Zum Hauptinhalt springen

"Können wir die Erde hier essen?"

Von Ronald Schönhuber aus Agarfa

Politik

Im Südosten Äthiopiens herrscht die schwerste Dürre seit 30 Jahren.


Agarfa. Auf das alte, faltige Gesicht hat sich ein Ausdruck von Nachdenklichkeit gelegt. "Früher war diese Gegend bekannt für Regen. Es gab hier überall Bäume und im Wald fanden wir als Kinder sogar Honig", sagt Adam Abdi, während die müde wirkenden Augen den nahen Hang hinaufblicken. Heute sind das alles Erinnerungen aus einer fernen Zeit. In Makala, jenem kleinen Ort im Südosten Äthiopiens, in dem Abdi seit seiner Geburt lebt, gibt es heute weder Wald noch Honig, sondern aufgerissene Böden und dichte Staubschwaden, die sich immer wieder über das sonst strahlende Blau des Himmels legen. Und auch der Regen ist heute anders als früher.

Seit zwei Jahren hat es im Bezirk Agarfa, in dem auch Makala liegt, nicht mehr ausgiebig geregnet. Die Niederschläge kamen meist viel zu spät und hörten auch viel zu schnell wieder auf. Für die Ernte hatte der großflächige Ausfall der Regenzeit verheerende Folgen. Drei Mal haben Abdi und die anderen Dorfbewohner in diesem Sommer ausgesät, kein einziges Mal ist das Getreide so gewachsen wie früher. Auf den wenigen Feldern rund um Makala, die noch nicht der Dürre zum Opfer gefallen sind, reichen die Halme, die in guten Jahren brusthoch wachsen, den Bauern gerade einmal bis zu den Knien. Auch das Korn ist viel zu klein, in den allermeisten Fällen stecken in den Ähren nur winzige und ungenießbare Früchte. "Nicht einmal während der großen Hungersnot 1984 hat es hier eine derartig schlimme Dürre gegeben", sagt Abdi.

15 Kilo Getreide pro Monat

Getreidevorräte gibt es in Makala allerdings schon lange keine mehr. Was nicht ausgesät wurde, wurde bereits gegessen, um nicht hungern zu müssen. Mittlerweile sind die knapp 6000 Dorfbewohner auf die Nothilfe angewiesen, die die österreichische NGO "Menschen für Menschen" leistet. Die von Karlheinz Böhm gegründete Äthiopienhilfe, deren Fokus sonst auf nachhaltigen Entwicklungsprojekten im Norden des Landes liegt, hat sich aufgrund der massiven Krisensituation zu Lebensmittelverteilungen entschlossen. Pro Monat erhält jeder in Makala 15 Kilo Getreide, 1,5 Kilo Hülsenfrüchte und einen halben Liter Speiseöl. "Ohne diese Unterstützung könnten wir nicht überleben", sagt Meti Roby, eine Alte, aus deren zerfurchtem Gesicht wache Augen blitzen.

Gerissene Sicherheitsnetze

Die Menschen in Makala sind jedoch bei weitem nicht die einzigen, die Hilfe benötigen. Laut der UN-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) sind derzeit bereits 8,2 Millionen Menschen in Äthiopien auf Nahrungsmittelverteilungen angewiesen, im Jahr 2016 könnte die Zahl sogar auf 15 Millionen ansteigen. Damit wäre knapp jeder sechste Äthiopier betroffen.

Es ist allerdings nicht nur eine gewaltige humanitäre Herausforderung, vor der das Land steht. Äthiopien findet sich auf einmal auch in einer Ecke wieder, aus der man sich eigentlich längst schon heraußen gesehen hatte. Vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Regierung viel unternommen, um die Rolle des ewigen Hungerleiders abzustreifen. Äthiopien, wo 1984 und 1985 zwischen 500.000 und einer Million Menschen verhungerten, sollte nicht mehr das Land der aufgeblähten Hungerbäuche und fliegenbesetzten Kindergesichter sein. Vielmehr wollte man sich als eine der politischen und wirtschaftlichen Führungsmächte eines neuen Afrikas präsentieren, ein Land, das Investoren anzieht und Innovationen hervorbringt.

Tatsächlich wird heute in der Hauptstadt Addis Abeba überall gebaut, seit September verkehrt hier auch die erste Stadtbahn des afrikanischen Kontinents, die von überwiegend chinesischen Unternehmen in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Ebenfalls mit chinesischer Hilfe wurde die dreispurige Autobahn gebaut, die Addis Abeba seit einem Jahr mit dem 85 Kilometer entfernten Adama verbindet.

