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Die Schattenseiten einer Boomtown

Von Günter Spreitzhofer

Politik
Die Hauptverkehrsadern in Juba sind mittlerweile asphaltiert. Abseits davon ist das Stadtbild von Lehmstraßen geprägt.
© corbis

Vor der Unabhängigkeit des Südsudans war Juba eine Provinzstadt mit 30.000 Einwohnern. Nicht einmal fünf Jahre später leben 400.000 Menschen in der Hauptstadt des jüngsten Staates der Welt. Auch Gewalt und Hunger treiben viele hierher.


Juba. Zuerst stundenlang grünes Nichts, dann ein Meer von blauen und roten Wellblechdächern im Anflug. Danach zu Fuß über das Rollfeld, zwischen dutzenden Großraumfrachtflugzeugen und Helikoptern von UNO und Co. Schließlich Fiebermessen für alle zur Ebolaprävention im zerfetzten Rotkreuz-Zelt hinter ausgedörrten Schlammpfützen. Stickige Hitze, vor dem Flughafen ein überdachter Schuppen als Wartehalle. Keine Taxis. Die Iljuschins Il-76 mit kyrillischem Aufdruck werden gerade weiter hinten entladen, bewacht von so viel strammem Militär, dass Waffenlieferungen unter humanitären Vorwänden wohl nicht auszuschließen sind: Willkommen im Südsudan, der sich vom arabisch dominierten Sudan 2011 losgelöst hat und seither nicht zur Ruhe gekommen ist.

Die Straßen zwischen Präsidentensitz und Kathedrale sind zwar mittlerweile asphaltiert und auch der Flughafen ist längst witterungsunabhängig zu erreichen, doch überall sonst, selbst im Kernstadtbereich, ist das Fortkommen in den lehmigen Seitengassen ohne Allradantrieb fast unmöglich. "Bis vor einigen Monaten gab es im ganzen Land keine einzige Ampel, keine Verkehrszeichen, keine Richtungshinweise, nichts", sagt Roswitha, eine Steirerin, die seit 2008 in Juba lebt und mit ihrem Mann Projekte für die Weltbank durchführt. "Jetzt haben die Chinesen zwar Ampeln aufgestellt, aber die Autos fahren auch bei Rot." Uniformierte Polizisten regeln daher weiter den Verkehr, sind aber im Straßenbild sonst keineswegs präsent. "Macht ja keine Fotos", sagt Roswitha. "Hier gibt es überall Geheimpolizei in Zivil - die Autos ganz ohne Nummerntafel sind am gefährlichsten, schaut nicht einmal hin."

Im Schein der Kerosinlampen

Die koloniale Nilbrücke durch Juba ist die einzige Straßenverbindung über hunderte Kilometer Richtung Uganda, mit hupendem Dauerstau. Einige hundert Meter stromaufwärts wird derzeit eine neue Brücke errichtet, ein japanisches 90-Millionen-Dollar-Entwicklungsprojekt, doch außer einigen asiatischen Ingenieuren ist die Baustelle menschenleer. Auf den Sandbänken liegen Krokodile, am Ufer daneben waschen Frauen ihre Kleidung. Ein paar chinesische Hausboote sind am Ufer vertäut, wo China offiziell landwirtschaftliche Experimente macht, aber wohl eher Mineralien gesucht und Bodenproben entnommen werden.

Juba ist rasch gewachsen. Vor der Unabhängigkeit 2011 eine sudanesische Provinzstadt mit 30.000 Einwohnern, zählt die Stadt am Nil zu den schnellstwachsenden Ballungsräumen der Sahelzone. Die Bevölkerung wird derzeit auf mindestens 400.000 geschätzt, doch die Infrastrukturentwicklung kann damit nicht Schritt halten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Gewaltsame Auseinandersetzungen haben viele Familien gezwungen, ihre Häuser und ihr Vieh zurückzulassen und in die Hauptstadtregion zu flüchten. Verschärft wird die Lage durch die teils massiven Ernteausfälle. Weil die letzte Regenzeit fast vollständig ausgeblieben ist, konnten vor allem in den nördlichen und östlichen Bundesstaaten Unity, Jonglei und Upper Nile die Felder nicht bestellt werden. Von den 1,5 Millionen Vertriebenen haben bereits rund 440.000 Menschen in den Nachbarländern Uganda, Kenia, Äthiopien und Sudan Zuflucht gefunden.

Dass es in Juba an allen Ecken und Enden fehlt, zeigt sich auch bei der Energieversorgung. Abends erhellen Kerosinlampen gerade die paar Marktbuden, ansonsten bleibt es außerhalb der wenigen Hotels finster. Dann sind die Straßen bald wie leergefegt, obwohl die nächtlichen Ausgangssperren der letzten Monate offiziell beendet sind. Je nach Nationalität und Auftraggeber müssen auch Diplomaten und Mitarbeiter von NGOs zwischen 21 und 22 Uhr in ihren Unterkünften sein, um das Risiko von Car-Jackings zu reduzieren. "Besonders beliebt sind Toyota Landcruiser, das sind Auftragsräubereien. Spätestens um 23 Uhr, wenn sie betrunken sind, errichten die Soldaten dann Straßensperren. Erspart euch das", sagt Alexander und bestellt sich eine Pizza in seiner eigenen Bar. Er ist 23, hat seinen Militärdienst in Österreich absolviert und wurde von seinen Eltern - Vater aus Österreich, Mutter aus Uganda - als Geschäftsführer der Jebel Lodge eingesetzt: eine beschauliche Bungalowsiedlung mit Pool, den abends russische Lkw-Mechaniker bevölkern, die zur Wartung der Öl-Trucks ins Land geholt wurden.

Florierende Sicherheitsbranche

Für die Sicherheit der Gäste sollen in der Jebel Lodge nicht nur die hohen Stacheldrahtzäune sorgen, sondern auch acht martialisch gekleidete Securities: Die Warrior Security ist ein bedeutender Arbeitgeber hier. "Creating a safe environment" lautet das Motto dieser Sicherheitsfirma, die wandgroße Plakate mit grimmigen Uniformierten vor Stacheldrahthintergrund flächendeckend über Juba affichieren ließ.

2005 hatte ein Friedensplan den 21 Jahre andauernden Sezessionskrieg im Südsudan beendet. Salva Kiir wurde der neue Führer der SPLA (Sudan People’s Liberation Army), zum Garant von Frieden und Fortschritt schaffte er es jedoch nie. Und auch ob der Friedensvertrag vom 26. August, den der Präsident auf internationalen Druck hin mit den Rebellen unterzeichnete, endlich zum Ende der blutigen Auseinandersetzungen führt, wird sich erst weisen.

Noch zu Jahresbeginn wurde mit einem als UN-Hilfstransport getarnten Kriegsschiff das Feuer auf die Rebellen im Norden des Südsudan eröffnet. Dieses Schiff liegt derzeit am Ufer, fest vertäut inmitten der südsudanesischen Nil-Marine, schwarz lackierten Kriegsschiffen, die aussehen wie ein Schubverband auf der Donau. Nicht weit weg dutzende Wassertank-Lkw, die Nilwasser mit Schläuchen einsaugen und in die städtischen Wasseraufbereitungsanlagen bringen. In Sichtweite parkt ein riesiger Hummer-Geländewagen, mit abgedunkelten Scheiben und langen Funkantennen. Nummerntafel hat er übrigens keine. Was sonst.