Zum Hauptinhalt springen

Boulevard of Broken Dreams

Von Michael Schmölzer

Politik
Eberle (M.) und Busek im WUK: "Schlaft nicht, es gibt keinen Frieden auf dieser Erde."
© Figlhaus

Geplatzte Hoffnungen, das Ende aller Illusionen: Bei einer Diskussion im WUK ging es um das Scheitern Europas, um eine Gesellschaft, die sich zurückzieht. Und "Helfer", die Flüchtlinge schikanieren.


Wien. Am Panel regierte der Pessimismus, phasenweise waren die Einschätzungen rabenschwarz. Immerhin ging es um das Totalversagen Europas in der Flüchtlingsfrage, die Renaissance der Zäune, die Gefahr der Entstehung einer Parallelgesellschaft mitten in Österreich, brutalisierte und traumatisierte Flüchtlinge und schäbigen Machtmissbrauch durch "den kleinen Mann".

Am Podium saßen Ex-Vizekanzler Erhard Busek, ORF-Mann Friedrich Orter und die frühere ÖVP-Soziallandesrätin Doraja Eberle, die die Flüchtlingskoordination am Salzburger Bahnhof übernommen hat. Die Debatte verlief hoch emotional - obwohl die Diskutanten einander so gut wie nicht widersprachen.

So berichtete Eberle von "18- bis 19-jährigen Bundesheer-Soldaten", die Flüchtlinge regelrecht schikanierten. Etwa, indem sie ihnen bei der Essensverteilung Semmeln einfach hinwarfen. Oder indem sie Menschen, die ihr Essen fallen ließen, zwingen würden, sich erneut hinten anzustellen. Die Vorgesetzten dieser Soldaten rechtfertigten das mit der angeblichen Härte und der Schwierigkeit der Aufgabe, so Eberle.

Erhard Busek, der innerhalb der ÖVP einst als "Bunter Vogel" auftrat, kritisierte vor jungem Publikum die fehlende Weitsicht Europas: Man hätte auf den Zustrom von Flüchtlingen durchaus vorbereitet sein können. Immerhin habe es schon lange gestrandete Menschen etwa auf der Mittelmeer-Insel Lampedusa gegeben. Doch das sei "nicht ernst genommen" worden. Es gäbe derzeit einfach keine Antworten auf die weltweiten Veränderungen, so Busek. Reagiert werde mit Rückzug auf sich selbst und "blankem Egoismus".

Analog zur Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges erinnert Busek das Europa von heute an einen "Schlafwandler". Möglicherweise beginne in Syrien gerade der "Dritte Weltkrieg" - ohne dass das richtig realisiert werde. Und der russische Präsident Wladimir Putin habe Europa recht unsanft aus "Tagträumen" gerissen. Nach 70 Jahren Frieden habe der Kremlherr demonstriert, dass Verträge plötzlich nicht mehr gelten und wieder mit Gewalt Politik gemacht werden kann.

"Es gibt die ewige Friedensordnung nicht", warnte Busek. Es irritiere ihn, wenn der Frieden von jungen Menschen immer wieder als etwas natürlich Vorhandenes begriffen werde und nicht als etwas, um das jeden Tag aufs Neue gerungen werden muss. Und Buseks Hoffnung liegt gerade in der jungen Generation: "Gehen Sie in die Politik", lautet sein Appell.

Dem schloss sich Eberle an: "Bewegt etwas, seid keine Ich-AG." Wobei sie gleich zu Beginn feststellte, dass sie selbst nach sieben Jahren in der Landesregierung nicht mehr das Etikett "Politikerin" tragen möchte. Seit dem 26. August sei sie täglich am Salzburger Bahnhof, übernachte fallweise dort, um die Arbeit mit den Flüchtlingen zu koordinieren. Sie habe nie schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht, sehr wohl aber mit jenen Österreichern, die ihr Hassmails und Briefe schickten. "Das macht mich nervös."

ORF-Kriegsreporter Friedrich Orter, Autor des Buches "Ich weiß nicht, warum ich noch lebe", versuchte gleich zu Beginn ein seiner Ansicht nach unrealistisches Bild vom "edlen Migranten" zurechtzurücken. "Ein Flüchtling ist nicht unbedingt ein guter Mensch", so Orter. Es handle sich oftmals um "traumatisierte, brutalisierte Menschen", er wolle auch nicht ausschließen, dass manche vom "IS-Ideologie-Wahnsinn infiziert" seien. Und: Die Flüchtlingsfrage sei durchaus in der Lage, "unsere Gesellschaft zu destabilisieren".

Er selbst habe beobachten können, wie im jordanischen Flüchtlingslager Zaatari binnen kürzester Zeit eine "Parallelgesellschaft" entstanden sei. Dass diese Gefahr auch im Fall Österreich gegeben ist, wird von Eberle bestätigt: "Die Flüchtlinge werden allein gelassen, wir überlassen sie ihrem Schicksal", so die Koordinatorin. "Millionen werden noch kommen." Ein großes Problem entstehe dann, wenn sie nicht integriert werden.

Eberle selbst sieht sich nicht als "barmherzig", sie sei sicher nicht "Mutter Theresa". Die Flüchtlingshelferin ist aber froh, "auf der Seite der Gebenden sein zu dürfen". "Kosovaren und Tunesier haben bei uns nichts verloren", sagt Eberle, "aber die, die zu uns müssen, vergessen wir." Sie beobachte "Rassismus" gegenüber allen, die so aussähen wie die Attentäter von Paris.

Kriegsreporter Orter beklagte, dass es in Europa keine überzeugte Europäer mehr gebe. Es würden die einen gegen die anderen ausgespielt. Die Osteuropäer würden wieder als "die anderen" gesehen, als "KP-infizierte Gehirne". Und: "Europa darf nicht Israel werden, wo alle fünf Meter ein Polizist, ein Soldat oder ein Panzer stehen". Diese Gefahr sei für ihn sehr real, warnte Orter.