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Sinjar ist ein Trümmerfeld

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Peschmerga haben die Jesidenstadt zurückerobert, doch die Bevölkerung zögert, zurückzukehren.


Sinjar. Es ist ein Bild der Zerstörung, Sinjar liegt in Trümmern. Eingestürzte Häuser, ins Freie geschleuderte Teppiche, Kleider, Möbel, Kinderspielzeug. In der kurdischen Jesidenstadt nahe der syrischen Grenze ist kein Haus heil geblieben.

Als Kurdenpräsident Masoud Barzani seinen Besuch in der seit einer Woche von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) befreiten Stadt ansagt, wird schnell eine Bühne aufgebaut. Präsident Barzani preist die Rückeroberung durch seine Peschmerga-Truppen und bekräftigt den Anspruch Irak-Kurdistans über die Verwaltungshoheit. Die autonome Regierung in Erbil werde den Wiederaufbau Sinjars vorantreiben, damit die vielen Flüchtlinge zurückkehren könnten.

"Wir gehen noch nicht zurück"

Aus den umliegenden Dörfern sind Einwohner gekommen, um Barzani zu bejubeln. Sie schwenken kurdische Fahnen und säumen den Weg, als der Kurdenführer in die Stadt einfährt. Gut sechs Autostunden sind es bis zur Kurdenmetropole Erbil. In Sinjar selbst wohnt derzeit niemand. Nur Peschmerga-Einheiten sind dort stationiert, die Soldaten Irak-Kurdistans.

Auf dem Weg nach Sinjar kommen Pick-ups und Kleintransporter entgegen, die allerlei Hausrat geladen haben. Der Verdacht drängt sich auf, dass Plünderer am Werk sind. Doch auf Nachfrage stellt sich heraus, dass es mehrheitlich Einwohner von Sinjar sind, die vor einem Jahr vor den IS-Kämpfern geflohen waren und nun zurückkehren, um ihr Hab und Gut zu retten - oder das, was davon noch übrig ist. "Wir gehen noch nicht zurück", sagt Marwan, der Matratzen und Decken auf einen Minibus geladen hat und im Flüchtlingslager in Dohuk lebt. "Erstens ist alles zerstört. Außerdem misstrauen wir der Lage." Die Erfahrung habe gezeigt, dass der IS sich zwar zurückzieht, aber nach einer bestimmten Zeit wieder angreift. So war es in Tikrit, der zweitgrößten Stadt nach Mosul, die Dschihadisten im Juni 2014 eingenommen haben. Tikrit wurde im April dieses Jahr zurückerobert, doch erst jetzt kehren die Einwohner nach und nach zurück.

Die Militäroperation zur Rückeroberung Sinjars ließ lange auf sich warten. Schon im Dezember letzten Jahres hieß es, die Peschmerga würden die ehemals 30.000 Einwohner zählende Stadt vom IS befreien. Dieser hatte in einer zweiten Blitzaktion Anfang August 2014 große Gebiete erobert, die im Juni unter kurdische Autonomie geraten waren. Zuvor war Sinjar Bagdad unterstellt gewesen.

Massengräber gefunden

Nachdem die irakische Armee vor den Dschihadisten kapituliert hatte, rückten die kurdischen Peschmerga-Kämpfer vor und kontrollierten fortan Kirkuk, die Christenstadt Karakosch und die Jesidenstadt Sinjar. Doch auch die Peschmerga kapitulierten zunächst vor dem IS und überließen Sinjar schutzlos den grausamen Gotteskriegern. Drei Massengräber haben Peschmerga-Offiziere inzwischen gefunden, mit je 100 bis 200 Jesiden. Man werde aber sicher noch weitere finden, sind sich die Soldaten sicher. Tausende Jesiden flohen in Angst und Panik vor dem IS in die Berge und saßen dort tagelang fest, bis ein Korridor über Syrien nach Dohuk im Irak geschaffen wurde und die Menschen zu Fuß oft stundenlang dorthin gingen. So war die Hoffnung groß, als die erste Militäroperation der Kurden begann. Doch damals schafften es die Peschmerga lediglich, das Gebiet bis zu den Sinjar-Bergen zurückzuerobern. Die Stadt selbst blieb weiterhin in der Hand des IS.

Schwierige Rückeroberung

Als Izaddin Sadus im Frühsommer nach Sinjar abkommandiert wurde, bahnte sich ein Strategiewechsel an. Der Brigadegeneral, der lange Jahre im deutschen Lübeck lebte, sollte die sukzessive Rückeroberung Sinjars vorbereiten. Zusammen mit PKK-Einheiten, die schon vorher in den Bergen operierten, rückten die Peschmerga immer näher an die Stadt heran. Doch monatelang ging der Frontverlauf ständig hin und her. "Es war schwierig", fasst der 54-jährige Peschmerga-Offizier zusammen. Mal kontrollierten die Kurden 30 Prozent von Sinjar, mal 40.

Die vielen Betonstehlen, die heute in Sinjar auffallen, sind der Beweis für die bisherige Teilung der Stadt. Das änderte sich erst mit den Luftschlägen der USA, die in den letzten Wochen intensiviert wurden. Als die 7500 kurdischen Soldaten vergangene Woche auf Sinjar vorrückten, war vom IS nichts mehr zu sehen. Die Dschihadisten seien entweder nach Mosul oder nach Syrien abgehauen, sagen Augenzeugen. Nahezu kampflos konnten die Kurden die Stadt einnehmen.