Ein anderes Land als 1984 ist Äthiopien allerdings nicht nur, wenn es um neue Hochhäuser und Straßen geht. Seit 2005 existiert auch das "Productive Saftey Net Programme" der Regierung , das in Kooperation mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen umgesetzt wird und eigentlich den Ausbruch von Hungersnöten in den noch immer stark unterentwickelten ländlichen Gebieten durch akute Nahrungsmittelhilfe verhindern soll.

Doch im aktuellen Fall sind die Programme schon vor Wochen an ihre Grenzen gestoßen, die äthiopische Regierung sah sich in der Folge gezwungen, die internationale Staatengemeinschaft und Organisationen wie "Menschen für Menschen" um Unterstützung zu bitten. Dass die Sicherheitsnetze diesmal nicht gehalten haben, hat vor allem mit der Ursache der Dürre zu tun. Denn heuer fällt das azyklisch auftretende Klimaphänomen "El Nino", das mit einer Erhöhung der Wassertemperatur im Pazifik einhergeht, so stark wie schon lang nicht mehr aus. Die Folgen sind dabei auf der ganzen Welt zu beobachten: Während es in Argentinien, Guatemala und Peru zu Überflutungen kommt, bleibt im östlichen Afrika der dringend ersehnte Regen aus. In Äthiopien wird die Lage darüber hinaus noch durch den hier schon seit Jahren deutlich beobachtbaren Klimawandel noch einmal verschärft, denn auch abseits des "El Nino"-Phänomens wird es in der Region zunehmend trockener und die Niederschläge kommen immer unregelmäßiger.

Eine Laune Gottes

Die Menschen in Makala, die unter einer großen Schirmakazie auf den Beginn der Lebensmittelverteilungen warten, können mit dem Begriff "El Nino" freilich wenig anfangen. Auch vom globalen Klimawandel hat hier niemand gehört, ganz zu schweigen davon, dass derzeit die internationale Staatengemeinschaft bei einem Gipfel in Paris darüber berät, wie sich die Erderwärmung auf ein vernünftiges Maß begrenzen lässt. Dass der Regen seit Monaten nicht kommt, ist in Makala eine Laune Gottes.

Doch auch wenn es in den ärmlichen Dörfern Südostäthiopiens keine Vorstellung über den Klimawandel oder die globalen Zusammenhänge geben mag, so gibt es doch wenige Orte, wo sich deutlicher zeigt, wie verletzlich die Ärmsten der Armen in dieser Hinsicht sind. "Vor zwei Jahren hatte ich noch 13 Ziegen, einen Esel und zwei Milchkühe", erzählt etwa Safia Shekadir, die ebenso wie Adam Abdi in Makala lebt. Doch dann kam die Dürre und mit jeder verlorenen Ernte muss die Mutter von acht Kindern weiteres Vieh verkaufen, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Heute besitzt Shekadir nur noch eine Kuh und schämt sich, Gäste in ihre kleine Lehmhütte zu bitten, weil diese so ärmlich ist. "Manchmal fühle ich mich so, als würde ich einfach von dieser Welt verschwinden", sagt die junge Frau, die ohne die Unterstützung von außen wohl auch bald ihre letzte Kuh verkaufen müsste.

Adam Abdi mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn die letzte dürr geworden Kuh zu einem schlechten Preis verkauft worden ist. "Was sollen wir tun?", fragt der alte Mann. "Können wir die Erde hier essen, können wir die Bäume hier essen?"

Ohne Hilfe hilflos

Laut Tewolde Gebrekidan, dem Projektkoordinator von "Menschen für Menschen", ist derzeit jedoch keine rasche Entspannung in Sicht. "Wir sehen erst den Beginn der Krise. Mehr Menschen werden zu uns kommen", sagt Gebrekidian. Seiner Einschätzung nach werden die Menschen im Südosten Äthiopiens noch mindestens bis zur nächsten Ernte im kommenden November Nahrungsmittelhilfe brauchen. Ob "Menschen für Menschen" so lange mit dabei sein kann, ist allerdings fraglich. Denn bisher gibt es nur genügend Geld für vier Monate, ob darüber hinaus Hilfe geleistet werden kann, hängt vor allem davon ab, ob die Organisation zusätzliche Mittel lukrieren kann.

Die ungewisse Zukunft beschäftigt auch Adam Abdi. Wenn eines seiner Enkelkinder nun kommen und ihn nach seiner Meinung fragen würde, müsste er wohl einen schmerzlichen Rat geben, sagt der alte Mann. "Ich will meine Enkelkinder bei mir haben. Aber wenn sie hier nur sterben können, sollen sie lieber fortgehen", sagt Abdi und sein Blick wandert wieder den Hügel hinauf, wo er als Kind einst Honig für die ganze Familie geholt hat.

Spenden für Menschen für Menschen:IBAN: AT28 3200 0000 0022 2000
oder online auf www.mfm.at