Riad/Teheran/Washington. Nach der Hinrichtung eines prominenten schiitischen Geistlichen und Regimekritikers in Saudi-Arabien ist der Streit zwischen dem Königreich und dem Iran eskaliert. Saudi-Arabien brach am Sonntag die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Anlass sei die Erstürmung der saudi-arabischen Botschaft in Teheran am Vortag, teilte die Regierung in Riad mit.
Der Iran erklärte umgehend, kein saudi-arabischer Diplomat sei zu Schaden gekommen und das Land sei eines der sichersten der Region. Die Entscheidung Rias, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen sei "voreilig", erklärte Vize-Außenminister Hossein Amir-Abdollahian in der Nacht zum Montag. Allerdings sei die Exekution des Predigers Nimr al-Nimr ein großer Fehler gewesen. Ein Vertreter der US-Regierung forderte die rivalisierenden Länder auf, entschlossene Schritte zur Beruhigung der Lage einzuleiten.
Nach Saudi-Arabien hat auch die Golfmonarchie Bahrain ihre
diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen. Die Regierung habe den iranischen Diplomaten 48 Stunden Zeit gegeben, das Land zu verlassen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur BNA am Montag über Twitter. Das sunnitisch regierte Königreich Bahrain ist ein enger Verbünder Saudi-Arabiens.
"Genug ist genug"
Der iranische Botschafter sei aufgefordert worden, Saudi-Arabien innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, teilte Außenminister Adel al-Jubeir in Riad mit. Das Königreich werde es dem Iran nicht erlauben, seine Sicherheit zu untergraben. Aus dem Umfeld der saudi-arabischen Regierung verlautete, man sei der Ansicht, "genug ist genug". Der Iran fördere nach wie vor den Terrorismus, starte ballistische Raketen und niemand unternehme etwas dagegen, sagte ein Insider, der mit den Überlegungen der Führung in Riad vertraut ist. Der saudi-arabischen Regierung sei es auch gleichgültig, ob sie mit dem Abbruch der Beziehungen die US-Regierung verärgere.
Im schiitischen Iran hatte die Hinrichtung von al-Nimr zu scharfen Protesten geführt. Der oberste geistliche und politische Führer Irans, Ayatollah Ali Khamenei, drohte den Politikern des sunnitischen Saudi-Arabiens mit der "Rache Gottes". Die einflussreichen iranischen Revolutionsgarden kündigten dem Königshaus eine "scharfe Vergeltung" an. In Teheran stürmten aufgebrachte Demonstranten in der Nacht zum Sonntag die saudi-arabische Botschaft, legten Feuer und zertrümmerten Mobiliar.
Saudi-Arabien zog daraufhin seine Diplomaten ab. Sie trafen am Sonntag in Dubai ein, wie der Fernsehsender Al-Arabiya meldete.
Exekution verstärkte Spannungen
International löste die Exekution des Geistlichen Nimr al-Nimr Besorgnis aus, dass die Spannungen zwischen den Religionsgruppen in der Golf-Region weiter angeheizt werden könnten. Nimr war am Samstag in Saudi-Arabien neben 46 anderen Personen wegen Terrorismus oder Anstiftung zur Gewalt exekutiert worden. Es war die größte Massenhinrichtung in dem Land seit Jahrzehnten.
Saudi-Arabien und der Iran ringen um die Vormachtstellung in der Region. Während sich das Königreich als Schutzmacht der Sunniten sieht, betrachtet sich der Iran als Interessenvertreter der Schiiten.
Khamenei vergleicht Saudi-Arabien mit IS-Terrormiliz
Saudi-Arabien sah es als erwiesen an, dass Nimr hinter Anschlägen in dem Land stand. Für den Iran war der entschiedene Kritiker der Führung in Riad ein wichtiger Verfechter der Rechte der schiitischen Minderheit. Die meisten der am Samstag Hingerichteten waren sunnitische Extremisten. Nach Einschätzung von Beobachtern zielten die Tötungen darauf ab, Saudi-Araber davor abzuschrecken, sich Islamistengruppen anzuschließen.
Ayatollah Khamenei verglich das Königreich Saudi-Arabien mit der Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Auf der Internet-Seite Khameneis war ein Bild eines saudi-arabischen Henkers neben dem als "Jihadi John" bekannt gewordenen IS-Extremisten zu sehen. Das Foto trug die Unterzeile: "Irgendwelche Unterschiede?" Dem inzwischen vermutlich getöteten "Jihadi John" wird die Enthauptung mehrerer westlicher Geiseln zur Last gelegt.
Gewaltsame Auseinandersetzungen
Im sunnitisch regierten Bahrain, wo die Schiiten die Bevölkerungsmehrheit bilden, gab es am Sonntag in mehreren schiitischen Vororten der Hauptstadt Manama gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Beamten setzten Tränengas und Schrotmunition ein. Laut Augenzeugen gab es mehrere Verletzte. Einem Vertreter des Innenministeriums zufolge wurden mehrere Demonstranten festgenommen, darunter Minderjährige. Die Regierung Bahrains hatte Riad ihre Unterstützung für die Hinrichtungen bekundet.
Mehrere weitere arabische Staaten äußerten ihre Unterstützung, darunter Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Jemen und Ägypten. Sie kritisierten ebenso wie die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) die "Aggressionen" gegen die diplomatischen Vertretungen und bekunden Unterstützung für Riads Kampf gegen Extremismus.
USA appellieren zur Deeskalation
Die USA appellierten an die Staats- und Regierungschefs der Golf-Region, ihre Bemühungen zu verdoppeln, um zu einer Deeskalation der Lage beizutragen. Saudi-Arabien und den Iran rief Washington auf, Maßnahmen zur Beruhigung der Lage zu ergreifen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon rief die rivalisierenden Religionsgruppen zur Zurückhaltung auf.
Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) rief am Sonntag seine Amtskollegen in Teheran und Riad in kurzen Telefongesprächen zur Deeskalation auf, wie sein Sprecher mitteilte. "In dieser von Konflikten geprägten Region wäre eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien das letzte, was wir momentan brauchen", sagte Kurz demnach.
In Deutschland forderte die Opposition einen Stopp von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien.