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"Das hat eine sehr große innenpolitische Komponente"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Für den Türkei-Experten Cengiz Günay bringt sich die AKP mit den Angriffen auf PKK-Stellungen bereits für Neuwahlen in Stellung. | Die pro-kurdische HDP, die zuletzt stark zugelegt hat, könnte zu den Verlierern der von der Regierung beförderten Polarisierung gehören.


"Wiener Zeitung":Die Koalitionsverhandlungen in der Türkei bringen nach wie vor kaum Fortschritte, Neuwahlen im Herbst werden zunehmend wahrscheinlich. Bei der letzten Wahl hat die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv verloren, die pro-kurdische HDP hat dagegen sehr stark abgeschnitten. Inwieweit haben die jüngsten Angriffe des türkischen Militärs auf Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak auch eine innenpolitische Komponente?Cengiz Günay: Ich glaube, dass das eine sehr große innenpolitische Komponente hat. Viele Beobachter haben ja schon im Vorhinein befürchtet, dass es eine Strategie der Destabilisierung und des Chaos geben wird und sich Präsident Erdogan dann als Garant für Stabilität und Sicherheit positionieren kann. Falls das so ist, wäre das natürlich ein teuflischer Plan. Aber die gegenwärtige Rhetorik - vor allem, dass man IS und PKK in einem Atemzug als militärischen Gegner nennt und die Agitation gegen die HDP - deutet daraufhin, dass es schon sehr stark darum geht, sich für Neuwahlen in Stellung zu bringen. Man hofft dabei vor allem, auf die nationalistischen Stimmen. Die HDP mit ihren Rufen nach Besonnenheit und Kooperation geht dagegen derzeit unter.

Wie wird denn das Verhältnis zwischen HDP und PKK in der breiten Öffentlichkeit gesehen? Gibt es da eine klare Differenzierung oder wird das in einen Topf geworfen?

Das hängt sehr von dem Standpunkt ab, auf dem man steht. Die HDP hat es im Juni geschafft, auch Wähler jenseits ihrer Anhängerschaft anzusprechen, etwa konservative Kurden, die bisher der AKP ihre Stimmen gaben, oder Linke und Liberale in den großen Städten. Diese Gruppe hat mit der HDP die Chance verbunden, dass die PKK sich irgendwann in eine friedliche politische Bewegung verwandelt. Gleichzeitig gibt es auch viele, die die HDP zwar prinzipiell sympathisch finden, aber aufgrund ihrer Verbindungen zur PKK nicht wählen wollen. Und dann gibt es die nationalistische dritte Gruppe, für die die HDP indiskutabel ist. Die moderate Mitte, die in der HDP eine Hoffnung für die Beilegung des Konflikts gesehen hat, wird wohl der aktuellen Polarisierung in der Kurdenfrage am meisten zum Opfer fallen.

Wie wird die AKP ihrer Einschätzung nach bei Neuwahlen abschneiden?

Das ist sehr schwierig vorauszusagen, weil bis zum voraussichtlichen Wahltermin im November noch sehr viel passieren kann. Und natürlich kann die derzeitige Strategie der AKP auch nach hinten losgehen, wobei es gar nicht mehr so sehr um die Partei, als vielmehr um die Person Erdogan selbst geht. Für viele ist er nicht mehr tragbar und bei den vergangenen Wahlen hat sich ja bereits eine deutliche Mehrheit gegen den von Erdogan gewünschten Umbau des Landes in ein Präsidialsystem ausgesprochen. Hinzu kommt die Frage, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickeln wird. Denn das, was wir jetzt sehen, ist sicher kein positives Signal für die Konjunktur des Landes.

Wie sehen Sie die Zukunft des Friedensprozesses mit der PKK? Erdogan hat die Aussöhnung ja teils stark betrieben. Ist nun alles, was in den vergangenen Jahren erreicht wurde, dahin?

Das war ursprünglich ein sehr mutiger Schritt und ein Paradigmenwechsel. Der Staat ist ja damals in direkte Gespräche mit einer Organisation getreten, der man vorher jegliche Legitimation in dieser Hinsicht abgesprochen hat. Seit Erdogan 2014 Präsident geworden ist, hat sich aber immer deutlicher abgezeichnet, dass die Verhandlungen doch nicht so einfach sind. Und derzeit scheinen die Stimmen der Nationalisten und eine satte Parlamentsmehrheit für die AKP einfach wichtiger zu sein.

Zur Person

Cengiz

Günay

ist Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP). Die politischen Prozesse in der Türkei zählen seit Jahren zu seinen Schwerpunkten.

Cengiz Günay
ist Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP). Die politischen Prozesse in der Türkei zählen seit Jahren zu seinen Schwerpunkten.