Riad/Teheran/Wien. Das Jahr 2016 beginnt für den Nahen und Mittleren Osten mit einer Eskalation, deren Folgen fatal sein können: Der Iran und Saudi-Arabien haben ihre diplomatischen Beziehungen auf Eis gelegt und steuern einer folgenreichen Direktkonfrontation auf mehreren Ebenen - global, regional, in puncto Öl und religiös - entgegen.

Als Saudi-Arabien am 2. Jänner 47 Menschen (43 Sunniten und vier Schiiten), darunter den angesehenen und prominenten schiitischen Geistlichen Nimr Baker al-Nimr, hinrichten ließ, folgte ein Dominoeffekt: Die Schiiten in der gesamten Region, vom Inselstaat Bahrain bis hin zum Libanon, protestierten lautstark und verbrannten saudische Flaggen. Im Irak gab es gar Anschläge auf sunnitische Moscheen mit mehreren Verletzten. Die volle Tragweite der Aktion bekamen die sunnitischen saudischen Herrscher aber in Teheran zu spüren. Der schiitische Erzfeind Iran reagierte am schärfsten. Der oberste geistliche und politische Führer, Ayatollah Ali Khamenei, drohte den Saudis mit der "Rache Gottes". Demonstranten aus dem Lager der Hardliner stürmten die saudische Botschaft und brannten sie nieder. Als Reaktion darauf zog Riad sein diplomatisches Corps ab und ordnete auch den Abzug der iranischen Diplomaten aus Saudi-Arabien an. Außerdem will Riad nun die Handelsbeziehungen und den Flugverkehr zwischen den beiden Ländern kappen. Pilger seien allerdings nach wie vor willkommen, die heiligen Stätten in Mekka und Medina zu besuchen.

Bahrain zeigt Teheran ebenfalls kalte Schulter


Seit dem heutigen Dienstag herrscht, um es mit den Worten eines iranischen Diplomaten zu sagen, zwischen den beiden Hauptrivalen in der Region eine "aggressive Stille". Bahrain tat es seinem "großen Bruder" und seiner Schutzmacht Saudi-Arabien gleich und brach am Montag ebenfalls seine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran ab. Andere arabische Staaten beriefen kurzfristige Krisensitzungen zur Lagebesprechung ein. Die Vereinigten Arabischen Emirate beriefen ihren Botschafter zurück, der Sudan wies den iranischen Botschafter aus. Im von Teheran beeinflussten Irak wiederum mehren sich Stimmen, die den erst vor wenigen Tagen eingetroffenen saudischen Botschafter wieder zum Teufel jagen wollen.

Dass der Druckkessel zwischen den beiden Rivalen Riad und Teheran früher oder später explodieren würde, wundert aber niemanden. Dies hatte sich seit mehreren Wochen abgezeichnet. Riad konnte der US-iranischen Annäherung und dem Atom-Deal ebenso wenig abgewinnen wie der wirtschaftlichen und politischen Rehabilitierung der Islamischen Republik in den vergangenen Wochen.

Für Beobachter stellt sich die Frage, warum der schwerkranke saudische Herrscher Salman diesen gewagten Schritt der Exekution des schiitischen Gelehrten unternommen hat und das wahhabitische Königreich innenpolitisch ins Schwanken bringt. Denn die Spannungen rund um den Fall könnten sich für ihn zu einem Bumerang entwickeln. Es brodelt innen- und außenpolitisch: Der Ölpreis befindet sich im Tiefflug, die Minderheitenkonflikte in Saudi-Arabien mehren sich und seine Regierung muss sich nach der Auspeitschung des regimekritischen Bloggers Raif Badawi, der noch immer im Gefängnis sitzt, 153 Hinrichtungen im Jahr 2015 und weiteren 47 am 2. Jänner 2016 immer öfter den Vorwurf gefallen lassen, die Menschenrechte mit Füßen zu treten.

Geopolitisch hat diese jüngste Eskalation jedenfalls viele Facetten. Nach den jüngsten Ereignissen im Jemen, wo die vom Iran unterstützten Houthi-Rebellen mehr Einfluss erlangen, muss Riad fürchten, bald von einer Reihe von Staaten (Irak, Syrien, Libanon, Jemen, Bahrain) umgeben zu sein, wo der Iran seine Finger politisch, wirtschaftlich oder militärisch im Spiel hat.

Syrien-Lösung rückt in weite Ferne


Begraben sind auch die Hoffnungen, dass es bald eine Lösung im Syrien-Konflikt geben wird. Teheran unterstützt den umstrittenen Langzeitherrscher Bashar al-Assad, Riad die Rebellen. Es war schon ein beachtlicher Schritt, dass die beiden Erzrivalen vor kurzem zugleich an der Konferenz in Wien teilnahmen. Nun scheint die Kluft größer denn je.

Bedeutend wird in nächster Zeit auch sein, wie die Führungszentrale in Riad auf den wachsenden Druck reagiert. Hier ist es nicht nur Salman, der die Fäden zieht. Wenn die Nachfolgegeneration, die vom Königssohn Mohammed bin Salman dominiert wird, weiterhin so offensiv und konfrontativ agiert, dann gefährdet sie die Stabilität ihres eigenen Regimes. Der Thronfolger hat ohne Rücksicht auf Verluste und die Düpierung der Amerikaner mehrere Schalthebel in Bewegung gesetzt, die Freunde wie Feinde erstaunen lassen: eine "No-fear-Politik" in puncto Iran und Menschenrechte, eine weitreichende Unterdrückungspolitik gegenüber der schiitischen Bevölkerungsminderheit und einen Selektionsprozess, wer zum König darf und wer nicht, der immense Folgen hat. Da der 80-jährige König angeblich an Demenz und Alzheimer leiden soll, kann sein Sohn durch diese Einflussnahme einen beachtlichen Teil der Politik selbst lenken. Auch die Erdöleinnahmen des Landes werden von ihm verwaltet.

Oman als vermittelnder Hoffnungsschimmer


In den kommenden Tagen, vor allem anlässlich des 7. Tages nach dem Tod von al-Nimr, könnte es weitere Massenproteste in der Region geben. Während die EU, die USA und Russland den Iran und Saudi-Arabien zur Deeskalation mahnen, hat der österreichische Außenminister Sebastian Kurz in Telefonaten mit seinen Amtskollegen aus Riad und Teheran versucht, vermittelnd zu kalmieren. Alle Hoffnungen ruhen nun aber auf dem Sultan Qabus vom Oman, der einen sehr guten Draht zu Khamenei und zu Salman hat und sich Diplomatenangaben zufolge am Dienstag telefonisch in den Konflikt einschalten will.