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Der blinde Fleck der Klimapolitik

Von Ulrich Brand

Politik

Beim Pariser Gipfel wird viel über Emissionen und Verträge geredet werden. Das eigentliche Problem ist unsere Lebensweise.


Monatelang stand in der politischen Diskussion "Paris" für die am Montag beginnende UN-Klimakonferenz, die seit 1995 alljährlich um diese Jahreszeit stattfindet. Durch die mörderischen Anschläge steht die französischen Hauptstadt seit zwei Wochen auch für Terror und Verunsicherung. Dennoch findet das international wichtigste klimapolitische Treffen statt.

Die bisherige Klimadiplomatie ist politisch gescheitert, das wird abgesehen von ein paar Berufsoptimisten mittlerweile breit anerkannt. Alternativen sind dringend notwendig und sollen nun geschaffen werden. Denn seit 1990 haben die globalen Treibhausgasemissionen um 30 Prozent zugenommen. Laut dem 1997 vereinbarten Kyoto-Protokoll sollten sie aber eigentlich deutlich sinken. 39 Industrieländer einigten sich damals auf eine Verpflichtungsperiode von 2008 bis 2012, in der die Emissionen um 5,2 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 reduziert werden sollten.

Als in der alten japanischen Kaiserstadt vor fast 20 Jahren das bis jetzt einzige völkerrechtlich verbindliche Klimaabkommen beschlossen wurde, hatte sich der phänomenale Aufstieg der Schwellenländer, der sehr stark auf der Förderung und Nutzung fossiler Energie basiert, allerdings erst in Umrissen abgezeichnet. Doch selbst in Europa sind Emissionsrückgänge seit 1990 eher auf Deindustrialisierung zurückzuführen: Im wiedervereinigten Deutschland, in Polen, Tschechien oder Russland nahmen die Emissionen zwischen 1990 und 2010 um knapp 30 Prozent ab. In Österreich und Spanien, wo es keine massenhafte Stilllegung veralteter Industriebetriebe gab, stieg der Ausstoß im selben Zeitraum um 8 Prozent beziehungsweise sogar 25 Prozent an.

Marschziel "völlige Dekarbonisierung"

Gleichzeitig werden die Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels von Jahr zu Jahr deutlicher: Die Meere erwärmen sich immer stärker und drohen zu versauern, was unabsehbare Folgen für die Fischbestände hat. Der Klimaforscher Kevin Anderson aus Manchester zeigt in seinen Modellen, was im schlimmsten Fall droht. Eine global um 4 bis 6 Grad höhere Temperatur führt demnach zu einer Steigerung von 12 bis 14 Grad an den Polen - ebenfalls mit kaum vorstellbaren Konsequenzen. In Mitteleuropa werden Hitzewellen im Sommer, der letzte ist in guter Erinnerung, die Temperaturen um bis zu 8 Grad nach oben treiben. Um derartige Extrem-Szenarien nicht Realität werden zu lassen, haben sich die Mächtigen der Welt beim jüngsten G7-Treffen auf Schloss Elmau die "völlige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft" bis zum Jahr 2100 vorgenommen. Damit soll der Temperaturanstieg im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf 2 Grad begrenzt werden.

Um das inzwischen prominente Zwei-Grad-Ziel, das sich die Weltgemeinschaft übrigens schon vor fünf Jahren bei der Klimakonferenz in Cancún verordnet hat, zu erreichen, führt kein Weg an der massiven Reduktion fossiler Energieträger vorbei. Denn die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle ist nach wie vor der Klima-Killer Nummer eins - vor der Abholzung von Wäldern und dem damit einhergehenden Verlust der CO2-Bindung in den Pflanzen und vor der landwirtschaftlichen Produktion, bei der vor allem die Freisetzung von Methangasen bei der Produktion von Fleisch und Reis klimaschädlich ist.

Lieber freiwillig als verbindlich

In den kommenden zwei Wochen soll nun endlich ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll vereinbart werden. Vor sechs Jahren beim Klimagipfel in Kopenhagen waren die Bemühungen für ein neues Abkommen gescheitert. Zwei Jahre später, bei der Konferenz in Durban, hatte man sich drauf geeinigt, bis 2015 einen Weltklimavertrag zustande zu bringen. Gleichzeitig wurde das Kyoto-Protokoll provisorisch bis 2020 verlängert. Doch das Zwischenabkommen wird erst gelten, wenn es von 144 Staaten ratifiziert wurde - und diese werden dann nur für 15 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sein. Denn für die bevölkerungsreichen Schwellenländer gibt es auch bei Kyoto-II keine Verpflichtungen und die großen Verschmutzer unter den Industrieländern sind mittlerweile allesamt draußen. So haben die USA schon das ursprüngliche Protokoll nicht ratifiziert, Russland und Japan sind dann aus dem Folgeprozess ausgestiegen. Kanada hat das Protokoll 2011 verlassen, weil die boomende Förderung von Öl-Sanden jegliches Klimaziel in weite Ferne gerückt hat.

