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"Ich will eine Zukunft haben"

Von Markus Schauta

Politik
Gute Stimmung beim "Royal Syrian Barber", Mohamad Dawood und Mitarbeiter vor seinem Süßwarenladen, Straßenhändler und ein Mitarbeiter eines syrischen Restaurants (von links oben im Uhrzeigersinn) .
© Schauta

32.000 syrische Flüchtlinge auf 200.000 Einwohner zählt die Stadt des 6. Oktobers bei Kairo. Gut Ausgebildete ziehen weiter.


Stadt des 6. Oktobers. Vom Zentrum Kairos führt die Autobahn durch einen Streifen Ackerland westlich der Stadt in die Wüste. Am Horizont ziehen die Pyramiden vorbei, nach 30 Kilometern verdichtet sich die Bebauung entlang der Straße zu einer Stadt: der Stadt des 6. Oktobers. Sie ist nach dem Oktoberkrieg 1973 gegen Israel benannt und eine von acht Satellitenstädten, die in der Wüste westlich und östlich von Kairo aus dem Boden gestampft wurden. Rund 200.000 Menschen wohnen hier, arbeiten in den Industrieparks, wo Unternehmen wie BMW und Daimler ihre Niederlassungen haben, studieren an den Universitäten oder stecken jeden Tag am Weg nach Kairo zur Arbeit im Stau. 2012 kamen die ersten syrischen Flüchtlinge in die Stadt, denn die Mieten sind günstiger als in Kairo. Nachdem sich eine kleine Community gebildet hatte, zogen andere nach. Inzwischen leben hier 32.000 Syrer.

"Wollen nicht untätig sein"

Das Taxi hält vor der El-Hussary Moschee, einem sandfarbenen Bau mit Kuppel und Minarett. Am Straßenrand warten Tuk-Tuks auf Fahrgäste. Abdulsalam Alshibli ist mit dem Minibus gekommen. Der 25-Jährige mit Brille und kurzen Jeans hat Syrien 2012 verlassen. Nach Protesten gegen das Regime flog er von der Uni, das Projekt eines oppositionellen Fernsehsenders scheiterte. "In Syrien gab es für mich nichts mehr zu tun", sagt Alshibli. "Also habe ich Homs verlassen und ging nach Ägypten. Wir Syrer wollen nicht untätig sein, viele haben sich selbständig gemacht." In dem Häuserblock hinter einer Reihe verstaubter Bäume haben Syrer ihre Geschäfte eröffnet. Es ist Ramadan und es ist heiß. Die Cafés und Restaurants sind geschlossen. Aber die Straßenhändler und Ladenbesitzer haben alle Hände voll zu tun, weil die Leute für Iftar einkaufen, das große Essen bei Sonnenuntergang.

Mohamad Saber Dawood ist ein bauchiger Mann mit Schnauzbart. Auf der Brusttasche seines weißen Hemds prangt der Schriftzug: Dawod Sweets. In den Vitrinen seines Ladens locken Süßspeisen aller Art: Konfekt mit Pistazien und Honig, Grießgebäck mit Mandel-, Nuss- und Dattelfüllung, Topfen- und Mandelkuchen mit Sirup überzogen. Dawood verließ Damaskus vor drei Jahren und kam mit seiner Familie nach Ägypten. Als Patissier war Dawood bereits in Damaskus bekannt. Hier in der Oktoberstadt hat der Geschäftsmann eine kleine Fabrik, inklusive Lager und Laden eröffnet. Und das Geschäft läuft. Nicht nur Syrer, auch Ägypter kaufen bei ihm ein. "Ich exportiere auch nach Europa", sagt Dawood und ein Mitarbeiter zeigt die Rückseite einer Konfektschachtel, auf der die Flaggen der belieferten Staaten abgebildet sind. "Jeden Monat verschicken wir ein oder zwei Container ins Ausland." Dawood nickt zufrieden. Als Mitarbeiter bevorzugt er Syrer. Einerseits, weil er seine Landsleute unterstützen möchte. Andererseits, weil er speziell ausgebildete Mitarbeiter braucht, um die Süßwaren in der gewohnten Qualität anbieten zu können. Die Ägypter hätten von syrischen Süßspeisen wenig Ahnung. "Die würden mir das Geschäft zerstören." Aber das Gesetz sieht vor, dass für einen Nicht-Ägypter zehn Ägypter eingestellt werden müssen. "Eine Herausforderung", sagt Dawood.

Handel, Gastronomie und Service in diesem Teil der Stadt sind fast zur Gänze in Händen von Syrern. Im Feinkostladen "Al-Sultan-Shop" kauft eine Ägypterin Käse. "Ich mag die Auswahl", sagt sie und blickt in die Vitrine, wo eine Vielzahl an Sorten angeboten wird: Darunter der cremige Baladi-Käse und Surke, ein zu Bällchen geformter Käse mit Thymian gewürzt. "Wir Syrer haben unser Essen mitgebracht, und die Ägypter lieben es", sagt Alshibli. "Auf diese Weise ist es uns gelungen, die Ägypter in unsere Gemeinschaft zu integrieren", schmunzelt er.

Stimmung gekippt

Doch bei Weitem nicht alle der 131.000 syrischen Flüchtlinge in Ägypten haben das Kapital, um sich selbstständig zu machen. Viele sind auf die Nothilfe des UN World Food Program (WFP) angewiesen, doch die internationale Unterstützung wird weniger. Als Alshibli nach Ägypten kam, erhielt er vom WFP monatliche Lebensmittelgutscheine im Wert von 200 Ägyptischen Pfund, etwa 23 Euro. 2015 wurde die Nothilfe auf 120 Pfund reduziert. "Es gibt Gerüchte, dass die UN ihren Einsatz in Ägypten beenden werden", sagt Alshibli. Tatsache ist, dass es dem WFP an Spendengeldern fehlt. Die Hilfe für syrische Flüchtlinge ist nur zu einem Fünftel finanziert.

Alshibli schreibt für eine oppositionelle syrische Website und verfügt so über ein kleines Einkommen. Mit seinem Studium der Medienwissenschaften an der Kairo-Universität steht er kurz vor dem Abschluss. Danach will er weg aus Ägypten, in die Golfstaaten oder nach Europa. "Ich will eine Zukunft haben", sagt Alshibli. In Ägypten sei das schwierig, da sich das Land selbst in einer Krise befinde. Viele gut ausgebildete Syrer müssen im Verkauf oder Service arbeiten. "Mir bleibt wohl nichts übrig, als weiterzureisen."

Die anfangs freundliche Stimmung gegenüber den Flüchtlingen ist inzwischen gekippt. Nachdem eine Gruppe Syrer bei Pro-Mursi Protesten gefilmt wurde, warfen zahlreiche Medien der syrischen Community Unterstützung der Muslimbruderschaft und Einmischung in die ägyptische Politik vor. Seit Juli 2013 werden keine Einreise-Visa an Syrer mehr vergeben. Manche Ägypter sagen, die Syrer nehmen ihnen die Jobs weg. "Aber wenn wir nicht arbeiten, müssen wir betteln - wollen sie das?", so Alshibli.

Bei Rosto herrscht Gedränge um die frischen Brathühner. Auch dieses Restaurant leitet ein Syrer - in der Stadt gibt es bereits vier Filialen. An den Tischen am Straßenrand haben die ersten Gäste zum Iftar Platz genommen, sie scherzen und lachen. "Warum auch nicht", sagt Alshibli, "wir haben das Schlimmste durchgemacht, was kann uns schon noch passieren?"