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Das große Versprechen

Von Klaus Huhold und Ronald Schönhuber

Politik

Mit den neuen Nachhaltigkeitszielen wollen die UN-Staaten bis 2030 Hunger und Armut aus der Welt schaffen.


New York. Es ist ein Trend, der sich nur schwer übersehen lässt. In den hippen Vierteln von London, New York oder Berlin vergeht kaum ein Tag ohne die Eröffnung einer neuen Saftbar, in Wien stehen die Menschen Schlange vor einem kleinen Eisgeschäft, das vegan produziert. Und die sozialen Medien sind voll mit Bildern von Broccoli-Smoothies. Doch die grüne Revolution ist ein westliches Elite-Phänomen. Wenn die aufstrebende Mittelschicht in Nairobi, Shanghai oder La Paz auswärts essen geht, greift sie lieber zu einem saftigen Stück Steak. Und auch in Westeuropa und den USA dominiert jenseits der trendigen Metropolen proteinhaltiges rotes Fleisch.

Die neuen, alten Essgewohnheiten werden auch ein zentrales Thema sein, wenn ab Freitag rund 160 Staats- und Regierungschefs in New York zusammenkommen, um im Rahmen der 70. UNO-Generalversammlung einen Nachfolger für die 2015 auslaufenden Millenniumsziele (MDG) zu beschließen. Denn die neuen Nachhaltigkeitsziele, auf Englisch kurz SDGs (Sustainable Development Goals), sollen vor allem im Bereich der Hunger- und Armutsbekämpfung unmittelbar dort fortsetzen, wo man zuletzt aufgehört hat. Als am 8. September 2000 in New York die "Millennium Decleration" von 189 Staaten unterzeichnet wurde, hatte man sich zum Ziel gesetzt, die Welt menschlicher und gerechter werden zu lassen. Den Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung in den nächsten 15 Jahren zu halbieren, war dabei eines der wichtigsten Anliegen. Nun, da dies beinahe erreicht wurde, nimmt sich die internationale Staatengemeinschaft mit den SDGs noch deutlich mehr vor. Bis 2030 sollen Hunger und Armut "überall auf der Welt und in jeder ihrer Formen" beseitigt werden.

Um den Hunger aus der Welt zu schaffen, werden die Mächtigen der Welt ihre Bürger aber auch davon überzeugen müssen, dass der Speiseplan der Zukunft ein anderer sein muss. Denn für die Produktion von Rindfleisch wird rund elf Mal so viel Wasser verbraucht wie in der Schweine- oder Hühnermast, die dabei entstehenden klimaschädlichen CO2-Emissionen betragen das Fünffache. Ackerflächen, die zum Anbau von Futterpflanzen eingesetzt werden, könnten viel mehr Menschen ernähren, wenn dort Getreide wächst, aus dem später einmal Brot wird.

Industrieländer in der Pflicht

Der zunehmend problematisch werdende globale Fleischkonsum ist allerdings nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie sehr die Welt zusammengerückt ist. Der Klimawandel wird vor allem durch die Industrienationen und ihre Treibhausgasemissionen verursacht. Die Folgen bekommen aber besonders die weniger entwickelten Länder zu spüren. Die Wüste breitet sich weiter aus, in Afrika fallen Anbauflächen weg. "Man kann den Hunger nicht bekämpfen, ohne den Klimawandel in Betracht zu ziehen", sagt Annelies Vilim, Geschäftsführerin bei der AG Globale Verantwortung, dem Dachverband der heimischen Nichtregierungsorganisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

Dementsprechend sollen in den nächsten 15 Jahren auch die globalen Zusammenhänge viel stärker berücksichtigt werden: Waren die acht MDG-Ziele nur für die ärmeren Länder formuliert, so gelten die 17 SDG-Vorgaben, die sich wiederum in 169 Unterziele gliedern, für alle. Das macht die Angelegenheit fairer, es ist nicht mehr so, dass der reiche Norden dem armen Süden sagt, wie er etwa für Geschlechtergerechtigkeit und mehr Umweltschutz zu sorgen hat, sondern er muss sich auch selbst messen lassen. Außerdem verändert es den Ansatz. "Es handelt sich nun nicht mehr um Maßnahmen für Entwicklungsländer, sondern um einen gemeinsamen internationalen Plan für die nachhaltige Entwicklung aller", sagt Vilim im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Teilerfolge bei MDGs

