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Uncle Sam, heiß begehrt

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Ein historischer Schritt: US-Außenminister Kerry eröffnet die Botschaft in Havanna.


Bogota. Wenn am Freitag John Kerry als erster US-Außenministers seit 1945 nach Havanna kommt, dann wird er bei einem Spaziergang durch die kubanische Altstadt auch die vielen kleinen US-amerikanischen Flaggen sehen, mit denen sich die Kubaner in den letzten Wochen eingedeckt haben.

US-amerikanische Fahnen sind in Havanna derzeit heiß begehrt. Immer mehr Fahrzeuge schmücken sich mit einer kleinen Ausgabe des Stars-and-Stripes-Banners. Ob das eine Art des zivilen Ungehorsams ist, um der offiziell verhassten Nation des Kapitalismus zu huldigen, oder ob es einfach nur der traditionellen kubanischen Gastfreundschaft geschuldet ist, darüber diskutieren in den kubanischen Beiseln die Menschen derzeit intensiv.

Hoch wehen wird die US-Fahne künftig wieder über der amerikanischen Botschaft, nachdem Kerry sie gehisst hat und somit ein letzter offizieller Schlussstrich unter die jahrzehntelange Eiszeit gesetzt wurde.

Dissidenten zwischenden Stühlen

Nur eine Gruppe ist von der US-Politik enttäuscht. Kubas Dissidenten sind zwischen die Fronten des Versöhnungsprozesses geraten. Das liegt einerseits daran, dass ihre Ansprechpartner in den USA jetzt direkt mit Kubas Machthabern sprechen. Andererseits fehlt der US-Politik bislang auch eine richtige Strategie, das brisante Thema anzupacken. Unmittelbar vor der historischen Visite von US-Außenminister John Kerry klicken in Havanna wieder einmal besonders häufig die Handschellen. Kubanische Menschenrechtsorganisationen berichten über hunderte Verhaftungen von Regimekritikern. Dieses Ritual ist ein fester Bestandteil des Katz-und-Maus-Spiels der kubanischen Staatssicherheit, die Kritiker des Castro-Regimes oft für Stunden festsetzen. Das soll für Angst und Schrecken unter all jenen sorgen, die bereit sind, den Mut aufzubringen, ihre eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. In Polizeigewahrsam soll es auch immer wieder zu brutalen Übergriffen kommen. Zudem hat der Inlandsgeheimdienst eine besonders perfide Methode entwickelt, Regimekritiker einzuschüchtern: Er lässt sie von "zivilen" Kubanern attackieren, die in Wahrheit für den Geheimdienst tätig sind. Vertreter dieser illegalen und unerwünschten Zivilgesellschaft haben es schwer, ihren Platz in der Dynamik des Annäherungsprozesses zu finden. Jüngst attackierten Exil-Kubaner in Miami sogar den Erzbischof von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, weil der in einem Interview behauptet hatte, es gäbe keine politischen Gefangenen in Kuba mehr. Bislang galt die Kirche, auch Ortega, als wichtiger informeller Vermittler zwischen Staat und Opposition. Doch seit Ortega nun auch zwischen den USA und Kuba vermittelt, weiß die im Land systematisch isolierte kubanische Opposition nicht mehr, wem sie noch trauen kann und will.

Vertreter des US-Kapitalsin den Startlöchern

Dagegen hegen Kubas Machthaber um Staatspräsident Raul Castro große Hoffnungen. Wichtigster Streitpunkt ist das US-Embargo, das nach kubanischer Lesart die wirtschaftliche Entwicklung der kommunistisch regierten Karibikinsel jahrzehntelang behindert hat. Vertreter des US-Kapitals stehen längst in den Startlöchern, um in Kuba zu investieren. Immobilien, Tourismus, Landwirtschaft - kaum eine Branche, die in den vergangenen Wochen nicht schon einmal durch Lobbyisten vorstellig geworden ist, um mögliche Kooperationen und Investitionen auszuloten. Raul Castro machte gleich zu Beginn des Tauwetters klar, dass dies nur zu kubanischen Bedingungen geschehen kann: Kuba werde seine Ideale und Prinzipien nicht verraten.

Das US-Embargo wird auch Außenminister Kerry am Wochenende nicht stoppen können, zumal dazu auch die politische Mehrheit im Kongress fehlt. Doch sein Besuch ist ein weiterer Mosaikstein für einen Prozess, an dessen Ende nur eine Aufhebung des Embargos stehen kann. Kerrys Besuch dürfte noch einen anderen wichtigen Grund haben. In einem Monat wird Papst Franziskus zunächst in Kuba und dann in den USA erwartet. In dieser Woche kamen weitere Details ans Tageslicht, wie Franziskus das Tauwetter zwischen den beiden ideologischen Todfeinden möglich machte. Bereits im August schickte Franziskus Havannas Erzbischof Ortega mit dem Auftrag, ein persönliches Schreiben nur direkt an Raul Castro und Barack Obama auszuhändigen. Ortega gelang dies bei einem bislang der Öffentlichkeit nicht bekannten Treffen am 18. August im Weißen Haus in Washington. Der direkte Draht Ortegas zu Castro ist ohnehin bekannt. In dem Schreiben bot Franziskus - wie sich später herausstellen sollte - erfolgreich seine Vermittlungsdienste an. Castro und Obama bedankten sich in ihren historischen Fernsehansprachen im Dezember ausdrücklich bei Franziskus.

Dessen Besuch in beiden Ländern wird deshalb große Bedeutung zukommen. Bereits Papst Benedikt XVI. hatte sich für ein Ende des Embargos ausgesprochen. Allerdings wird Washington dafür eine Art Gegenleistung erwarten. Freie, unabhängige Wahlen, in denen auch andere politische Kräfte als die allmächtige Kommunistische Partei zugelassen werden, gelten derzeit als ausgeschlossen. Deswegen wird Kerry bei seinem Besuch in Havanna direkt mit Castro über dieses Thema sprechen. Mehr noch: Kerry setzt bereits ein deutliches Signal, das sicher nicht ohne Zustimmung des Castro-Regimes möglich gemacht wurde. Mit Blick auf die kubanischen Regimekritiker sagte Kerry in dieser Woche: "Sie werden in unsere Vertretung eingeladen."

Castro wird Kerry etwas anbieten müssen, das auch die kritische republikanische Opposition in der Heimat überzeugen könnte, sich einer Aufhebung des Embargos nicht länger zu verschließen. Und da schließt sich der Kreis wieder zur bisher illegalen kubanischen Opposition. Sie könnte der Schlüssel zu einem Deal zwischen beiden Seiten sein: Die Regimekritiker, die Kuba bisher entweder ins Gefängnis steckte oder ins Ausland entsorgte, zu einem offiziellen Mitspieler in der kubanischen Politik zu machen, wäre eine solche Geste. Kerrys Einladung ist der erste Schritt in diese Richtung. All das kommt bereits einer kleinen kubanischen Revolution gleich.