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Indonesiens politische Renaissance

Von Thomas Seifert

Politik
Benedict Anderson befürchtet Religionskonflikte in Asien.
© T. Seifert

Südostasien-Kenner Benedict Anderson über charismatische Bürgermeister in Indonesien, Mafias und neue Bürgerbewegungen in der Region.


Wien. Der 1936 in Kunming, China geborene Sozialwissenschafter Benedict Richard Anderson ist emeritierter Professor an der Cornell University. Er ging 1961 nach Indonesien und veröffentlichte 1965 eine Studie über den Putschversuch der "Bewegung 30. September" und den erfolgreichen Gegenputsch unter der Anführerschaft von General Mohamed Suharto, woraufhin Anderson aus Indonesien ausgewiesen wurde.

Anderson, der derzeit auf Einladung der österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Wien und der Europäischen Vereinigung für Südostasienforschung EuroSEAS in Wien weilt, wurde in den 1980er Jahren über die Fachgrenzen hinaus mit dem Buch "Die Erfindung der Nation" bekannt. Darin weist er nach, dass der heute Wortsinn des Begriffs "Nation" erst vor relativ kurzer Zeit (etwa ab dem späten 18. Jahrhundert) entstanden ist.

"Wiener Zeitung": Wie schätzen Sie den heutigen Präsidenten Indonesiens, Joko Widodo - genannt Jokowi - ein. Es gab ja Stimmen, dass er möglicherweise nichts weiter als eine Marionette von Parteichefin Megawati Sukarnoputri, sein würde.Benedict Anderson: Jokowi ist absolut in Ordnung. Gerade die junge Generation Indonesiens hat seine Wahl zum Präsidenten des Landes begrüßt. Freilich: Viele Mitglieder der politischen Elite, die in der Ära von Diktator Suharto groß und mächtig geworden sind, ist Jokowis politischer Aufstieg ein Dorn im Auge. Nicht vergessen sollten wir auch, dass sich Jokowi sehr einflusseichen und immens reichen Mafias gegenübersieht. Diese Mafias haben überall ihre Hände im Spiel: Palmöl, Minengesellschaften, Tropenholz. Ich halte Jokowi aber für einen sehr klugen Mann und er umgibt sich mit effektiv arbeitenden Leuten: Basuki Tjahaja Purnama, der Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, steht im Ruf, ein sehr ehrlicher und sauberer Politiker zu sein.

Neben Jokowi, der über sein Bürgermeisteramt in Jakarta die nationale Bühne betreten hat, gilt auch die Bürgermeisterin von Surabaya, Indonesiens zweitgrößter Stadt, Tri Rismaharini, als effektive politische Führungsfigur.

Das ist tatsächlich zu beobachten. Sie war die erste direkt gewählte Bürgermeisterin und hat sich nach ihrer Wahl gleich der Probleme der Stadt - Müllentsorgung, mangelnder Grünraum und Verkehr - angenommen. Die Wählerinnen und Wähler wollen Politiker, die die Dinge vorwärtsbringen.

Gibt es eine ähnliche Entwicklung - nennen wir sie den Jokowi-Effekt - auch in anderen Teilen der Region?

Durchaus: die Regenschirm-Bewegung in Hongkong zum Beispiel. Ähnliches sehen wir auch auf den Philippinen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme Südostasiens?

Neben den Grenzstreitigkeiten im Südchinesischen Meer und Streit ums Wasser der wichtigsten Flusssysteme ist die Sorge um ein Anwachsen von religiös motivierten Konflikten groß. Virulent ist diese Frage derzeit besonders in Burma, denken Sie an die Morde, die Vertreibung und die Pogrome an den Mitgliedern der religiösen Minderheit im Land, den Rohinga. Es gibt weiterhin Konflikte zwischen den verschiedenen Konfessionen auf den Philippinen, auch im Süden Thailands ist kein Ende des Aufruhrs in Sicht. In den drei Grenzprovinzen zu Malaysia will eine Separatistenbewegung weg von Bangkok.