Als erste globale Kraftanstrengung für eine gerechte Welt haben die MDGs durchaus Erfolge gebracht - wobei das natürlich auch immer auf den Blickwinkel ankommt. So war etwa eines der Ziele, dass alle Buben und Mädchen eine Grundschule besuchen. Nun sind etwa in Schwarzafrika die Einschulungsraten tatsächlich stark gestiegen. Wurde vor rund 25 Jahren nur die Hälfte aller Kinder eingeschult, sind es nun bereits 80 Prozent. Doch 57 Millionen Kinder können weltweit immer noch nicht zur Grundschule gehen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem Blick auf die Müttersterblichkeit. Sie sollte um drei Viertel sinken. Das Ziel wurde fast erreicht, die Todesfälle sanken um knapp die Hälfte. Aber 2013 starben Schätzungen zufolge immer noch knapp 300.000 Mütter bei der Geburt. In einem herrscht unter den Experten aber Einigkeit: Die Millenniumsziele besaßen eine große Symbolkraft und haben die Entwicklungszusammenarbeit spürbar angestoßen. Und vor allem haben sie Themen wie Armutsbekämpfung und Gesundheitsversorgung kanalisiert.

Mit den Nachhaltigkeitszielen soll zudem ein Punkt ausgemerzt werden, den Experten und NGOs im Zusammenhang mit den MDGs immer wieder kritisiert hatten, nämlich dass durch den vergleichsweise engen Fokus etwa Umweltprobleme oder auch Menschen mit Behinderung kaum Erwähnung fanden. Entsprechend umfangreicher fallen nun auch die SDGs aus.

Doch die einzelnen SDG-Ziele unterscheiden sich stark in Bezug auf ihre Konkretheit. So klingt manches eher wie eine vage Vision, anderswo werden hingegen klare Vorgaben gesetzt. Dass die Armut beendet und somit kein Mensch mehr unter 1,50 Dollar leben soll, ist eine sehr klare Vorgabe. "Nachhaltige Konsum- und Produktionsstrukturen sichern" - so lautet Ziel 12 - hört sich wiederum sehr schwammig an. Allerdings kann hier noch Klareres kommen. Die Indikatoren, nach denen die Umsetzung der SDGs gemessen werden soll, werden erst erarbeitet und sollen im Frühling nächsten Jahres umgesetzt werden. Dies wird aber wohl wenig an einem wesentlich Schwachpunkt der Nachhaltigkeitsziele ändern, den viele Experten beklagen: Sie sind nicht verbindlich.

Eine Frage des Geldes

Entscheidend wird wie schon bei den MDGs aber letztlich die Finanzierung sein. Und da stehen enormen Kosten schrumpfenden Budgetspielräumen in den Geberländern gegenüber. So wird die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda Schätzungen zufolge jedes Jahr zwischen 3,5 und fünf Billionen Dollar kosten. Die Hilfszahlungen der Industrieländer erreichten 2013 mit 134,8 Milliarden US-Dollar zwar einen neuen Höchststand. Doch noch immer halten sich die wenigsten Geberländer an das regelmäßig abgegeben Versprechen, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Lediglich Dänemark, Norwegen, Schweden, Luxemburg und Großbritannien gaben 2014 so viel Geld aus. In vielen Ländern wurden die Gelder für Entwicklungshilfe angesichts von Budgetsorgen und Sparprogrammen zuletzt sogar zusammengestrichen. Österreich, das derzeit bei 0,26 Prozent liegt, kündigten nach Jahren der Kürzungen vor kurzem an, die Entwicklungsausgaben bis 2030 auf 0,7 Prozent anzuheben. Noch weiter zurück liegt allerdings die größte Wirtschaftsmacht der Welt: Die USA geben nur 0,19 Prozent des BIP für Entwicklungszusammenarbeit aus.

Der mangelnde politische Wille wird allerdings auch bei zahlreichen Entwicklungsländern geortet. Korruption, Klientelpolitik und die schlechte Regierungsführung autoritärer Regime lassen die Hilfsdollars vielerorts versickern. Wie viel sich mit dem nötigen Willen erreichen lässt, zeigt das Beispiel Malawi. Einst das Armenhaus Afrikas, wurde das ostafrikanische Land dank massiver Investitionen in die Landwirtschaft und der Ausgabe von verbessertem Saatgut und Dünger binnen drei Jahren zum Nahrungsmittelexporteur. Die größten Erfolge in der Armutsbekämpfung seit dem Jahr 2000 haben aber ohnehin nichts mit Hilfsgeldern zu tun. Dank des wirtschaftlichen Aufstiegs von Ländern wie China oder Brasilien sind dort hundert Millionen Menschen der bittersten Not entkommen.