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Happy End nach Morgengrauen

Von Arian Faal

Politik
Auf dem Weg in eine neue Ära der atomaren Verständigung (v.l.): Die Außenminister Deutschlands (Frank-Walter Steinmeier mit der EU-Außenbeauftragten

Nach einer turbulenten Nacht wurde das historische Atomabkommen in Wien unterzeichnet, um das die internationale Staatengemeinschaft 13 Jahre lang mit dem Iran gerungen hatte. Erschöpft, aber sichtlich erleichtert reisten die Verhandler ab.


Wien. "Wir haben es geschafft - wir haben uns auf einen Atom-Deal geeinigt". Es sind die seit Tagen ersehnten Worte, die im Wiener Austria Center verkündet werden. Ein spätes Happy End. Zuvor hieß es am Dientag noch einmal zwei Stunden warten im Pressecenter.Warten, warten und noch einmal warten. Das ist die Beschäftigung, an die sich hier die letzten 17 Tage alle gewöhnt haben. Vor dem Palais Coburg. Im Pressezelt. Im Hotel Marriott. Am Ende haben alle Pannen und Probleme den Erfolg nicht verhindern können: Weder das gebrochene Bein von US-Außenminister John Kerry noch die gebrochene Nase von US-Staatssekretärin Wendy Sherman noch die Darmerkrankung des Chefs der Iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi. Sie alle hielten tapfer durch.

Dementsprechend ist am Dienstagnachmittag im Austria Centerallen die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif vor die erschöpfte, aber trotz schlafloser Nacht vollständig anwesende Schar an Diplomaten und Journalisten treten und verkünden: "Wir haben es geschafft". Mogherininannte die Einigung nach 13-jährigen Verhandlungen um die iranische Urananreicherung einen "historischen Tag". Außenminister Sebastian Kurz, der in der ersten Reihe sitzt, schmunzelt. Ihm fällt als Gastgeber ein Stein vom Herzen. Dieses historische Ereignis hat in Wien stattgefunden und er hat die Gespräche nach Österreich geholt.

"Ich bin zwar sehr froh, dass es vorbei ist, aber ich werde euch vermissen, flüstert eine Kollegin von Al-Arabia mit tiefen Augenringen ihren Kollegen. Tränen fließen. Es gibt Umarmungen und Selfies ohne Ende. Facebook-, Twitteraccounts und Visitenkarten werden ausgetauscht. "Ist es jetzt wirklich vorbei?, vergewissert sich eine iranische Reporterin, die es nicht mehr glauben kann. Einige Kollegen positionieren sich für ihre x-te Live-Schaltung vor die TV-Kameras. Die meisten angereisten Kollegen haben keine frische Wäsche mehr, der Wien-Aufenthalt wurde zur Dauerschleife.

Zwei Minister und 109 Seiten, die Geschichte schreiben

"Was ich nie vergessen werde, sind die Balkon-Tornados", meinte eine französische Reporterin: In den letzten Tagen, in denen Informationen rar und kostbar waren, stürmten die Journalisten unzählige Male aus dem Pressezelt vor das Coburg, sobald sich ein Verhandler auf dem Balkon zeigte.

Kerry zeigt sich erleichtert, wenn auch etwas angeschlagen und immer wieder nach seiner Stimme ringend, als er wie Mogherini und Zarif von einem historischen Tag spricht. Zur Partystimmung reicht es im großen Saal des Austria Centers nicht. Lediglich als Kerry sich bei Sherman, die eigentlich schon seit 1. Juli in Pension ist und die Iran-Gespräche noch zum Abschluss geführt hat, bedankt, gibt es tosenden Applaus im Saal.

Summa summarum haben sich der Wirbel, die Mühe, endlose Verhandlungen und der Aufwand gelohnt. Das Atom-Abkommen habe die Welt militärstrategisch ein Stück sicherer gemacht, sagen viele. Für Kerry und für Zarif ist es ein großer außenpolitischer Erfolg, der in die Geschichte eingehen wird. Der Saal hält inne, als der US-Außenminister sehr persönlich und emotional wird. "Ich war nach der Schule im Krieg und ich weiß, wie es ist, wenn die Diplomatie versagt". Schweigen. "Deswegen habe ich mir geschworen, dass, wenn ich je in eine Position komme, wo ich etwas mitgestalten kann, jedenfalls der Diplomatie den Vorzug gebe".

17 Tage durchgehender Verhandlungsmarathon mündeten letztlich in ein 109 Seiten langes Vertragspapier auf der Basis des politischen Rahmenabkommens von Lausanne vom 2. April. Der Iran soll vom Bau der Atomwaffe abgehalten und durch die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen im Gegenzugaus der internationalen Isolation geholt werden.

Die Freude über den Durchbruch ist gepaart mit Ermüdungs- und und Abnützungserscheinungen auf allen Ebenen. 600 Medienvertreter und über 250 Diplomaten harrten dennoch die Nacht auf Dienstag aus. Um kurz nach 22 Uhr kam die Nachricht, dass es um 2 Uhr morgens eine weitere Sitzung der 5+1-Minister mit dem Iran geben werde und im Anschluss eine Presseerklärung. Die meisten hatten bereits 14-16 Stunden Arbeit hinter sich und beschlossen, die Nacht durchzumachen. Aus der Erklärung wurde nichts, Russlands Außenminister verließ das Nobelpalais mit den Worten: "Ich gehe jetzt schlafen". Das Pressezelt hielt seine Pforten offen und fungierte als Schlafstätte der Pressevertreter.

Man kannte sich, man verbrachte "24/7" miteinander und es gab einen regen Informationsaustausch, wenn auch sehr viel davon selbst produzierte Gerüchte waren. Mehrmals wurde die Verhandlungsfrist seit 30. Juni verlängert. Delegationen und "Journos", wie die Medienvertreter auf Twitter auf dem Hashtag #IranTalksVienna, das als Sprachrohr für die Ereignisse galt, genannt werden, sind geduldig auch nach der Verkündung. Das Außenamt hat - wie schon bei der Hinfahrt - Busse vom Austria Center organisiert, um die Medienvertreter wieder ins Pressezelt vor das Palais Coburg zu bringen. Die Nachberichterstattung läuft auf Hochtouren. Mit Kaffee, Mozartkugeln, Tee, Wasser und Mannerschnitten werden die Anwesenden versorgt.

Wien ist seinem Ruf als Weltstadt für den Dialog gerecht geworden. In der Umgebung des Palais werden trotzdem alle aufatmen. Denn die Lobby des Marriott war zu einer internationalen Redaktionsstube geworden, und die Geschäftsleute in der Umgebung hatten über massive Umsatzeinbußen wegen der vielen Polizisten, Diplomaten und Journalisten geklagt. Und auch die Security und die vielen Geheimdienstler, die man schon beim Namen kannte, haben sich nach einem Dauereinsatz eine Auszeit verdient.

Der Deal ist nun unter Dach und Fach, was jetzt beginnt, ist die Phase der Implementierung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO). Der US-Kongress und das iranische Parlament müssen ihn vorher approbieren, beide stehen einem Abkommen skeptisch gegenüber und werden dieses zu torpedieren versuchen.

US-Präsident Barack Obama drohte bereits mit einem Veto, falls der Kongress Ärger macht. Auch Irans mächtiger Oberster geistlicher Führer Ali Khamenei setzte ein Zeichen gegen die innenpolitischen Hardliner. Er lud Präsident Hassan Rohani und seine Regierungsmannschaft am Dienstag zu einem Fastenbrechen ein.