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Wandeln am Abgrund

Von Klaus Huhold

Politik

Die Gefahr, dass der Inselstreit in Ostasien in einen bewaffneten Konflikt ausartet, ist hoch, sagt der Politologe Howard Loewen. Chinas Verhalten sei dabei typisch für eine aufstrebende Großmacht.


Es ist ein ungelöster Konflikt: Im Süd- und Ostchinesischen Meer streiten sich die Anrainerstaaten um Seegebiete und Insel-Gruppen. Dabei handelt es sich um unbewohnte oder kaum bewohnte Eilande, doch rund um die Senkaku-Inseln (um die sich China, Japan und Taiwan streiten), die Paracel-Inseln (auf die China und Vietnam Anspruch erheben) und die Spratly--Inseln (in diese Kontroverse sind China, Brunei, Malaysia, die Philippinen, Vietnam und Taiwan involviert) werden Rohstoffe vermutet. Außerdem geht es um die Kontrolle von Seewegen. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen, stießen etwa Schiffe einzelner Länder aneinander. Vor allem China, das das gesamte Gebiet rund um die drei Inselgruppen beansprucht, wird von vielen Anrainerstaaten als Aggressor gesehen. In Japan, Vietnam oder auf den Philippinen kam es zu anti-chinesischen Protesten, während in China Nationalisten eine schärfere Politik forderten. Zusätzlich ist heikel, dass die US-Marine in der Region stationiert ist. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Politologen Howard Loewen über Chinas Rolle in dem Streit, die Interessen der USA und den Nationalismus in der Region.

"Wiener Zeitung": Besteht die Gefahr, dass der nächste große bewaffnete Konflikt in Ostasien wegen des Inselstreits ausbricht?

Howard Loewen: Ja, und die Gefahr ist relativ hoch. Das hängt damit zusammen, dass es immer wieder zu kritischen Situationen kommt, bei denen China mit den Anrainerstaaten zusammenstößt oder fast zusammenstößt. Je mehr potenzielle Gefahrensituationen es gibt, desto größer ist die Gefahr, dass ein größerer Konflikt ausbricht - das liegt in der Logik der Sache. Bemerkenswert ist aber, dass man bislang immer am Abgrund entlanggerutscht ist, ohne dass es zu einer größeren Eskalation kam.

Ist dabei China tatsächlich, wie von vielen Staaten in der Region behauptet, der große Provokateur?

Die Gesamtsituation ist so problematisch, weil es hier keine Meeresgrenzen gibt. Wenn es die geben würde, könnte man relativ schnell die Situation entschärfen. So müssen aber die Staaten die Angelegenheit untereinander regeln, zum Teil gilt das Recht des Stärkeren. Allein aufgrund seiner Größe und der Größe seiner Marine ist China aktiver als andere Staaten. Und China ist schon eine Spur aggressiver, weil es immer mehr versucht, seine ökonomische Stärke auch militärisch umzusetzen.

Will sich China hier also einen Hinterhof schaffen und als neue Großmacht profilieren?

China scheint sich klassisch zu verhalten. Die Theorie, dass aufstrebende Großmächte zuerst versuchen, in ihrem Hinterhof alles zu ihren Gunsten zu gestalten, scheint sich im Falle Chinas und Ostasien zu bestätigen.

Sind dadurch die USA in der Zwickmühle? Dass sie einerseits China nicht zu sehr provozieren wollen und andererseits auch nicht glücklich sind, wenn die Volksrepublik erstarkt?

Die USA wollen freilich als Sicherheitsakteur in der Region relevant bleiben und versuchen deshalb, den Aufstieg Chinas zu konterkarieren. Aber viel stärker in der Zwickmühle sind die Asean-Staaten (von der Südostasiatischen Staatengemeinschaft sind etwa Vietnam, Malaysia oder die Philippinen in den Inselstreit involviert, Anm.). Sie schwanken zwischen China und den USA hin und her. China ist für sie als ökonomisches Zielgebiet wichtig, gleichzeitig brauchen sie die USA als Hebel, um China nicht zu dominant werden zu lassen.

Welche Ziele verfolgen die USA?

Die USA wollen in Ostasien Ökonomie und Sicherheit mitgestalten. Sie verstehen sich immer noch als Weltmacht Nummer eins. Eine derart aufstrebende Region wie Ostasien, die für die globale Wirtschaft und Sicherheit so enorm wichtig ist, mitzugestalten, liegt im Interesse einer Weltmacht.

Nun kommt es in den einzelnen Ländern oft zu nationalistischen Protesten. Könnte der Konflikt auch deshalb eskalieren, weil innenpolitischer Druck die Regierungen zwingt, hart zu handeln?

Ja. Und ich bin der Meinung, dass in demokratischen Gesellschaften der Druck besser abgefangen werden kann als in autoritären. Es scheint, dass in China die nationalistischen Kräfte nicht so gut eingehegt werden können wie in Japan oder auf den Philippinen. In diesen beiden Ländern kann wochenlang demonstriert werden, ohne dass die Regierung ins Wanken gerät. In China herrscht genau davor Angst.

Howard Loewen ist Professor für Politikwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der ostasiatischen Sicherheitsarchitektur, die zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt. Loewen war an der Uni Wien bei der Südostasien-Konferenz Euroseas zu Gast.