In Paris soll daher ein neues, ambitioniertes und von möglichst vielen Staaten getragenes Abkommen beschlossen werden, das 2020 in Kraft tritt. Dabei soll auch eine Lehre aus dem weitgehenden Scheitern der bisherigen Klimapolitik gezogen werden: Sie pochte nämlich auf Verbindlichkeit. Stattdessen wird nun seit zwei Jahren darauf hingearbeitet, dass sich ein neues globales Abkommen vor allem durch eines auszeichnet: durch Freiwilligkeit.

Die neueste Innovation der internationalen Klimapolitik sind nämlich die "geplanten nationalen Beiträge zur Treibhausgasminderung" (englisch INDCs, Intended Nationally Determined Contributions). Mit den INDCs bestimmen die Regierungen selbst ihre jeweiligen Reduktions-Ziele. Die EU etwa möchte bis 2030 die Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern, die USA wollen für den Zeitraum 2005 bis 2030 ihre Treibhausgase um 26 bis 28 Prozent mindern. Auch China als weltgrößter Energieverbraucher will sich anstrengen und 60 bis 65 Prozent im Vergleich zum Wirtschaftswachstum erreichen. Sogar auf der Konferenz selbst werden wohl noch einige Regierungen ihre geplanten Beiträge hinterlegen.

Riskant und am Problem vorbei

Das Vorhaben ist politisch gewollt: Es machen viele mit. Aber es ist klimapolitisch riskant. Zum einen reichen die bisherigen Beiträge nicht zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels und zum anderen ist es eben so eine Sache mit der Freiwilligkeit. Selbst wenn am übernächsten Wochenende ein Vertrag steht, dann ist die Einhaltung der Vereinbarungen unsicher. Fraglich ist aber auch, inwieweit in Paris zwei Geburtsfehler der internationalen Klimadiplomatie nachhaltig angegangen werden. Denn zum einen wird viel über Emissionen und Grenzen gesprochen, aber recht wenig über die Ursachen. Zu suchen sind diese vor allem in unserer Lebensweise. Die Menschen der Industrieländer greifen in ihrem Alltag fast selbstverständlich auf die Produkte des Weltmarkts zurück, die heute noch stärker als früher durch billige Arbeitskraft und Naturressourcen produziert werden.

Die Klimapolitik kommt an diese tief verankerte Lebensweise im globalen Norden aber nicht heran. Ja mehr noch: Das Modell der ressourcenintensiven Produktions- und Lebensweise wird in den Ländern des Nordens entwickelt, stabilisiert und vorgelebt. Zudem wird ein Großteil der in China getätigten Emissionen für die Produktion von Gütern verwendet, die vor allem von den reichen Ländern nachgefragt werden. Man spricht in der Fachdiskussion vom Export der Klimagase. Und schließlich haben die Industrieländer eine Art "historischer Schuld" abzutragen aufgrund der Emissionen in der Vergangenheit. Welche Mechanismen wären anzuwenden, welche Interessen- und Machkonstellationen zu ändern, um der Ausbeutung der Ressourcen Einhalt zu gebieten? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Die Klimadiplomatie stellt aber nicht einmal die Frage.

Eine neue Arena des Wettbewerbs

Der zweite Geburtsfehler der Klimapolitik wird in Paris vordergründig angegangen werden. Denn anders als beim Abschluss des Kyoto-Protokolls 1997 gibt es heute einen recht weitreichenden Konsens darüber, dass auch die großen Schwellenländer einen Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten sollen. Doch hier könnte es zu einer wohl ungewollten Konsequenz kommen. Die Klimapolitik wird ebenso wie die Handels-, Technologie- oder Finanzpolitik zu einer politischen Arena, in der über die Bedingungen des geoökonomischen und -politischen Wettbewerbs gestritten wird.

Es würde damit bestätigt, was der Berliner Politikwissenschafter Markus Wissen formuliert: Es komme zu "einer Aufwertung und strukturellen Überforderung von Klimapolitik". Aufwertung, weil in Paris die historische Bedeutung des Kampfes gegen den Klimawandel deutlich wird, eines Phänomens, dessen Konsequenzen in ihrer Härte und in ihren extrem ungleichen Auswirklungen - etwa gegenüber Armen und Reichen - kaum absehbar sind. Doch die Klimapolitik ist überfordert, weil sie mit ihrer Ausblendung der wachstumsgetriebenen Produktions- und Lebensweise nicht an den Kern des Problems kommt.

Ein folgenschweres Bündnis

Die Klimaverhandlungen sind dann nicht nur eine Auseinandersetzung um eine effektive Beschränkung der globalen Erwärmung. Vielmehr bilden sie das Terrain, auf dem verhandelt wird, wie die ressourcenintensive Produktions- und Lebensweise weiterhin erhalten werden kann. Paris wird vielleicht einen Vertrag bringen, aber die unübersehbare Botschaft wäre dennoch eine andere: "Unser Entwicklungsmodell steht nicht zur Disposition. Wir tun, was wir können, aber ohne Verzicht auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit." Hier liegt, bei allem Streit um Reduktionsziele und Kompensationszahlungen für Klimaschäden, das unausgesprochene Bündnis von Industrie- und Schwellenländern.

Ulrich Brand

ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er ist einer der Autoren im gerade erschienenen "Wörterbuch Klimadebatte" (Herausgeber Sybille Bauriedl, Transcript Verlag).