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"Libyen war Moskau eine Lehre"

Von Michael Schmölzer

Politik

Nahost-Expertin Anne-Béatrice Clasmann über den Krieg in Syrien und das Scheitern der arabischen Revolutionen.


"Wiener Zeitung":Ihr Buch trägt den Titel "Der arabische (Alb-)
Traum. Aufstand ohne Ziel". Jetzt geraten sich Russen und Türken in Syrien in die Haare. Wird der arabische zum globalen Albtraum?Wird Syrien ein Battleground der Großmächte?Anne-Béatrice Clasmann: Sicher ist, dass die Situation für die Menschen vor Ort mit der zunehmenden Anzahl der Akteure schlimmer wird. Das sehen wir schon an der wachsenden Zahl an Flüchtlingen. Das russische Bombardement hat weiter dazu beigetragen. Die Lösung der Krise ist schwieriger geworden. Der Ansatz, dass das ein regionaler Konflikt ist und kein globaler, ist jedenfalls nicht aufgegangen.

Aber inwieweit geht es überhaupt noch um Syrien? Wird der Konflikt nicht mit Dingen aufgeladen, die mit der Arabischen Welt gar nichts mehr zu tun haben? Russland, die gekränkte Großmacht etwa.

US-Präsident Barack Obama hat gesagt, dass die USA nicht mehr die Rolle des Weltpolizisten übernehmen. Das führt dazu, dass ein Raum entsteht, den andere füllen. Russland will keine weitere Verkleinerung seines Einflussgebietes hinnehmen, der Fall Libyen war Moskau eine Lehre. Da wird natürlich alles mit allem verrechnet, auch die Sanktionen gegen Russland.

Wie groß schätzen Sie das Eskalationspotenzial, das der abgeschossene russische Kampfjet hat, konkret ein?

Ich glaube nicht, dass die Nato-Staaten und Russland einen Kollisionskurs fahren wollen. Russland hat kein Interesse, einen gewissen Eskalationslevel zu überschreiten.



Der türkische Präsident Erdogan wurde bereits von der Nato zur Räson gerufen . . .

. . .die Türkei muss auch wirtschaftliche Interessen im Auge haben. Ich glaube nicht, dass man daran interessiert ist, einen Zustand zu schaffen, der es gefährlich macht, nach Antalya zum Baden fahren. Wer viel zu verlieren hat, hat nur begrenztes Interesse an einer weiteren Eskalation.



Sie schreiben in Ihrem Buch vom arabischen Albtraum. Es gab also so etwas wie einen arabischen Traum. Worin hat der bestanden?

Es ging darum, Verhältnisse abzuschütteln, die von Vetternwirtschaft, Korruption und mangelnder Rechtssicherheit geprägt waren. Die Menschen sahen sich einer willkürlichen und korrupten Staatsmacht ausgeliefert. Die Nähe zu Politikern war die Absicherung der persönlichen Existenz.
Wenn ich in Konflikt mit einer Behörde gerate, kann ich sagen, ich kenne den Mr. X. Das kann mich davor schützen, im Gefängnis zu landen. Das ist meine Lebensversicherung. Und das ist auch ein großer psychologischer Stress, mit dem man dauerhaft lebt. Denn als Staatsbürger per se hat man in diesen Ländern keine Rechte.

Und der Patron verlangt dann im Gegenzug bedingungslose Loyalität?

Wenn ich Geschäftsmann bin, will er etwa Prozente von meinen Einkünften.

Das war ja der Ausgangspunkt der Arabischen Revolution: der tunesische Gemüsehändler, der von den Behörden schikaniert wird und sich aus Verzweiflung selbst anzündet .

Unheimlich viele Tunesier haben sich damit identifizieren können. Das ist die Klammer, die alle Aufstände im arabischen Raum verbunden hat. Und es ging um Meinungsfreiheit und Bürgerechte.

Die Nahost-Expertin Karin Kneissl meint, die sexuelle Frustration der "angry young men" habe eine große Rolle gespielt. Wer kein Geld hat, kann keine Frau heiraten und hat keine Möglichkeit, sich auszuleben. Stimmen Sie dem zu?

Jein. Junge Männer sind generell risikobereiter. Aber viele Paare müssen lange warten, weil vom Mann verlangt wird, dass er ein Auskommen hat. Das geht mit sexueller Frustration einher. In Libyen haben wir gesehen, dass jüngere Männer Spaß an der Macht bekommen haben. Plötzlich sind junge Männer im Alter von 20 bis 22 Jahren mit automatischen Waffen an er Straßensperre wichtig gewesen. Die haben Spaß daran gehabt, Entscheidungsgewalt zu haben.

Und wo würden Sie Frau Kneissl widersprechen?

Die Angelegenheit ist nicht so monokausal.

Warum ist der Arabische Frühling so spektakulär gescheitert?

Die Idee der Partei war durch die alten Staats- und Regierungsparteien, wo es nur um persönliche Bereicherung, Postenschacher und Korruption ging, diskreditiert. Die Protestbewegung 2011 ist nicht in eine Parteienstruktur eingeflossen. Außerdem kann man nicht einfach durch Wahlen die Demokratie einführen, das hat man im Irak 2003 gesehen. Es gehört eine gewisse politische Kultur und politische Bildung dazu. Die junge Revolutionsbewegung in Ägypten war limitiert. Das war nur ein ganz kleiner Teil der ägyptischen Gesellschaft.

Und jetzt herrscht in Ägypten General al-Sisi autoritär wie Mubarak und die Mehrheit jubelt ihm zu. Warum ist das so?

Es ist schwierig, von einem System, das über Herrscher-Kult und einen übersteigenden Nationalismus funktioniert hat, zu einer parlamentarischen Demokratie zu wechseln, in der es an Symbolfiguren fehlt. Das hat den Revolutionsbewegungen gefehlt: Wo war die Symbolfigur, hinter der sich alle versammeln konnten?



Warum hat der Wandel dann in Tunesien so gut funktioniert?

Die Tunesier hatten Startvorteile: Das Regime Ben Ali war nicht so blutig wie die in Syrien oder Libyen. Es gab nicht ganz so viele offene Rechnungen. Es fehlt eine ausgeprägte Stammeskultur, die Stellung der Frau in Tunesien ist eine andere, das hat sich positiv ausgewirkt. Und es gab gewisse Strukturen der Zivilgesellschaft. Da konnte man anknüpfen. Die Armee hat keine große Rolle gespielt, es gab keine konkurrierende Macht, die den Parteien entgegenwirkt. Und das tunesische Bildungssystem ist einfach besser als das ägyptische.

Zur Person

Anne-Béatrice Clasmann

hat Arabistik studiert, lebte viele Jahre in Kairo und ist dpa-Korrespondentin. Im Passagen-Verlag ist ihr Buch "Der arabische (Alb-)Traum Aufstand ohne Ziel" eschienen.