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Ringen um 1,5 - oder zumindest zwei - Grad Celsius

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Die UN-Klimakonferenz vor den Toren von Paris erscheint wie eine eigene Welt. Noch ist unklar, ob es bis zum Wochenende wirklich zur erhofften verbindlichen Einigung auf ehrgeizige Klimaschutzziele kommt.


Paris. Die Männer aus dem peruanischen Naturschutzgebiet Amarakaeri Communal Reserve können zwar nur bruchstückhaft Englisch, um ihre Belange zu erklären. Aber sie wissen, was zu tun ist, um auf dem weitläufigen Messegelände von Le Bourget aufzufallen. Mit ihrer spektakulären folkloristischen Tracht und bunten Federn auf den Köpfen ziehen sie Journalisten und Kameraleute magnetisch an. Kalt sei es in Paris, sagt Juan Pablo Alvz, einer der Aktivisten. Aber die Fahrt zur UN-Klimakonferenz vor den Toren von Paris habe sich gelohnt: "Wir wollen uns hörbar machen für eine besondere Berücksichtigung von Ureinwohnern in Peru und finanzielle Hilfen für unsere Fauna und Flora."

Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut bei dem zweiwöchigen Gipfel, bei dem 10.000 Vertreter aus 195 UN-Ländern für eine Einigung auf neue Klimaschutzziele sowie weitere 30.000 Aktivisten, Vertreter der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft zusammenkommen. Während die Delegationen in entfernt gelegenen Räumen verhandeln, laufen parallel Konferenzen und Debatten mit oft hochkarätigen internationalen Experten. In Pavillons stellen viele Länder ihre Klimaschutzziele vor, Vereine und Nichtregierungsorganisationen informieren an Schauständen. Das Messegelände, das nach den Terroranschlägen von Paris ein verstärktes Aufgebot von insgesamt 2800 Polizisten absichert, erscheint wie eine eigene kleine Welt mit dem idealistischen Ziel, die Erde zumindest ein wenig sauberer zu machen. Aber kann es erreicht werden? "Ich habe nicht den Eindruck, dass man hier wirklich auf Nachhaltigkeit setzt. Es gibt ja nicht einmal Stellplätze für Fahrräder", klagt Romina Ranke, die mit dem Bund Jugend Deutschland aus Hannover angereist ist. "Unternehmen, die auf Kosten der Umwelt Profite machen, stellen sich hier als ökologische Vorreiter dar und wahren doch nur den schönen Schein." Um eindrucksvoll zu zeigen, dass ein radikales Umdenken aller nötig sei, beteiligt sich Ranke an einer spontanen Aktion, die darin besteht, sich auf den Boden zu werfen und reglos liegen zu bleiben, sich sozusagen totzustellen - was einige französische Pressevertreter angesichts der jüngsten Terrorserie in Paris weniger passend finden.

Unterschiedlicher Ehrgeiz

Viele Umweltaktivisten befürchten, dass trotz des Handlungsbedarfs auch bei dieser 21. Klimakonferenz zu wenige verbindliche Ergebnisse herauskommen. Zwar ging die französische Präsidentschaft ehrgeizig an ihre Organisation heran, um mehr als ein Minimalergebnis wie 2009 in Kopenhagen zu erreichen. Außenminister Laurent Fabius stellte gestern, Mittwoch, einen Zwischenentwurf vor, der von 48 auf 29 Seiten gekürzt wurde und nur noch ein Viertel der in eckigen Klammern geschriebenen schwammigen Alternativ-Formulierungen enthält. Es gebe Fortschritte, so Fabius, aber es sei "noch viel zu tun" bis Freitag. Dann hofft man einen Text festzuzurren mit dem Ziel, den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2030 so zu senken, dass die Erderwärmung auf 1,5 - oder zumindest zwei - Grad Celsius begrenzt werden kann. Diesmal wurden schon im Vorfeld nationale Zusagen ausgearbeitet und eingebracht. Doch ist Fabius zufolge das "Niveau des Ehrgeizes" unterschiedlich ausgeprägt zwischen stark vom Klimawandel betroffenen Ländern und solchen mit hohem CO2-Ausstoß wie Australien und Kanada.

Optimistisch stimmt Beobachter, dass einstige Blockierer wie die USA und China, die selbst zunehmend unter Druck geraten sind, sich bewegt haben. Dennoch gehört zu den strittigen Fragen, ob Industrie- und Schwellenländer dieselben Anstrengungen zu leisten haben. So forderte der indische Umweltminister Prakash Javadekar in einer gemeinsamen Erklärung mit China, Brasilien und Südafrika mehr Anstrengungen von den Industrieländern.

Unklar sind auch die Fragen nach der Verbindlichkeit der Klimaschutzzusagen, ihren Kontrollmöglichkeiten und deren Startzeitpunkt, nachdem Sanktionen bei Nichteinhaltung ohnehin unrealistisch erscheinen. Fragezeichen stehen auch noch über den geplanten Finanzhilfen der Industriestaaten für die ärmeren Länder in Höhe von jährlich 100 Milliarden Dollar zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Zumindest versprachen zu Wochenbeginn eine Reihe Industrieländer im Rahmen einer "African Renewable Energy Initiative" (AREI) rund zehn Milliarden Dollar für den Ausbau erneuerbarer Energien in Afrika, wo rund 640 Millionen Menschen keinen Zugang zur Elektrizität haben. Bis zum Jahr 2030 sollen rund 300 Gigawatt Strom für Afrika aus sauberen und erschwinglichen Energiequellen erzeugt werden. "Die reichen Länder müssen uns helfen, um unser Leben und unsere Wirtschaft zu verbessern", heißt es von der Delegation aus dem Niger. Das sei in Europas Interesse - sonst würde sich die Zahl der Flüchtlinge, die mangels Perspektiven nach Europa strömen, nur weiter erhöhen.