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"Der Abbau von Atomwaffen ist für Nordkoreaner indiskutabel"

Von Klaus Huhold

Politik

Der jüngste Atomtest Nordkoreas wird nicht der letzte gewesen sein, sagt der renommierte Ostasien-Experte Rüdiger Frank.


Pjöngjang/Wien. Nordkorea hat mit seinem vierten Atomtest wieder einmal für internationale Empörung gesorgt: Das Regime des Diktators Kim Jong-un gibt an, eine Wasserstoffbombe getestet zu haben - westliche Experten vermuten aber, dass es eher eine weitere, herkömmliche Atombombe war. Der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank erklärt, warum das Land aufrüstet und in welches Dilemma das China stürzt.

"Wiener Zeitung": Nordkorea begründet seine Aufrüstung damit, dass es sich von den USA bedroht sieht. Ist dieses Argument

nachvollziehbar?Rüdiger Frank: Aus nordkoreanischer Sicht durchaus. Man sieht sich in Pjöngjang das Schicksal anderer als "Achse des Bösen" oder "Schurkenstaat" bezeichneter Regimes an und erkennt, dass die USA keinesfalls vor einer Intervention zurückschrecken. Diese kann entweder direkt militärisch sein oder im Aufbau beziehungsweise der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte bestehen. Die Liste betroffener Staaten ist lang; in Nordkorea erwähnt man besonders oft Irak und Libyen, aber das ist nur eine kleine Auswahl. Die mehrfachen jährlichen Militärmanöver der USA an der innerkoreanischen Grenze sieht man in Pjöngjang als Provokation und als Hinweis, dass der Westen einen Angriff auf Nordkorea plant. Darüber, dass dies wiederum eine Reaktion auf eigenes Handeln sein könnte, denkt man hier längst nicht mehr nach - ebenso wenig übrigens, wie das in Seoul oder Washington der Fall ist.

Das nordkoreanische Regime wird im Westen oft als unberechenbar beschrieben. Ist es das tatsächlich?

Da dort seit Jahrzehnten das gleiche System besteht und die gleiche Familie herrscht, ist Nordkorea oft berechenbarer als unsere Demokratien mit ihren alle paar Jahre wechselnden Machtverhältnissen. Viele Dinge sind vorhersagbar, manche werden sogar explizit angekündigt. Dazu gehören übrigens auch der Atomtest sowie der demnächst stattfindende Test einer dreistufigen Rakete, möglicherweise noch vor dem 7. Parteitag im Mai. Auch einen fünften Atomtest wird es geben, da sollten wir uns nichts vormachen.

Wie weit hat das Ausland überhaupt Einblick in das nordkoreanische Atomprogramm und die Führungsstrukturen des Landes?

Westlichen Geheimdiensten fällt es noch immer schwer, Informanten in Nordkorea zu rekrutieren beziehungsweise zu platzieren. Aber gerade die Atomtests, die ja deutliche Spuren hinterlassen und jedes Mal akribisch ausgewertet werden, geben einen recht guten Aufschluss über den Stand der Dinge. Mit der Führungsstruktur ist das schwieriger, hier wird viel spekuliert. Allerdings kann man bei diesem Thema alle paar Jahre auf einen hochrangigen Flüchtling hoffen, der dann von den diversen Diensten Südkoreas und der USA intensiv ausgefragt wird.

Kann der jüngste Bombentest, den Kim Jong-un durchführen ließ, auch als Zeichen nach innen interpretiert werden?

Diese Wirkung hat er zweifellos gehabt, das zeigt schon die Inszenierung mit gleich zwei Fotos von Kim Jong-un, wo er in Staatsmann-Feldherren-Pose entsprechende Befehle unterzeichnet. Und immerhin war am 8. Jänner sein Geburtstag, das ist sicher kein Zufall. Ansonsten will er innenpolitisch vor allem mit mehr Wohlstand punkten. Der Hauptzweck des Tests war aber wohl ganz pragmatisch die Weiterentwicklung der Atomwaffen. Wenn man sich ansieht, wie viele Tests die anderen Atommächte unternommen haben, dann weiß man, dass hier noch viel passieren wird. Allein bei den USA waren das über 1000 zwischen 1945 und 1992.

Kann die internationale Gemeinschaft auf Nordkorea einwirken, dass es seine nukleare Aufrüstung stoppt?

Ein Stopp ist prinzipiell denkbar, im Sinne von einer begrenzten Zahl an Atomwaffen. Deren Abbau jedoch ist derzeit für die Nordkoreaner indiskutabel, das wurde mir in dieser Woche auch bei Gesprächen mit Vertretern des Staates nochmals bestätigt. Daran werde sich erst etwas ändern, wenn die USA ihre "feindliche Haltung" aufgeben, was natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Offen ist man jedenfalls für Gespräche zur Non-Proliferation und zur Sicherheit von Atomanlagen. Diese wären auch wichtig, schließlich gibt es hier ganz konkrete Risiken. Nur würde das die Einsicht bedeuten, dass Nordkorea eine Atommacht ist. Das wiederum verweigert der Westen derzeit vehement, verurteilt aber gleichzeitig das Atomprogramm. Eine etwas schizophrene Situation.

Warum macht China, von dem Nordkorea stark abhängig ist und das über den Bombentest nicht glücklich ist, nicht mehr Druck ?

Dafür gibt es drei Gründe. Erstens verdient China mit der Kooperation gutes Geld, das gilt vor allem für die wirtschaftlich eher benachteiligte nordöstliche Region, speziell Liaoning und Jilin. Zweitens könnte dieser Druck, wenn er denn wirkt, zur Destabilisierung eines atomaren Nachbarstaates führen - das ist ziemlich riskant. Und nicht zuletzt könnte eine Schwächung Nordkoreas den Kollaps und damit eine Wiedervereinigung mit südkoreanischen Vorzeichen zur Folge haben. Das würde mit einer Ausdehnung des Machtbereiches der USA bis an die chinesische Grenze einhergehen. Das will in Beijing niemand, und in Pjöngjang weiß man das - in Washington übrigens auch, weshalb man mit Nachdruck China zu einer härteren Haltung gegenüber Nordkorea auffordert. Ein schweres Dilemma für China.

Kim Jong-un hat begonnen, Nordkorea ein wenig zu modernisieren. Wirft ihn hier der jüngste Bombentest, der eine weitere Isolation und wohl auch verschärfte Sanktionen zur Folge haben wird, nicht zurück?

Kurzfristig auf jeden Fall, und auch einige Menschen in Nordkorea stellen sich diese Frage. Ich bin persönlich in einige Vorhaben involviert, die Nordkorea zum Wohle seiner 25 Millionen Menschen und zur Verbesserung der Sicherheitslage wieder mehr international einbinden wollen. Diese werden jetzt erst einmal in Frage gestellt. Langfristig wird man sehen. Ich bleibe bei meiner These, dass ein sich unter dem eigenen Nuklearschirm sicher fühlender Kim Jong-un grundsätzlich risikobereiter wäre, was etwa Wirtschaftsreformen oder internationale Kooperation angeht.

Zur Person:

Rüdiger Frank ist Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften der Universität Wien und einer der profundesten Kenner Nordkoreas. Er besucht das Land immer wieder. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates".