kriegszustand mit Israel steht. Dieser Aspekt dürfte Israel in naher Zukunft tatsächlich stärkere Sorgen bereiten als eine mögliche iranische Atombombe: Netanjahu kommentierte, das nahende Ende der umfassenden Sanktionen gegen den Iran werde "Hunderte Milliarden Dollar" in die Kassen der Regierung in Teheran spülen und eine Ausweitung der iranischen "Terrormaschinerie" in der Region ermöglichen. Ausführlicher äußerte sich Israels Verteidigungsminister Mosche Yaalon, einer der engsten Vertrauten Netanjahus in dessen Kabinett. In einem Interview mit dem Online-Magazin "Al-Monitor" warnte Yaalon, der nun gesicherte Zugang Irans zu Atomenergie provoziere in absehbarer Zeit ein nukleares Wettrüsten der regionalen Rivalen Teherans - die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten würden versuchen, ihren Rückstand aufzuholen.

Die von Netanjahu beschworene Einigkeit bleibt hingegen ein frommer Wunsch. Zwar kritisieren auch Oppositionspolitiker das Abkommen, sehen jedoch den Regierungschef in der Verantwortung. Jitzhak Herzog von der Arbeitspartei, Netanjahus Herausforderer bei der Parlamentswahl, im März, warf seinem Kontrahenten vor, mit seinen Brüskierungen US-Präsident Obama geradezu auf ein Abkommen mit dem Iran hingetrieben zu haben. Herzog kündigte an, in den kommenden Tagen in die USA zu fliegen, um sich für "totale Sicherheitsgarantien" für Israel einzusetzen.

"Sieg gegen Bevormundung"

Völlig von der Regierungslinie weicht die Vereinigte Liste der Arabischen Parteien, drittstärkste Kraft im Parlament, ab. In einem Statement begrüßte die Parteispitze die Gespräche von Wien als einen "Sieg des iranischen Volkes gegen internationale Bevormundung". Sie hofft, das Abkommen von Wien werde langfristig zu einem Nahen Osten führen, der völlig frei von Nuklearwaffen sein wird - inklusive Israel.

Kurz nach Bekanntgabe der Einigung hat Israel eine offizielle Kopie des Abschlussdokuments erhalten, wie ein Regierungssprecher bestätigte. Das Material wird gegenwärtig von Vertretern des Regierungsbüros sowie des Verteidigungs- und Außenministeriums analysiert. Als wahrscheinlich gilt, dass Netanjahu nun versuchen wird, den US-Kongress von den Nachteilen des Abkommens zu überzeugen. Dieser ist seit 2013 republikanisch dominiert und Netanjahu in der Regel wohlgesonnen: Im vergangenen März hat ihn John Boehner, Republikaner und Sprecher des Repräsentantenhauses, ohne Absprache mit dem Weißen Haus für eine Rede in den Kongress eingeladen, die Netanjahu für eine deutliche Kritik an den Verhandlungen mit dem Iran nutzte.