Peking. (red) Diesmal lief das nicht nach dem Plan der Nationalen Gesundheits- und Familienplanungskommission. Dabei war es zunächst nur eine unverbindliche Anfrage der Provinzverwaltung von Shanxi, die ein Pilotprogramm durchführen wollte, das allen Frauen unter gewissen Umständen das Recht auf ein zweites Kind einräumt. Die Antwort folgte prompt und war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: Man könne sich die Implementierung des Versuchs ersparen, da bis Ende des Jahres alle Paare das Recht auf ein zweites Kind erhalten würden. Die Kommission würde "keine Zeit mehr verlieren", die bisherige Ein-Kind-Politik grundlegend zu revidieren. Ein entsprechender Bericht der China Business News wurde zwar pflichtgemäß dementiert, doch es dürfte offiziell sein: Nach 35 Jahren endet eine der politisch umstrittensten Maßnahmen in der Geschichte der Volksrepublik.

330 Millionen Abtreibungen

Die Entwicklung der Ein-Kind-Politik ist gleichzeitig eine Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas und ihrer gesellschaftspolitischen Ziele. Als der Kalte Krieg in den 1950er Jahren immer heißer wurde, sah Staatsgründer Mao Zedong einen Atomkrieg als realistische Option und forderte deshalb "Menschenmaterial": "Im schlimmsten Fall würde die Hälfte sterben, aber die andere Hälfte überleben, der Imperialismus hinweggefegt und die Welt sozialistisch." In Folge stieg die Geburtenrate auf beachtliche 5,8 Kinder pro Frau, was sich durchaus mit den traditionellen Vorstellungen der Chinesen deckte, bei denen Kinderreichtum als Segen galt. In Zeiten nicht vorhandener Sozialversicherungen galt der Nachwuchs außerdem als Vorsorge fürs Alter. Der Wind drehte sich in den 70er Jahren, als der "Club of Rome" vor den Folgen einer überbevölkerten Welt zu warnen begann. Reformarchitekt Deng Xiaoping verbot 1979 das Zweitkind und nannte dies "ein Zeichen des Humanismus". Danach sank die Geburtenrate in China bis zum heutigen Stand von 1,3 Kindern pro Frau.

330 Millionen Abtreibungen, 200 Millionen Sterilisationen und 400 Millionen in Gebärmuttern eingesetzte Spiralen später fällt die Bilanz gemischt aus. Es gibt Stimmen, welche die Ein-Kind-Politik für ein notwendiges Übel halten, auch im Ausland. Immerhin seien mit ihrer Einführung schwer verkraftbare Geburtsraten im bevölkerungsreichsten Land der Welt verhindert worden; ohne sie hätte China heute statt 1,4 Milliarden geschätzte 2 Milliarden Einwohner. Die Maßnahme sei ein wesentlicher Faktor bei der Armutsbekämpfung gewesen, und der britische "Economist" ging sogar so weit, sie als einen der wichtigsten Gründe zur Eindämmung des weltweiten CO2-Ausstoßes zu loben. Ohne die restriktive Politik wären rund 1,3 Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoffdioxid ausgestoßen worden, so die Autoren.