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Von der Präsidentenpartei zur Randnotiz

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Auch wenn die zweite Runde der ägyptischen Parlamentswahlen noch läuft, stehen mit den Islamisten schon die Verlierer fest.


Kairo. An allem sind die ägyptischen Muslimbrüder schuld. Einer von ihnen soll die Bombe ins russische Flugzeug geschmuggelt haben, bei deren Explosion 224 Menschen starben. Auch an den Überschwemmungen kürzlich in Alexandria hätte die Bruderschaft gedreht. Sie hätte die Gullys mit Zement zugegossen, sodass das Regenwasser nicht ablaufen konnte und fünf Menschen ertranken. Die beschämende Wahlbeteiligung bei der ersten Runde der Parlamentswahlen ginge ebenfalls auf das Konto der Muslimbrüder. Sie hätten die Wahlberechtigten eingeschüchtert, damit diese zuhause blieben. Viele Ägypter halten diese Verschwörungstheorien für glaubhaft. Die Stimmung am Nil ist gegen die Islamisten.

Wie sehr sich der Wind gedreht hat, ist auch in Moharram Bek zu sehen. Der Bezirk im Osten von Alexandria zählt nicht zu den besten der Vier-Millionen-Metropole. Es gibt es hier viel Dreck, Staub und aufgerissenen Asphalt in den Straßen. Den vom Nildelta abgeleiteten Bewässerungskanal säumen Berge von Abfällen, die faule Gerüche verbreiten. Trotzdem sitzen vor allem Männer an der kleinen Wasserstraße, sie trinken Tee und rauchen Wasserpfeife. Voll verschleierte Frauen sieht man hier häufiger als anderswo in der Stadt. Die Bewohner sind tief religiös. Stets war der Bezirk fest im Griff der Islamisten. Doch dieses Mal machte ein Kandidat aus dem Lager von Ex-Präsident Hosni Mubarak das Rennen um den Sitz in Kairo. Die salafistische Partei Al-Nur ging leer aus. Ein Debakel, wie die Mitglieder der Partei bereits nach der ersten Runde der Wahl einräumen mussten.

In 14 von insgesamt 27 Provinzen war Ende Oktober gewählt worden, der Rest wählte am Sonntag und Montag. Eventuell nötige Stichwahlen finden Anfang Dezember statt. Während in Alexandria, im Nildelta und in der Pyramidenprovinz Gizeh die Sitze also schon vergeben sind, steht das in Kairo, Suez und Port Said noch aus. Doch eines steht jetzt schon fest: Unter den insgesamt 596 Parlamentariern werden nur wenige Islamisten sein. Nur zehn Kandidaten können die Salafisten bisher in die Volksvertretung schicken. Dabei fand die erste Wahlrunde in ihren Hochburgen statt.

Religiöser Konkurrenzkampf

In einem Hinterhaus hat Mohammed Ibrahim sich einen Computerladen eingerichtet. Spartanisch stehen mehrere Bildschirme und die dazugehörige Hardware auf einfachen Holzbrettern entlang der Wände. Der Muslimbruder versteckt sich so gut er kann, braucht aber sein Geschäft zum Überleben. Sein Sohn werde regelmäßig in der Schule diffamiert und als "Verräter" bezeichnet, sagt Ibrahim. Während der 48-Jährige spricht, schaut er ständig beunruhigt hin und her. Sein Handy ist ausgeschaltet. Die Gefängnisse seien überfüllt mit Muslimbrüdern, deren Sympathisanten und denjenigen, die die Staatssicherheit dafür hält. "Vielleicht kriegen wir jetzt ein wenig Ruhe, wenn sie keinen Platz mehr haben", sagt Ibrahim ironisch. Auch kein einziger Kandidat für die Parlamentswahl stünde der Bewegung des im Juli 2013 gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi nahe, der unweit von Alexandria im Gefängnis sitzt und auf seine Verurteilung wartet. Die Bewegung würde die Wahlen boykottieren, sagt Ibrahim. Die Muslimbrüder seien Terroristen, sagt die Regierung in Kairo, und werden deshalb von den Wahlen ausgeschlossen. Jegliche Nähe zu den Muslimbrüdern wird gnadenlos verfolgt.

Die Nur-Partei ist die einzige von ehemals fünf islamistischen Parteien, die zur Wahl zugelassen wurde. Und das hat zwei Gründe: Zum einen schworen deren Vorsitzende Loyalität gegenüber Staatschef Abdel-Fattah al-Sisi und unterstützten dessen Putsch gegen Mursi. Zum anderen braucht der Generalfeldmarschall ein Ventil, um den starken religiösen Druck im Land zu kontrollieren. Dieses Ventil ist die Nur-Partei: "Möge Allah die Reihen der Ägypter schließen und dafür sorgen, dass seine Feinde an ihrem Gift ersticken", schrie einer ihrer Kandidaten mit langem Gewand und langem Bart im Wahlkampf von der Bühne. Mit den Feinden sind nicht etwa die IS-Terroristen auf dem Sinai gemeint oder die Regierung in Kairo, sondern die Muslimbrüder. Zwar verfolgen die Nur-Partei und die Bruderschaft ideologisch ähnliche Ziele. Aber die ehrgeizigen Salafisten spekulierten darauf, die verfolgten Rivalen über kurz oder lang als religiöse Akteure im Land zu ersetzen. Dieses Kalkül geht jedoch nicht auf. Jetzt wird sogar überlegt, wie man Al Nur verbieten kann. Eine Kampagne "Nein zu religiösen Parteien" gewinnt zunehmend an Anhängern. Und je mehr der IS-Terror auch in Ägypten um sich greift, desto mehr verwischen die Konturen.

Sieger der ersten Wahlrunde wurde wie erwartet das al-Sisi unterstützende Bündnis "Aus Liebe zu Ägypten", das alle 60 für Parteien vorbehaltenen Sitze im ersten Wahlgang eroberte. Stärkste Fraktion aber sind mit Abstand die Nichtwähler. 79 Prozent der wahlberechtigten Ägypter blieben zuhause.